Stoffwechselerkrankung Messung per Sensor für mehr Diabetiker?
Eine Blutzuckermessung über einen Sensor in der Unterhaut ist bisher nur bei Typ-1-Diabetes Standard. Laut Fachleuten könnten aber auch viele Menschen mit Altersdiabetes, also Typ-2-Diabetes, davon profitieren.
Die Zahl der weltweit an Diabetes erkrankten Erwachsenen hat sich in den vergangenen drei Jahrzehnten verdoppelt - am deutlichsten in Entwicklungsländern. Das geht aus einer Studie hervor, die zum heutigen Welt-Diabetes-Tag im britischen Fachmagazin The Lancet veröffentlicht wurde.
Der Jahrestag soll die Aufmerksamkeit auf die Gefahren und Therapiechancen der Zuckerkrankheit lenken. In Deutschland sind laut Deutscher Diabeteshilfe aktuell rund elf Millionen Menschen, also in etwa jeder Achte, zuckerkrank. Doch viele wissen nichts von ihrer Erkrankung: Die Dunkelziffer soll bei zwei Millionen Erkrankten liegen.
Dabei ist die mit Abstand häufigste Form Diabetes Typ 2, eine Erkrankung, die häufig im Alter auftritt. Rund 8,7 Millionen Deutsche leben aktuell mit dieser Diagnose. Dazu kommen mehr als 400.000 Menschen, die hierzulande am Diabetes Typ 1 leiden.
Diabetes ist eine Stoffwechselerkrankung, bei welcher der Körper den Blutzucker nur schwer in die Zellen transportieren kann. Das kann verschiedene Ursachen haben: Einmal wird das Hormon Insulin, welches für den Transport von Glukose aus dem Blut in die Zellen verantwortlich ist, nicht ausreichend produziert. Oder die Zellen sind unempfindlich gegen dessen Wirkung (Insulinresistenz). Dadurch kommt es bei fehlender Behandlung im Blut zu einem erhöhten Blutzuckerspiegel (Hyperglykämie). Diabetes Typ 1 ist eine Autoimmunerkrankung und die häufigste Stoffwechselstörung bei Kindern und Jugendlichen. Der Körper greift die insulinproduzierenden Zellen an, Betroffene können daher irgendwann selbst gar kein Insulin mehr produzieren. Neben einer genetischen Veranlagung werden unter anderem auch Infektionskrankheiten und Umwelteinflüsse als Ursache diskutiert. Bei Diabetes Typ 2 lösen eine Reihe von Faktoren eine Unterproduktion von Insulin aus, eine Schlüsselrolle spielt der Lebensstil. Dazu gehören unter anderem eine ungesunde Ernährung oder fehlende Bewegung
Kontinuierliche Blutzucker-Messung nicht bei allen Betroffenen
Doch Fachleute sehen Verbesserungsbedarf bei der Behandlung von Menschen mit Diabetes. Bisher ist das kontinuierliche Glukosemonitoring, kurz CGM, nur bei Menschen mit Typ-1-Diabetes Standard. Dabei werden die Glukosewerte ständig durch einen Sensor im Fettgewebe der Unterhaut kontrolliert.
Doch auch viele Patientinnen und Patienten mit Typ-2-Diabetes könnten von dieser Form der Glukosemessung profitieren. Jens Kröger, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Diabeteshilfe, findet: "Jeder Mensch sieht, wie sein Körper auf Mahlzeiten und Bewegung reagiert. Und damit kann er viel einfacher das Ernährungs- und Therapiemanagement anpassen. Gleichzeitig ermutigen gute Verläufe, den eingeschlagenen Weg fortzusetzen. Und unbefriedigende Verläufe helfen den Menschen mit Typ-2-Diabetes als auch den Diabetesteams, Probleme zu erkennen und wenn möglich zu beheben."
Häufige Blutzucker-Messungen erhöhen "Selbstwirksamkeit"
Es gehe um das sogenannte erkennende Lernen und eine sich daraus entwickelnde Selbstwirksamkeit der Patienten. Die CGM-Systeme sollen dabei helfen, eine Entgleisung der Zuckerwerte zu vermeiden. Umfragen in Fachpraxen hätten ergeben, dass ständige Glukosekontrollen bei rund 80 Prozent der Typ-2-Diabetiker mit intensivierter Insulintherapie sinnvoll wären. Im Moment aber bekommt nur jeder vierte in dieser Gruppe einen CGM-Sensor.
Auch in der Frühphase der Erkrankung, der Prädiabetes, wird die engmaschige Überwachung viel zu selten genutzt, bedauert Kröger. Er hält es auch für eine gute Idee, selbst Menschen mit Prädiabetes solche kontinuierlichen Messungen anzubieten.
CGM-Systeme könnten helfen, die Behandlung zu individualisieren
Aktuell bleibt allerdings noch offen, wie die Vergabe von den CGM-Systemen ausgeweitet werden soll. Auch die Kostenfrage ist noch ungeklärt - bisher zeigen sich nur wenige Kassen großzügig. Technische Hürden auf Patientenseite sieht Kröger nicht: Auch ältere Menschen kämen sehr gut mit der kontinuierlichen Blutzuckermessung klar. Durch das direkte Feedback steige auch die Begeisterung, sich gesünder zu ernähren und der empfohlenen Therapie zu folgen. So lasse sich die Behandlung viel besser individualisieren.
Noch ist die Diabetestherapie insgesamt zu wenig am Einzelfall orientiert - das kritisiert auch Bernhard Kulzer, Leiter des Forschungsinstituts der Diabetesklinik Bad Mergentheim: "Bisher ist es tatsächlich so, dass wir häufig die Therapieschritte aus großen Studien mit großen Gruppen auf den Einzelnen übertragen."
KI könnte bewussten Umgang mit Diabetes erleichtern
Eine Schlüsselrolle für eine am Einzelnen orientierte, optimierte Therapie soll dabei Künstliche Intelligenz spielen. Mit KI lassen sich laut Kulzer auch die Informationen einer kontinuierlichen Glukosemessung noch viel weitreichender nutzen. Dadurch müssten Zuckerkranke nicht mehr selbst Rückschlüsse aus den Daten ziehen, sondern bekämen Tipps vom Algorithmus. Auch eine drohende Unterzuckerung, eine Hypoglykämie, kann die KI im Idealfall voraussehen.
Problematisch könnte daran allerdings sein, dass die KI dafür Zugriff auf eine Reihe weiterer Gesundheitsdaten braucht. Doch nur so sind präzise Prognosen möglich. Wissenschaftler Kulzer: "Man kann auch ausrechnen, welche Auswirkungen Bewegung hat, man kann ausrechnen, welche Auswirkungen die Menstruation hat. Also man versucht, verschiedene Einflussfaktoren mathematisch zu erfassen, um damit immer bessere Prognosen zu haben. Damit die Steuerung des Insulins immer besser und intelligenter passiert."
Das erste CGM-System mit integrierter KI ist bereits auf dem Markt. Eines Tages könnte sich also der Blutzucker womöglich komplett automatisch regulieren lassen, wenn man die Sensoren mit einer KI-gesteuerten Insulinpumpe koppelt.