Suche nach den Gründen für den Yen-Höhenflug "Gegen jede wirtschaftliche Vernunft"
Seit Monaten kennt der Yen nur eine Richtung: nach oben. Die Stärke der japanischen Währung bedroht die ohnehin angeschlagene Wirtschaft des Landes. Vernünftige Gründe für die Kursentwicklung sind einfach nicht zu finden - und dennoch bleibt der Yen in der Nähe seiner Rekordstände.
Von Peter Kujath, ARD-Hörfunkstudio Tokio
Japans Finanzminister Yoshihiko Noda wird deutlich: "Diese heftigen Ausschläge und hohen Fluktuationen gehen gegen jede wirtschaftliche Vernunft. Die Regierung wird die Entwicklung weiterhin sehr genau beobachten, da die Markt-Tendenzen all unsere Aufmerksamkeit erfordern."
Höhenflug trotz Rekordverschuldung
Es kann nicht die Stärke der japanischen Wirtschaft sein, die im vergangenen Quartal nur um 0,1 Prozent gewachsen ist. Japans Staatsverschuldung liegt auf einem Rekordniveau von mittlerweile 200 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Doch Investoren, die Sicherheit suchen, sehen angesichts der schwierigen Gesamtlage in der Welt am ehesten Stabilität in der japanischen Währung. Denn die Japaner selbst kaufen seit Jahrzehnten zuverlässig die Staatsanleihen, so dass Japans Regierung kaum bei ausländischen Anlegern Schulden hat.
1995 war der Kurs auf den Rekordwert von unter 80 Yen für einen US-Dollar gefallen. Damals kam es zu einer internationalen Intervention, erinnert sich Makoto Utsunomi aus dem Finanzministerium: "Die gemeinsame Aktion hat damals sehr gut funktioniert, weil alle zusammengearbeitet haben. Derzeit verliert der Dollar vor allem gegenüber dem Yen an Wert aber nicht gegenüber anderen Währungen. Die USA sehen deshalb keinen Grund zur Sorge bezüglich Kapitalflucht. Daher ist es sehr unwahrscheinlich, dass die US-Regierung einer gemeinsamen Intervention am Devisenmarkt zustimmen wird." Sollte sich die japanische Regierung entschließen, ohne Rückendeckung aus den USA und Europa Dollar zu kaufen, dann hätte das wenig Aussicht auf Erfolg, meint der mittlerweile pensionierte Utsunomi.
Es bleibt bei Beschwörungsformeln der Politik
Die Regierung steht zwar in engem Kontakt mit der Zentralbank, aber Wirtschaft hat auch mit Psychologie zu tun: Wenn die Investoren an den Märkten spüren, dass es an Strategien mangelt, verlieren sie das Vertrauen. Japans Zentralbank ergriff bereits viele Maßnahmen und kann den Zinssatz kaum noch weiter herabsetzen. Daher bleibt es bei den üblichen Beschwörungsformeln des japanischen Premierministers Naoto Kan: "Die Regierung wird sehr genau die weitere Entwicklung verfolgen. Denn der deutliche Anstieg des Yen ist nicht gut für unser Land. Als nächstes werde ich mit den Vertretern der Wirtschaft darüber sprechen, welche Maßnahmen notwendig sind."
Strahlende Gesichter bei der Urlaubsheimkehr
Die Export-orientierten Unternehmen hatten gerade erst wieder Gewinne vermeldet, dank einer starken Nachfrage vor allem in Asien. Da aber zum Beispiel die chinesische Währung an den Dollar gekoppelt ist, werden japanische Waren wegen des starken Yen auch in China teurer. Das trifft nicht nur die großen Unternehmen, sondern auch die vielen kleinen Zulieferer, die mit asiatischen Firmen zusammenarbeiten. Der Chef einer dieser Firmen in Tokio sagt: "Ich stehe mit dem Rücken zur Wand. Wenn das so weitergeht, muss ich schließen. Der Yen ist so stark wie seit einem Dutzend Jahren nicht mehr. Irgendwann wird er bestimmt wieder fallen, aber das kann ich nicht abwarten."
Während die einen klagen, kehren derzeit viele Japaner von ihrem Sommerurlaub mit einem strahlenden Gesicht heim. Denn die Kosten haben sich für sie dank des starken Yen deutlich verringert.