Ein Jahr nach Pandemie-Ende Was wir über Long Covid wissen
Vor einem Jahr wurde die Corona-Pandemie in Deutschland für beendet erklärt - manche aber leiden noch immer an den Folgen einer Infektion: Long Covid. Wie ist der Stand der Forschung?
Vor gut einem Jahr, am 5. April 2023, erklärte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach die Corona-Pandemie in Deutschland offiziell für beendet - deutlich später als andere Länder. US-Präsident Joe Biden fand schon im September 2022, dass die Pandemie vorbei sei. Inzwischen spielt Corona im Alltag der meisten Menschen keine Rolle mehr.
Für einige Menschen ist die Pandemie aber auch jetzt noch nicht vorbei: Sie leiden täglich an den Folgen. Schwerste Erschöpfung, Atemprobleme, Lücken im Gedächtnis - das sind nur einige der Symptome von Long Covid. Auch Monate nach der Infektion halten die Beschwerden bei einigen an. Doch trotz intensiver Forschung ist der Umgang mit Long Covid immer noch schwierig.
Long Covid lässt sich nur schwer eindeutig diagnostizieren
Die Diagnose ist immer noch eine Herausforderung. Es gibt keinen Bluttest auf Long Covid - und wenn bestimmte Entzündungswerte erhöht sind oder sich Autoantikörper im Blut finden, kann das immer auch andere Ursachen haben.
Ein zentrales Problem ist, dass rund 200 unterschiedliche Symptome unter Long beziehungsweise Post Covid zusammengefasst werden. Viele davon sind unspezifisch, etwa Kopfschmerzen, Abgeschlagenheit, Müdigkeit. Daneben gibt es körperliche Beschwerden mit der Lunge oder dem Herzen - und neurologische Probleme: brain fog, also ein gefühlter Nebel im Gehirn und als schwerste Folge einer Corona-Infektion das Chronische Fatigue Syndrom ME/CFS.
Betroffene sind schon von kleinsten Anstrengungen völlig erschöpft und in der Regel nicht mehr arbeitsfähig. Aber auch andere Viruserkrankungen, wie zum Beispiel die Grippe oder das Pfeiffersche Drüsenfieber, können ME/CFS auslösen.
Long Covid ist daher immer eine Ausschlussdiagnose. Das macht es so kompliziert: Eine gründliche Diagnostik dauert oft mehrere Stunden, mit diversen Tests. Das können Hausarztpraxen gar nicht leisten. Long-Covid -Ambulanzen sind darauf spezialisiert. Das Bundesgesundheitsministerium listet 124 Ambulanzen auf. Bei einigen müssen Betroffene aber immer noch Monate auf einen Termin warten.
Manchmal steckt eine andere Erkrankung hinter den Symptomen
Immer wieder stellt sich nach einer genaueren Untersuchung heraus, dass gar kein Long Covid hinter den Symptomen steckt: Laut "Süddeutscher Zeitung" haben zum Beispiel 40 Prozent der Patientinnen und Patienten der Long-Covid-Sprechstunde des Uniklinikums im Saarland gar kein Long Covid.
An der Ambulanz in Aachen sollen es 30 Prozent sein. Manchmal stecken eben auch ein unerkanntes Asthma, Herzkrankheiten oder eine Stoffwechselstörung hinter den Beschwerden.
Neue Erkenntnisse zu möglichen Ursachen
Spannende neue Erkenntnisse gibt es zu den möglichen Ursachen von Long Covid. Vermutlich spielt ein bestimmter Teil unseres Immunsystems dabei eine Schlüsselrolle: das sogenannte Komplementsystem. Das gehört zum angeborenen Immunsystem und dient dazu, Krankheitserreger in Schach zu halten. Bei einer Infektion mit SARS-CoV-2 wird es aktiviert - und sollte sich danach auch wieder abschalten.
Bei einigen Menschen scheint die körpereigene Abwehr allerdings weiter aktiv zu bleiben. Im Januar ist dazu im Fachmagazin "Science" eine Studie der Uni Zürich erschienen: Die Forschenden haben im Blut von Long-Covid-Patienten Spuren eines überaktiven Komplementsystems gefunden. Diese Daueraktivierung führt wahrscheinlich zu kleinsten Gerinnseln im Blut, schädigt die Blutgefäße und zerstört rote Blutkörperchen. Damit lassen sich Schäden an verschiedensten Zellen und Organen erklären; es passt auch zu den Beschwerden bei ME/CFS.
Entgleistes Immunsysten Auslöser von Long Covid?
Bislang ist das allerdings nur eine plausible Vermutung. Es gab auch kritische Stimmen zu der Studie - sie sei zu klein für weitreichende Aussagen. Teilgenommen haben rund 140 Probandinnen und Probanden, etwa 40 litten an Long Covid. Aber dass ein entgleistes Immunsystem eine zentrale Rolle spielt, wird immer klarer.
Die Frage ist: Was lässt das Immunsystem entgleisen? Das können zum einen Autoantikörper sein - also ein Angriff auf körpereigene Zellen. Oder Antikörper gegen schlummernde Erreger, die durch eine Corona-Infektion wieder aktiviert werden: etwa das Epstein-Barr-Virus und andere Herpesviren. Auch Reste von Coronaviren können im Körper überdauern und das Immunsystem in Daueralarm versetzen. Das erklärt auch, warum manchmal eine erneute Impfung oder die Behandlung mit Antikörpern gegen Covid helfen können.
Die Behandlung von Long Covid ist abhängig von den individuellen Symptomen: Menschen mit ME/CFS können Entspannungsübungen helfen und das sogenannte Pacing: Das heißt, sie müssen lernen, ihre geringen Kraftreserven optimal einzuteilen. Wer Probleme mit der Lunge hat, profitiert von gezielten Atemübungen. Die Therapieansätze sind also so vielfältig wie die Symptome.
Studie soll weitere Erkenntnisse bringen
Einige Betroffene setzen auch große Hoffnungen auf verschiedene Formen von Blutwäsche. Das ist ein ziemlich unübersichtliches Feld, die Studienlage ist schlecht. Das soll sich im Laufe des Jahres ändern. Dann werden Ergebnisse zur sogenannten Immunapharese erwartet: Dabei werden Antikörper aus dem Blut entfernt. Das soll die Symptome von Long Covid verschwinden lassen. In Einzelfällen sind die Ergebnisse positiv, aber im Moment bewertet der IGEL-Monitor der Krankenkassen das Verfahren noch als unklar.
Manche Betroffene haben auch schon von Hyperthermie profitiert, also einer gezielten Überwärmung des Körpers. Auch hier fehlen aber belastbare Studien.
Weltweite Suche nach Medikamenten gegen Long Covid
Die Suche nach Medikamenten gegen Long Covid läuft weltweit - und je mehr wir über die Ursachen wissen, desto besser stehen die Chancen auf wirksame Mittel. Ein möglicher Ansatz könnten Hemmstoffe für das überaktive Komplementsystem sein - da gibt es schon Medikamente, aber sie sind noch nicht bei Menschen mit Long Covid getestet.
Mit einer anderen Substanz haben die klinischen Studien schon begonnen: BC007 heißt der Wirkstoff, der schon seit einer Weile für Schlagzeilen sorgt. Er soll Autoantikörper neutralisieren und die Durchblutung der feinsten Blutgefäße verbessern. Eine Phase-II-Studie an Patienten läuft bereits.
Es gibt allerdings einen Haken: Der Wirkstoff ist derzeit sehr teuer und aufwendig zu produzieren - für ein breit einsetzbares Medikament sind das keine guten Voraussetzungen.