Deutsches Schulbarometer Damit kämpft das deutsche Schulsystem
Deutschlands Schulen haben nicht nur mit Personalmangel zu kämpfen, auch die Lernrückstände sind noch immer gravierend. Das aktuelle Deutsche Schulbarometer zeigt, woran das Schulsystem gerade krankt.
Drei zentrale Herausforderungen sind momentan an den Schulen in Deutschland zu bewältigen: Fachkräftemangel, Lernrückstände und Aufnahmekapazitäten. Das zeigt jedenfalls das heute veröffentlichte Deutsche Schulbarometer. Im Auftrag der Robert Bosch Stiftung werden dafür Lehrkräfte an allgemeinbildenden und beruflichen Schulen befragt.
Die aktuelle repräsentative Stichprobe hat das Meinungsforschungsinstitut "forsa" zwischen dem 31. Oktober und dem 16. November 2022 vorgenommen, und zwar erstmals ausschließlich unter Schulleitungen. Insgesamt nahmen 1055 Schulleiterinnen und -leiter an der Umfrage teil.
Personalmangel überdeckt alle Probleme
Problem Nummer eins ist in den Augen von zwei Dritteln der Befragten der Personalmangel. Die oft angeprangerte schleppende Digitalisierung, schlechte technische Ausstattung, zu viel Bürokratie oder zu hohe Arbeitsbelastung fallen im Vergleich dazu weit ab. Diese Aspekte führen jeweils nur rund ein Fünftel der Befragten als größte Herausforderungen an. Mehrfachnennungen waren möglich.
Das Coronavirus und die damit einhergehenden Maßnahmen spielen nur noch eine untergeordnete Rolle. Im Deutschen Schulbarometer aus dem April 2022 war die Corona-Pandemie noch als drängendste Aufgabe wahrgenommen worden.
Falk Radisch, Professor für Schulpädagogik an der Universität Rostock sagt, der Personalmangel überdecke alles und sei auch in absehbarer Zeit nicht zu beheben. Dafür gebe es auch Hinweise aus der Wissenschaft.
Die Leiterin des Bereichs Bildung der Robert Bosch Stiftung, Dagmar Wolf, sieht in der Bürokratie eine Entlastungsmöglichkeit: "Es ist ein wichtiger Schritt, das Thema Administration an Schulen neu zu denken und hier Verwaltungskräfte an den Schulen stärker zu etablieren." Gleichzeitig müsse aber auch der Lehrerberuf wieder attraktiver werden.
Lernrückstände: Mehr als ein Drittel hängt hinterher
78 Prozent der Schulleitungen sagen, dass sie ihren Schülerinnen und Schülern keine angemessene Unterstützung bieten können. Deutlich wird dies auch bei den Lernrückständen: 35 Prozent der Schülerinnen und Schüler hängen aktuell hinterher, schätzen die Befragten. An Schulen in sozial schwieriger Lage wird die Quote sogar auf fast zwei Drittel beziffert. Die Corona-Aufholprogramme haben ihr Ziel also anscheinend verfehlt.
Gerade einmal 32 Prozent der Schulleitungen geben an, dass die Aufarbeitung fehlenden Unterrichts den erhofften Effekt erzielt habe. 70 Prozent der Befragten wünschen sich dafür weitere Fördermittel.
Schulen am Limit bei Aufnahmekapazitäten
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und die damit einhergehenden Fluchtbewegungen haben auch Auswirkungen auf Deutschlands Schulen. Aus der Ukraine kamen seit März 2022 in etwa so viele Schülerinnen und Schüler wie aus sämtlichen anderen Ländern zusammen, schätzen die Schulleiterinnen und -leiter. Das ist ein Grund dafür, dass etwa ein Viertel der Befragten die Aufnahmekapazitäten an ihren Schulen als erschöpft ansieht.
Darüber hinaus gaben 27 Prozent an, dass die Kapazitätsgrenze bereits überschritten sei. Über die Hälfte der Schulen könne also keine weiteren neu zugewanderten Schülerinnen und Schüler annehmen. Schulen in sozial schwieriger Lage seien hiervon besonders betroffen.
Sprachförderung wird oft nicht gewährleistet
Für die vielen Kinder und Jugendlichen, die aus dem Ausland an eine Schule in Deutschland wechseln, ist besonders eine Förderung der Deutschkenntnisse wichtig. Doch auch das kann an mehr als der Hälfte der Schulen nicht gewährleistet werden, so die Schulleiterinnen und -leiter.
Dramatisch sei die Lage an den Grundschulen: 71 Prozent können keine ausreichende Sprachförderung sicherstellen, zeigen die Daten des Deutschen Schulbarometers. Thilo Engelhardt, Schulleiter der Waldparkschule Heidelberg und Preisträger des Deutschen Schulpreises 2017, sieht auch hier das Kapazitätsproblem als entscheidend an: "Momentan werden die Sprachförderangebote als Erstes gestrichen, wenn wir eine Krankheitswelle haben, damit dann eben die Regelklassen nicht unversorgt bleiben."
Das Deutsche Schulbarometer ist als repräsentative Umfrage angelegt, kann aber wissenschaftlichen Standards nicht in allen Punkten genügen. Dennoch bietet es einen aufschlussreichen Einblick in die momentane Lage an Deutschlands Schulen.