Vor Stichwahl in Frankreich Mehr Kaufkraft oder später in Rente?
Marine Le Pen plant Entlastungen durch niedrigere Mehrwertsteuersätze. Emmanuel Macron will die Rente mit 65 durchsetzen. Wie stark prägen wirtschaftspolitische Forderungen die Stichwahl um das Präsidentenamt in Frankreich?
Marine Le Pens zentrales Wahlkampfversprechen ist die Stärkung der Kaufkraft aller Französinnen und Franzosen. Und das will sie durch massive Mehrwertsteuersenkungen erreichen. Vor allem bei den stark angezogenen Energiekosten - bei Benzin, Heizöl, Gas oder auch Strom - soll es Entlastungen geben. Hier will Le Pen den Mehrwertsteuersatz von derzeit 20 auf 5,5 Prozent senken.
Ganz runter auf null soll die Mehrwertsteuer bei 100 Produkten des täglichen Lebens: "Die Shampoos, Windeln für die Kinder, Lebensmittel wie Speiseöl, Butter, Nudeln, Reis, Salz, Fleisch, Fisch, solche Sachen eben." Für diese Produkte will Le Pen die Mehrwertsteuer wegfallen lassen, solange die Inflation einen Prozentpunkt höher als das Wirtschaftswachstum ist - derzeit.
Gegenfinanzieren will die extrem rechte Politikerin diese Mehrausgaben unter anderem durch die Streichung von Sozialleistungen für Migranten und durch eine verstärkte Betrugsbekämpfung.
An der Gegenfinanzierung der Verbraucher-Entlastungspläne von Marine Le Pen haben Experten Zweifel.
Staatssschulden und Steuern könnten unter Le Pen steigen
Experten bezweifeln, dass die Rechnung aufgeht. Die liberale Denkfabrik Institut Montaigne sieht am Ende staatliche Mindereinnahmen von rund 100 Milliarden Euro. Bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt hat Frankreich aber schon jetzt eine Staatsverschuldung erreicht, die Experten beunruhigt. "Die Staatsverschuldung liegt in Frankreich jetzt bei 115 Prozent, also auf historischem Rekordniveau", sagt Armin Steinbach, Professor an der Pariser Wirtschaftshochschule HEC. "Eine Le Pen als Präsidentin würde diese Staatsverschuldung weiter in die Höhe treiben und damit natürlich auch Nervosität an den Märkten auslösen."
Um die Staatsschulden in Grenzen zu halten, könnte Le Pen gezwungen sein, mittelfristig die Steuern an anderer Stelle wieder anzuheben, zum Beispiel bei den Unternehmenssteuern. Entsprechend positionieren sich derzeit französische Manager klar für Macron. "Die Industrie und die Unternehmen hoffen auf eine Kontinuität mit Macron", so Christoph Charoy vom aus Bayern stammenden Verpackungskonzern MULTIVAC. "Das Programm von der anderen Kandidatin ist total übertrieben, undurchsichtig. Ich glaube, dahinter ist gar kein richtiges Konzept."
Arbeitslosigkeit im Macrons Amtszeit deutlich gesunken
Die Wirtschaftsbilanz von Präsident Emmanuel Macron kann sich nach Meinung der meisten Experten sehen lassen. Die Arbeitslosigkeit ist so niedrig wie seit 14 Jahren nicht mehr. Auch das Wirtschaftswachstum erreichte im vergangenen Jahr Rekordwerte. Und Frankreich ist wieder zu einem attraktiven Investitionsstandort geworden. "Wir haben im Jahr 2021 den Effekt, dass Deutschland zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder der größte Direktinvestor in Frankreich geworden ist", berichtet Patrick Brandmaier, Hauptgeschäftsführer der Deutsch-Französischen Industrie- und Handelskammer in Paris.
Aber ein zentrales Projekt hat Macron bislang nicht durchgesetzt: die lange angekündigte Rentenreform. Mit dieser ist er nun wieder in den Wahlkampf gezogen: "Weil wir länger leben, ist das einzige Mittel, das wir haben, länger in die Rentenkasse einzuzahlen. Schauen Sie auf unsere europäischen Nachbarn. Das Rentenalter liegt da zwischen 65 und 67 Jahren. Wir haben eines der am weitesten hinterher hängenden Rentensysteme", so Macron.
Präsident Macron plant die Anhebung des Renteneintrittsalters auf 65 Jahre.
Streitthema Rente mit 65
In Frankreich liegt das Renteneintrittsalter derzeit bei 62 Jahren. Macron will das Alter auf 65 Jahre hinaufsetzen. Aber das ist in Frankreich ein großes Aufregerthema. Um linke Wählerschichten nicht zu verschrecken, deutete Macron in den vergangenen Tagen an, dass er bereit wäre, leichte Abstriche an diesem für ihn seit Jahren zentralen Projekt zu machen. Der Pariser Wirtschaftsexperte Steinbach hält das für falsch. "Seine avisierte Erhöhung des Renteneintrittsalters ist im Grunde wirtschaftspolitisch und demografisch die richtige Antwort auf die Herausforderungen", so Steinbach.
Einig sind sich Macron und Le Pen bei der Atomkraft: Beide wollen nicht nur an ihr festhalten, sondern diese auch ausbauen. Sechs neue Reaktoren sind bereits von Macron angekündigt worden, weitere sollen folgen. Die Förderung der Erneuerbaren will der amtierende Präsident jedoch ausdrücklich beibehalten, während Herausforderin Le Pen alle bereits existierenden Windparks in den kommenden Jahren nach Nutzungsende wieder abbauen möchte.