Long Covid Fragwürdige Blutwäsche-Therapie
Long-Covid-Patienten irren oft von Arzt zu Arzt, weil sie keine Heilung finden. Eine ARD-Doku von Eckart von Hirschhausen stellt Blutwäsche nun als hoffnungsvolle Therapie dar. Kritiker meinen, dass dafür Belege fehlen. Sie warnen vor Geschäftemacherei.
Tobias Welte betreibt an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) eine Long-Covid-Ambulanz. Seit der Eröffnung im April 2020 haben er und seine Kollegen schon mehrere Tausend Patienten behandelt. Sie alle hatten nach Abklingen ihrer Corona-Infektion andauernde Beschwerden, häufig Muskelschwäche, Schlaflosigkeit, Konzentrationsschwäche.
Grundsätzlich sei es nichts Ungewöhnliches, dass man nach einer Virusinfektion mehrere Wochen lang noch Beschwerden haben kann, sagt Welte. Man dürfe keine vollständige sofortige Heilung erwarten. Bei zwei Drittel der Long-Covid-Patienten verschwinden die Symptome zum Glück innerhalb von drei Monaten. Allerdings gebe es auch schwere Fälle, bei denen die Leiden deutlich länger andauern und Ärzte oft ratlos sind.
Um diese Menschen geht es in der Corona-Doku von Eckart von Hirschhausen mit dem Titel "Die Pandemie der Unbehandelten". Um Menschen, die von Arzt und Arzt irren und denen nirgendwo richtig geholfen wird. "Für sie" hat Hirschhausen nach eigenen Angaben die Doku gemacht, die heute Abend um 20:15 Uhr im Ersten zu sehen ist.
Ärzteverbände warnen vor HELP-Apherese
In dem Film stellt der bekannte Fernseh-Arzt Blutwäsche (HELP-Apherese) als eine mögliche Therapie dar, die Heilung versprechen kann. Mehrere Patienten in dem Hirschhausen-Film lassen in ihrer Verzweiflung diese Therapie machen, mit Erfolg. Doch für die Wirksamkeit von HELP-Apheresen gegen Long Covid gibt es keine ernst zu nehmenden Belege - und seriöse Ärzteverbände warnen sogar ausdrücklich davor.
"Der Film macht mir wirklich Bauchweh", sagt zum Beispiel Carmen Scheibenbogen, Leiterin der Immundefekt-Ambulanz an der Berliner Charité. Sie wird in dem Film als Wissenschaftlerin interviewt, die das chronische Erschöpfungssyndrom (ME/CFS) erforscht. Sie sagt: "Ich habe Sorge, dass der Film dazu führen wird, dass viele Patienten in ihrer Verzweiflung Geld in die Hand nehmen und sich eine HELP-Apherese machen lassen. Da hat sich ein Markt entwickelt."
Blut wird gefiltert
Viele HELP-Apheresen bei Long-Covid-Patienten macht die Ärztin Beate Jaeger in Mülheim an der Ruhr. Hirschhausen stattet ihr mehrere Besuche ab und mehrere Protagonisten im Film haben sich in dieser Praxis behandeln lassen. Jaeger behandelt laut ihrer eigenen Website Long-Covid-Patienten mit einer HELP-Apherese.
Bei dieser Form der Blutwäsche werden Fette und andere Stoffe wie Gerinnungs- und Entzündungsfaktoren aus dem Blut gefiltert. Die Patienten legen sich wie beim Blutspenden auf eine Liege. Dabei fließt das Blut durch einen Katheter aus der Armvene heraus, läuft durch einen Apparat und fließt dann gereinigt am anderen Arm wieder in den Körper hinein.
Die Ärztin schildert im Film nahezu biblische Heilungen: "Ich hatte junge Krankenpfleger, die kaum vom Bett zur Küche kriechen konnten. Nach zwei Apheresen konnten sie plötzlich wieder Marathon laufen". Anfragen von "Süddeutscher Zeitung" und NDR zu ihren Fällen beantwortete Jaeger nicht.
"Das ist nicht plausibel"
Professor Welte von der MHH hält die HELP-Apheresen bei Long-Covid-Patienten für Unsinn. "Wieso soll man Blutfette senken? Das ist nicht plausibel." Bei Long Covid gebe es extreme Placebo-Effekte, sagt Welte. "Wenn jemand sehr viel Geld für so eine Blutwäsche zahlt, dann hilft das auch oft bei der Heilung."
