Fund vor der Ilsenhöhle 45.000 Jahre alte menschliche Spuren in Thüringen
Neue Funde aus Thüringen belegen, dass der moderne Mensch schon deutlich früher als bisher angenommen im nördlichen Europa lebte. Dies müsse zu einem "fundamentalen Umdenken" der Besiedlungsgeschichte führen.
Der moderne Mensch besiedelte Mittel- und auch Nordwesteuropa schon deutlich früher als bisher bekannt. Funde aus der Ilsenhöhle in Thüringen belegen, dass dort schon vor mindestens 45.000 Homo sapiens Jahre lebten - damals war es etwa 7 bis 15 Grad kälter als heutzutage.
Das schreibt ein internationales Forschungsteam um Jean-Jacques Hublin vom Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie. Es handle sich um die ältesten bislang gefundenen Überreste von modernen Menschen in Mittel- und Nordwesteuropa. Bisher war die Wissenschaft davon ausgegangen, dass die Widerstandsfähigkeit des Menschen gegen kalte Klimabedingungen erst mehrere tausend Jahre später entstanden war.
Koexistenz mit dem Neandertaler
Zudem zeigen die drei in den Fachjournalen "Nature" und "Nature Ecology & Evolution" veröffentlichten Studien des Instituts, dass Homo sapiens und Neandertaler über Jahrtausende in Europa koexistierten - möglicherweise sogar mehr als 10.000 Jahre lang.
"Die Fundstelle in Ranis erbrachte den Beweis für die erste Ausbreitung von Homo sapiens in die nördlichen Breiten von Europa", sagte Jean-Jacques Hublin, emeritierter Direktor des Instituts. "Es ist jetzt sicher, dass Steingeräte, von denen man dachte, dass sie von Neandertalern hergestellt wurden, definitiv von modernen Menschen stammen."
Ausgrabungen von 2016 bis 2022
Ein internationales Forschungsteam nahm von 2016 bis 2022 Ausgrabungen direkt vor der Ilsenhöhle in Ranis vor. Dazu mussten die Sedimente bis in acht Meter Tiefe freigelegt und die Funde daraus geborgen werden.
Unter einem Felsblock fanden die Wissenschaftler menschliche Knochenfragmente sowie Tausende kleine Knochenbruchstücke von Tieren. Parallel zu den neuen Ausgrabungen wurden auch alte Funde aus der Höhle aus den 1930er-Jahren untersucht. Insgesamt identifizierten die Forscher 13 menschliche Skelettüberreste.
"Fundamentales Umdenken zur Besiedlungsgeschichte"
Diese frühen Menschen bewegten sich in kleinen Gruppen durch die Landschaft, die sie mit großen Fleischfressern wie Hyänen teilten. "Die archäozoologische Untersuchungen zeigen, dass die Höhle in Ranis abwechselnd von Hyänen, überwinternden Höhlenbären und kleinen Menschengruppen genutzt wurde", erklärte Ko-Autor Geoff Smith von der englischen Universität Kent. "Obwohl diese Menschen die Höhle nur über kurze Zeiträume nutzten, verzehrten sie Fleisch einer Reihe von Tieren, darunter Rentiere, Wollnashörner und Pferde."
Es gab offene Steppen, ähnlich denen im heutigen Sibirien oder in Nordskandinavien. Möglicherweise zogen Menschen auf der Jagd nach größeren Tierherden sogar gezielt in diese kalte Region.
"Die Resultate der Forschungen an der Ilsenhöhle in Ranis führen nun zu einem fundamentalen Umdenken zur Besiedlungsgeschichte am Beginn der Epoche des modernen Menschen und zu deren Zeitabläufen", erklärte Tim Schüler vom thüringischen Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie.