Hirnforschung Wissenschaftliches Denken beginnt früh
Wie überprüfe ich eine Beobachtung oder Hypothese? Diesen Grundpfeiler wissenschaftlichen Denkens entwickeln Kinder schon mit sechs Jahren - früher als bisher gedacht. Entscheidend ist jedoch, ob Eltern das fördern.
Schon Sechsjährige weisen erstaunliche Kompetenzen im wissenschaftlichen Denken auf - so das Fazit der ersten Studie, die das wissenschaftliche Denken bei Kindern vom Kindergartenalter bis zum Ende der Grundschulzeit untersucht hat. Susanne Körber, Professorin für Frühe Bildung der Pädagogischen Hochschule Freiburg und ihr Kollege Christopher Osterhaus, Juniorprofessor für Entwicklungspsychologie an der Universität Vechta, haben dazu fünf Jahre lang gut 150 Kinder begleitet und immer wieder getestet.
Das Forschungsteam fragte vor allem danach, wie die Kinder an bestimmte Phänomene herangehen, sagt Körber: "Wir haben grundlegende Kompetenzen im wissenschaftlichen Denken erfasst. Das ist ja ein Konstrukt, das aus mehreren unterschiedlichen Fähigkeiten besteht. Und man könnte sagen, dass es ein Verständnis davon ist, was es heißt, Vermutungen wirksam zu überprüfen."
Wie man wissenschaftliches Denken testet
Um herauszufinden, ob Kinder bereits Grundzüge wissenschaftlichen Denkens beherrschen, testete das Forschungsteam in Einzelinterviews Kindergartenkinder und auch Grundschülerinnen und -schüler mit einfachen Basisaufgaben zum Experimentieren. So sei beispielsweise folgende Geschichte erzählt worden, sagt Körber: "Tom will herausfinden, ob sein Hund hoch springen kann. Er möchte ihn mit einer Wurst locken. Was muss er jetzt tun, um das herauszufinden?"
In der Regel verstanden bereits sechsjährige Kinder, dass sie ihre Vermutung testen müssen. Das bedeutet, Tom muss die Wurst hochhalten und nicht etwa dem Hund vor die Nase halten. Ein anderes Beispiel fragte danach, wie man herausfinden kann, ob Pflanzen mit kaltem Wasser oder warmem Wasser gegossen werden sollen, damit sie besser wachsen.
Tatsächlich wussten schon Grundschulkinder, dass sie die selbe Pflanzenart nehmen und sie auf der einen Seite mit kalten und auf der anderen Seite mit warmem Wasser gießen sollten, um dann zu schauen: Wo wachsen die Pflanzen besser? Sie wussten also, dass sie nicht unterschiedliche Pflanzenarten nehmen sollten, damit andere Merkmale konstant gehalten werden.
Das Elternhaus ist entscheidend
Schon im Kindergartenalter zeigten sich im Rahmen der Studie große Unterschiede in der Fähigkeit zum wissenschaftlichen Denken zwischen den Kindern. Dabei hängt die Fähigkeit von Kindern, wissenschaftlich zu denken, mit dem Bildungsstand der Eltern zusammen. Offenbar kommunizieren höher gebildete Eltern mit ihren Kindern anders.
Das bedeute nicht, dass sie viel über Wissenschaft und wissenschaftliche Erkenntnisse sprechen und auch nicht, dass sie häufiger in Experimentiershows oder Museen gehen. Sondern es gehe um eine gewisse Haltung im Alltag, sagt Körber: "Wir entdecken ein ungewöhnliches Phänomen und stellen Vermutungen darüber an, was das sein könnte. Und wie man das vielleicht testen könnte. Also: Wie kann ich herausfinden, ob meine Vermutung, die ich habe, stimmt?"
Benachteiligungen bleiben auch in der Grundschule stabil
Leider gelingt es auch später in der Grundschule selten, das wissenschaftliche Denken bei allen Kindern zu fördern. Die Studie zeigt: Die im Kindergarten festgestellten Benachteiligungen mancher Kinder bleiben in der Grundschule bestehen, obwohl sich viele Kindergärten und auch Grundschulen bemühen. Sie führen zum Beispiel kindergartengerechte Experimente - wie etwa die Explosion eines Backpulver-Vulkans - durch.
Wichtig ist dabei aber nicht nur, sagt Körber, dass das Experiment begeistert, sondern "dass die Kinder Vermutungen darüber anstellen, warum der Vulkan mit dem Backpulver jetzt ausbricht. Was hat dazu geführt?"
Was Eltern und Grundschule tun können
In der Grundschule sollte verstärkt geübt werden, wie man unterschiedliche Meinungen oder Hypothesen auf den Prüfstand stellt, schlagen die Forscher vor. Und nicht zuletzt sollten Kinder auch lernen, andere Perspektiven einzunehmen. Denn auch das sei eine wichtige Grundlage für wissenschaftliches Denken.
Übrigens hat die Studie keine Geschlechterunterschiede festgestellt. Das Interesse an Wissenschaft und die Fähigkeit, wissenschaftlich zu denken, ist bei Mädchen und Jungen gleich ausgeprägt.