Lira-Schwäche Türkei beschränkt Kreditvergabe an Firmen
Die Regierung von Präsident Erdogan will Firmen dazu zwingen, Devisenreserven zu verkaufen - um die Landeswährung Lira zu stützen. Experten warnen vor wirtschaftlichem Schaden.
Plötzlich steigt die Lira: Von vergangenem Freitag auf Montag um etwa fünf Prozent. Bekam man am Donnerstag noch 18,26 Lira für einen Euro, so war es heute vorübergehend eine Lira weniger. Erneut hat das türkische Finanzministerium die Trickkiste geöffnet, um die heimische Währung zu stabilisieren. Doch die jüngste Maßnahme löst trotz des kurzfristigen Anstiegs bei Experten vor allem Kopfschütteln aus.
Geldhäuser dürfen nur noch Unternehmen, die nicht mehr als circa 900.000 US-Dollar Devisen auf dem Konto haben, Lira-Kredite gewähren. So hat es die türkische Bankenaufsicht beschlossen. Das dürfte einige zum Verkauf ihrer Devisenrücklagen zwingen und so die türkische Währung stärken.
Timothy Ash, Analyst des Vermögensverwalters Bluebay, schreibt auf Twitter, es handle sich um Kapitalverkehrskontrollen - ein Begriff, der bei Investoren und Unternehmern Entsetzen auslöst. Das ändere nichts an der grundsätzlich hohen Nachfrage nach Dollar, Euro und Co, zitiert die Nachrichtenagentur Reuters Ash, der unter anderem als Experte für Schwellenländer gilt. Der türkische Hunger nach Devisen werde getrieben von "hoher Inflation, niedrigen Leitzinsen und einem fundamentalen Vertrauensverlust in die Währung."
Scharfe Kritik von der Deutsch-Türkischen Handelskammer
Murat Ucer und Atilla Yesilada, Wirtschaftsanalysten bei Global Source Partners, kritisieren die Maßnahmen als drakonisch, verzerrend und chaotisch. Zwar helfe das kurzfristig der Währung, weil manche Unternehmen gezwungen sein könnten Devisen zu verkaufen, um weiterhin Kredite aufzunehmen. Allerdings könnten diese ihre Devisen in Eurobonds anlegen oder ins Ausland überweisen, was den Abfluss von Fremdwährung beschleunigen würde. Weiterhin können sie ihre Dollar- oder Eurorücklagen an Banken mit der Option verkaufen, diese in ein paar Monaten wieder zurückzukaufen.
Auch die üblicherweise um diplomatische Töne bemühte Deutsch-Türkische Industrie- und Handelskammer kritisiert den Schritt scharf. Die türkische Regierung greife mit der Maßnahme kräftig in den Finanzmarkt und betriebliche Investitionsentscheidungen ein, so Thilo Pahl, Geschäftsführer der AHK Türkei. "Mittelfristig führt diese Intervention zu einer weiteren Verunsicherung von Investoren. Es werden weniger Investitionen fließen und die türkische Lira bleibt unter Druck", urteilt der Wirtschaftsexperte.
Überraschende Maßnahmen, um eine vom türkischen Präsidenten Erdogan scharf kritisierte Leitzinserhöhung zu vermeiden, zaubert Ankara regelmäßig aus dem Hut. Im Januar wurden Firmen gezwungen, 25 Prozent der in Dollar oder Euro realisierten Exporteinnahmen in Lira zu tauschen. Inzwischen sind es 40 Prozent.
Durchkommen bis zur nächsten Wahl
Kapitalverkehrskontrollen sehen Bankenexperten im Allgemeinen als erhebliche Einschränkungen unternehmerischer Freiheiten. Negative Effekte für ausländische Direktinvestitionen und Wachstum könnten die Folge sei, so die Kritik.
Manch einer fühlt sich an Dezember 2021 erinnert, als die türkische Währung schon einmal bei etwa 18 Lira pro Euro stand und aufgrund einer finanzpolitischen Maßnahme einen noch sagenhafteren Sprung nach oben machte. Damals versprach Ankara den Bürgerinnen und Bürgern, dass der Staat einen möglichen Verlust bei einem weiteren Verfall der heimischen Währung ausgleicht, wenn sie Dollar oder Euro in Lira wechseln und langfristig anlegen. Das stärkte zeitweise das Vertrauen deutlich. Heute steht die türkische Währung aber ähnlich tief wie damals. Wie viele Anleger von dem damaligen Angebot der Regierung Gebrauch machten, war im Nachhinein kaum Thema.
Vieles spricht dafür, dass Erdogan auf keinen Fall seine Ablehnung gegenüber Zinserhöhungen aufgeben will. Damit die Lira nicht völlig abrauscht, kauft er sich durch den Griff in die Trickkiste immer wieder Zeit. Ziel ist ein Durchkommen bis zu den nächsten Wahlen, die spätestens Ende Juni 2023 stattfinden müssen.