Inflation in New York Lange Schlangen für leere Regale
In New York ist die Teuerung so stark wie seit Jahrzehnten nicht mehr. In manchen Stadtteilen könnte bald jeder Vierte Probleme haben, eine Mahlzeit zu bekommen. Lebensmitteltafeln haben doppelt zu kämpfen.
"In diesem Raum könnte ich normalerweise gar kein Interview geben", sagt Maria Cintron. Sie ist Managerin der Tafel "The HopeLine" in der New Yorker South Bronx. Die kleine Kammer am Ende der Einrichtung ist normalerweise vollgestapelt mit Kartons voller Reis, Nudeln oder Konservendosen. Momentan sei es schwierig, all diese Produkte zu bekommen. "Gemüse und Obst waren für Tafeln schon immer Mangelware, aber jetzt ist auch nicht verderbliche Ware kaum zu kriegen", sagt sie.
Mit fast neun Prozent ist die Inflation in New York so hoch wie seit 40 Jahren nicht mehr. Die hohen Preise treffen Tafeln und Speisekammern in vielerlei Hinsicht: Durch die gestiegenen Preise werden nicht nur noch mehr Menschen bedürftig, da sie sich Waren im Supermarkt nicht mehr leisten können. Auch für die Tafeln werden Lebensmittel immer weniger erschwinglich, denn viele der spendenden Organisationen stehen ebenfalls unter Druck. Die Kammern spüren die weltweiten Nachwehen der Pandemie, Mitarbeitermangel, den Krieg in der Ukraine und das Chaos bei den Lieferketten deutlich.
Bronx ist eine "Lebensmittelwüste"
"The HopeLine" versorgt seit mehr als 30 Jahren bedürftige New Yorkerinnen und New Yorker in der South Bronx. Der Stadtteil gilt wie die meisten armen Viertel in der amerikanischen Großstadt als "Lebensmittelwüste": Das sind Gegenden, in denen frische, gesunde und nährstoffreiche Lebensmittel wie Obst und Gemüse schwer zu bekommen sind. Die Dichte an Bodegas, also kleinen Kiosken, ist oft hoch, aber Supermärkte mit viel Auswahl sind rar.
Schon vor der Pandemie lebten viele Menschen hier in sogenannter Ernährungsunsicherheit. Einer Studie des United Hospital Fund und der Boston Consulting Group zufolge wird es in der Bronx bald jeder Vierte sein, der nicht weiß, wo seine nächste Mahlzeit herkommt.
Pandemie hat Bedarf gesteigert
Einmal im Monat können bedürftige Familien sich bei "The HopeLine" eine Tüte Lebensmittel abholen, allerdings nur nach vorheriger Anmeldung. "Schlangen haben wir deswegen nicht, aber wir wissen genau, wie viele Familien mehr Hilfe brauchen." Seit Beginn der Pandemie haben sich etwa 3000 Familien zusätzlich angemeldet, pro Monat können jedoch maximal 1500 vorbeikommen.
In der Pandemie sind in New York City viele neue Tafeln und Speisekammern entstanden, um die plötzliche Not in den Nachbarschaften aufzufangen. "Das ist zwar gut", sagt Cintron, "aber die Fördergelder der Stadt und der Großsponsoren verteilen sich jetzt auf mehr Einrichtungen. Das heißt, für uns bleibt weniger vom Kuchen." Und wenn es die Zuschüsse dann gibt, dann erschweren es die hohen Preise ausreichend Lebensmittel zu kaufen.
Überall steigen die Preise
Maria Ferrera kommt regelmäßig vorbei, um sich eine Tüte abzuholen. Sie hat in der Pandemie ihren Job verloren und arbeitet seither nicht mehr. Die hohen Preise, die sie in den Supermärkten sieht, machen ihr Sorgen. "Fleisch oder auch Speiseöl sind besonders teuer geworden. Ich habe zu kämpfen, genug Essen zu bekommen für mich und meine Familie. Ich hoffe sehr, dass die Preise wieder runtergehen."
Die kleine Kayla hat sich ein Stofftier aus dem Regal genommen. Ihre Mutter Dayenne lächelt mit ihrer Tochter über das ganze Gesicht, sie ist froh, der Vierjährigen diese Freude machen zu können. "Die Leute hier sind wirkliche Lebensretter", sagt sie. Ihre anderen beiden Kinder sind zwei und sieben Jahre alt, sie arbeitet als Hilfslehrerin in einer Schule, auch ihr Mann hat Arbeit. Trotzdem ist auch bei ihnen das Geld knapp. "Wir kommen einmal im Monat hierher, das hilft uns wirklich sehr. Die Preise im Supermarkt sind so durch die Decke gegangen."
Auch Benzin und Wohnungsmieten sind teuer geworden, erklärt Cintron, ebenso wie Windeln oder Babynahrung. Wenn diese Dinge mehr kosten, reduziere das natürlich das Familien-Budget für Lebensmittel.
Lieferengpässe verstärken das Problem
Mark Cohen ist Professor für Einzelhandel an der Columbia University Business School. Die Regierung "reagiere bereits so aggressiv wie sie könne mit der Anhebung der Notenbankzinsen", sagte er im Interview mit der Nachrichtenseite "The Gothamist". Auch habe Präsident Joe Biden die Öl- und Gasfirmen gedrängt, ihre Produktion zu erhöhen, um Benzinpreise zu senken. Trotzdem rechnet er damit, dass die Preise für Lebensmittel noch mindestens ein Jahr hoch bleiben, bis die Effekte spürbar werden.
"Gerade gestern ist eine unserer Lieferungen endlich verspätet angekommen," erklärt Maria Cintron von der Lebensmitteltafel in der South Bronx. "Momentan haben wir vorne im Ladenbereich einiges an Lebensmitteln zum Verteilen - aber man kann sich einfach nicht darauf verlassen." Ein Lieferant habe neulich Drogerieartikel und Medikamente gebracht, obwohl die Tafel-Mitarbeiterinnen eigentlich mit Gemüse gerechnet hatten. Es sei auch schon vorgekommen, dass Produkte aufgrund der Lieferengpässe verspätet und verdorben bei der Tafel ankamen und weggeschmissen werden mussten.
Dabei sei die "HopeLine" noch besser organisiert als andere: Es gebe Suppenküchen und Tafeln, die nur mit Freiwilligen und ohne Computersystem arbeiten. "Stellen Sie sich vor, da stehen die Leute Schlange um den Block und dann kommen anstatt drei Paletten Lebensmittel nur zwei an. Das ist einfach hart", sagt Cintron. "Wir fangen viel von dem auf, was eigentlich Stadt und Regierung lösen sollten", sagt sie: "Uns ist es wichtig, dass das wahrgenommen wird."