Wissenschaftliche Fachgesellschaften warnen sogar vor dieser Therapie. So kommt die Deutsche Gesellschaft für Nephrologie, die in Deutschland die Richtlinien für die Apheresebehandlung festlegt, in ihrer Stellungnahme im August zu dem Schluss: "Ohne fundierte wissenschaftliche Daten kann keine Empfehlung für die Durchführung dieser Therapieverfahren ausgesprochen werden, auch da es bei ihrer unsachgemäßen Anwendung zu schweren Komplikationen kommen kann."
Hirschhausen wiederum verweist in seiner Antwort an NDR und SZ auf einen anderen Satz in der Stellungnahme, in dem die Autoren es "begrüßen", wenn bei Apherese-Patienten systematisch Daten gesammelt und diese in ein Register eingebracht werden. In der Leitlinie für Ärzte zur Behandlung von Long und Post Covid heißt es: "Wenn es auch positive Fallberichte und kleine Fallserien geben mag, ist aktuell von einer generellen Anwendung dringend abzuraten."
Bis zu 3000 Euro für eine Sitzung
In ihrer Not klammern sich Patientinnen und Patienten häufig an solche Einzelfall-Berichte. Der Apherese-Experte Jan T. Kielstein, Chefarzt für Innere Medizin und Blutreinigungsverfahren am Städtischen Klinikum Braunschweig, beobachtet einen wachsenden Markt für Blutwäsche für Long-Covid-Patienten. Bis zu 3000 Euro müssten die Betroffenen für eine Sitzung bezahlen, sagt Kielstein, der auch Vorstand der European Group der International Society for Apheresis ist. "Ich kenne Patienten, die haben schon zigtausend Euro für nutzlose Long-Covid-Behandlungen ausgegeben", sagt Kielstein.
Hirschhausen selbst sagt auf Anfrage, dass er im Film immer wieder auf die mangelnde Studienlage hingewiesen habe: "Ziel des Filmes war und ist es, zu zeigen, wie miserabel die Diagnosekriterien, die Versorgung und der Wissensstand ist."
Im Film klingen Zweifel allerdings kaum an. Hirschhausen erwähnt dort zwar, dass "vielen Ärztinnen und Ärzten die Studienlage noch zu dünn" sei. Aber zugleich nennt er Jaeger eine "Prophetin".
"Film empfiehlt zu keinem Zeitpunkt eine Therapie"
Der Apherese-Experte Kielstein findet es "irreführend", dass im Film nur von Erfolgen der Behandlung die Rede sei. Anders als im Film kommen zu ihm in die Klinik immer wieder Long-Covid-Patienten, denen es nach einer HELP-Apherese keinen Deut besser geht. Doch Hirschhausen versäumt es nicht nur, über Nebenwirkungen und Misserfolge der Apherese zu sprechen. Er lässt sich sogar selbst das Blut waschen. Dabei hat er nach eigener Aussage gar kein Long Covid.
Der WDR, der die Doku verantwortet, weist auf Anfrage darauf hin, dass Hirschhausen im Film selbst sage, dass er skeptisch sei, ob ihm die Apherese viel bringt. Überhaupt stellt sich der WDR auf den Standpunkt: "Der Film empfiehlt zu keinem Zeitpunkt eine Therapie."
Tausende Patienten auf der Warteliste
Beate Jaeger hat in ihrer Praxis in Mülheim nach eigenen Angaben schon mehr als tausend Patienten mit HELP-Apherese behandelt, 8000 Patienten stehen laut Hirschhausen auf ihrer Warteliste. "Es gibt Regeln in der Medizin, dass man so große Fallzahlen nicht behandeln sollte, bevor man keine Evidenz geschaffen hat", sagt Michael Hallek, Direktor der Klinik für Innere Medizin I am Uniklinikum Köln und Leiter des Arbeitskreises Long Covid beim Wissenschaftlichen Beirat der Bundesärztekammer.
Auf ihrer Website verspricht Jaeger, dass "die bisher guten Therapieergebnisse in Kürze als Studie zur Verfügung stehen". Genaue Angaben zur Studie macht sie allerdings nicht.
Tobias Welte von der Medizinischen Hochschule Hannover ist skeptisch: solange es keine Studien gebe, die die Nutzlosigkeit zeigen, könne man immer wieder Patienten eine Blutwäsche verkaufen.
In seiner Antwort an NDR und SZ sagt Hirschhausen, dass sein Film "ein notwendiges und eindrückliches Plädoyer für mehr Evidenz in der Behandlung" sei.