Produktion in Europa "Made in Portugal" boomt
Portugal ist zu Europas größtem Fahrradhersteller aufgestiegen. Auch andere Branchen interessieren sich zunehmend für Produktion in dem Land - zumal Lieferungen aus Asien weiterhin stocken.
Wer in diesen Tagen einen glücklichen Menschen treffen möchte, sollte sich mit Pedro Conceição verabreden. Dann führt der Mann durch die Halle seiner Fahrradfabrik östlich von Porto. Er bahnt sich den Weg durch Kartons voller Fahrräder, und für seine Mundwinkel scheinen die Gesetze der Schwerkraft aufgehoben. "In nur vier Jahren ist unser Umsatz gestiegen: Von drei auf 67 Millionen Euro", erzählt er.
Seine Leute produzieren Räder an laufenden Bändern. Die Nachfrage - vor allem aus Deutschland und den Niederlanden - sei so hoch, dass er kaum mehr Mitarbeiter finde. Insgesamt 60 Fahrradfirmen gibt es rund um Porto. Der Unternehmer sagt: "Mehr und mehr Teile kommen wieder aus Europa. Ständig gibt es Firmen, die in Portugal investieren wollen. Wie zuletzt das deutsche Unternehmen Bosch."
Zulieferer in der Nähe
Fachleute sprechen von "Nearshoring”: Durch die Corona-Pandemie sind immer wieder Lieferketten gerissen. Einige Unternehmen verlagern Produktionen nun wieder nach Europa. Luís Castro Henriques, Präsident der portugiesischen Investitionsagentur AICEP, sagt: "Deutsche Firmen haben bemerkt: Ich brauche Zulieferer in der Nähe. Mit Covid stiegen die Investitionsanfragen deutlich."
Besonders die Radhersteller profitieren in Portugal. Viele sprechen von einer Reindustrialisierung. Ein ganzes Cluster von Zulieferern und Herstellern ist bei Porto entstanden. Anfangs "Bike Valley" genannt, nun "Bike Value", produzieren hier rund 60 Unternehmen.
Darunter auch "Carbon Team", eine deutsch-taiwanesisch-portugiesische Kooperation. Sie fertigen Radrahmen aus Karbon, 770 Gramm leicht das Stück. Von wenigen Tausend wollen sie die Produktion in den kommenden vier Jahren auf mehr als 50.000 Rahmen im Jahr steigern. In großen Öfen werden die Teile am Stück gebacken, vor wenigen Jahren noch undenkbar: zu arbeitsintensiv, zu teuer. Heute heißt es hier: Die Produktion rechne sich. Portugal profitiere von Lieferproblemen asiatischer Mitbewerber, jungen, technikbegeisterten Menschen und niedrigen Lohnkosten.
Viel regenerative Energie
Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hat kürzlich untersucht, welche Faktoren für die Standortwahl von Industrieunternehmen wichtig sind. In einem internationalen Vergleich erreichte Portugal vor allem im Bereich "Kosten" einen überdurchschnittlich guten Wert. Das dürfte zum Teil an günstigen Energiekosten liegen: Portugal bezieht seinen Strom bis zu 80 Prozent aus regenerativen Quellen. Aber auch an niedrigen Löhnen: Nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes liegen die Arbeitskosten je Stunde in Deutschland bei 37,30 Euro - in Portugal bei 14,70 Euro.
In der Rangliste des IW erreichte das Land ebenfalls überdurchschnittliche Werte im Bereich "Staat". Bewertet wurden hier die Effizienz von Regierungen, unternehmerische Freiheiten und Rechtsstaatlichkeit. Ein sicheres, vertrauenswürdiges Umfeld ist vor allem IT-Unternehmen wichtig. Fachkreise sprechen von "Friendshoring".
Software lieber aus Europa
Rui Cordeiro ist Vorstand von "Critical TechWorks", einem Joint Venture von BMW mit einem portugiesischen IT-Unternehmen. Derzeit suchen sie 400 Mitarbeiter - pro Jahr. "Viele europäische Unternehmen wollen ihre Software lieber in Europa entwickeln statt außerhalb. Diese Entwicklung gibt es seit einigen Jahren. Und jetzt, durch den Krieg und Covid, wird es noch verstärkt." Portugal profitiert. 70.000 Besucher kamen kürzlich zum Branchen-Treffen, dem Web Summit in Lissabon.
Ein gestiegenes Interesse an Portugal bestätigt auch Thorsten Kötschau, Vorstandsmitglied bei der Deutsch-Portugiesischen Industrie- und Handelskammer. "Portugal konnte sich in den vergangenen Jahren in unterschiedlichen Bereichen sowohl als Investitionsstandort als auch als Zulieferer für deutsche Unternehmen positionieren. Sehr prominent sind Investitionen deutscher Unternehmen in IT-Hubs in Portugal sowie Shared Service Center in weiteren Bereichen wie Finanzen und Personalentwicklung." "Go west" lautet offenbar das Motto vieler Unternehmen, die das Land im Südwesten Europas entdeckt haben.