Bürotürme in Manhattan Der lange Weg zurück ins Office
In Manhattan kehrt der Büroalltag langsam wieder ein. Behörden und Firmen holen ihre Mitarbeiter aus dem Home-Office zurück. Doch bis alles beim Alten ist, könnte einige Zeit vergehen. Von Miriam Braun.
In Manhattan kehrt der Büroalltag langsam wieder ein. Behörden und Firmen holen ihre Mitarbeiter aus dem Home-Office zurück. Doch bis alles beim Alten ist, könnte einige Zeit vergehen.
Die Schlange an Sams silbernem Kaffee-Wagen in Midtown Manhattan ist weiter überschaubar. Seit 24 Jahren verkauft er aus seinem fahrbaren Drei-Mal-Zwei-Meter-Kiosk jeden Morgen Kaffee, Bagels und alles andere, was der eilige New Yorker später an seinem Schreibtisch im Büro frühstücken will.
"Es sind schon einige mehr wieder da", sagt er und meint damit seine Kunden. Aber Sam macht sich keine Illusionen: Manche kämen erst Mitte oder Ende Juni wieder, andere erst im September. "Ich verstehe, dass einige sich das Pendeln auch langfristig gerne sparen wollen. Zu Hause haben sie auch mehr Zeit für andere Dinge, aber für mein Geschäft besorgt mich das schon", sagt er.
Nach Rückkehr zunächst kein Cent Umsatz
Als im vergangenen Jahr Covid-19 und kurz danach die Ausgangssperre über die Stadt hereinbrachen, blieben auch Sam und sein Kaffee-Wagen an der 41. Straße einige Wochen weg. Im Juni kam er zurück, notgedrungen, er musste Geld verdienen: "Am ersten Tag habe ich keinen einzigen Cent Umsatz gemacht", erinnert er sich. Nach einer Woche kamen einige wenige Stammkunden zurück. "Es war auch wichtig Präsenz zu zeigen, dass sie wussten, dass ich wieder da bin und ihren Kollegen davon erzählen."
"Dass Manhattan wirtschaftlich zurückkommt, ist besonders wichtig", sagt Ari Ginsberg, Wirtschaftsprofessor an der NYU Stern School of Business. Insgesamt seien rund 47 Millionen Quadratmeter auf der Insel Büro-Flächen. "Diese Firmen generieren rund ein Zehntel des 60 Milliarden Dollar schweren Steueraufkommens der Stadt", sagt Ginsberg. Addiere man die von den Büros abhängigen Branchen dazu - Dienstleister und Gastronomie beispielsweise -, komme man bald auf ein Viertel der Wirtschaftsleistung von New York City.
Schrittweise Öffnung
Nun sind die Kapazitätsbeschränkungen für Büroräume genauso aufgehoben wie für Museen, den Einzelhandel und Restaurants - immer unter der Bedingung, dass die Abstandsregeln eingehalten werden können.
Auch deswegen erfolge die Öffnung der Wirtschaft in New York schrittweise, sagt Ginsberg. "Eine graduelle Öffnung über den Sommer hinweg macht Sinn, da das Geschäft üblicherweise ohnehin ein bisschen zurückgeht und Firmen ihre Strategien, auch im Hinblick auf Sicherheit, austesten können." Bis September soll eine vollständige Öffnung vollzogen sein. In der Theorie.
Die Straßen in Manhattan sind noch deutlich leerer als vor der Pandemie, aber mit der Rückkehr der Mitarbeiter an die Arbeitsplätze nimmt auch die Zahl der Passanten zu.
Öffentlicher Dienst zurück aus dem Home-Office
Seit Anfang Mai sind rund 80.000 Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes zurück aus dem Home-Office. Nicht ohne Kritik - und erst, nachdem die Stadt 206 Millionen Dollar in weitere Sicherheitsvorkehrungen am Arbeitsplatz investiert hat.
Der Finanzsektor will jetzt in Teilen folgen: Am Montag hat bei der Großbank JPMorgan Chase die schrittweise Öffnung der Büros begonnen. Deren Chef Jamie Dimon hatte sich zuvor deutlich gegen das reine Arbeiten von zu Hause aus ausgesprochen. "Ich werde meine Zoom-Meetings absagen, ich bin damit durch", sagte er jüngst bei einer Veranstaltung des "Wall Street Journal CEO Councils". Seine Bank habe Aufträge nicht bekommen, weil die Konkurrenz persönlich beim Kunden gewesen sei. Diese Erkenntnis sei eine Lehre gewesen. Home-Office funktioniere zudem schlecht für junge Banker und besonders betriebsame Tage.
Dimon hat angeordnet, dass im Sommer immer etwa 50 Prozent der Belegschaft in den Büros der Bank arbeiten. Und er hofft, dass es "im September oder Oktober schon fast wieder wie früher aussehen könnte". Auch Konkurrent Goldman Sachs hat einige Mitarbeiter bereits wieder in den Büros und ruft den Rest dazu auf, ab dem 14. Juni für eine Rückkehr an die Arbeitsplätze in Manhattan jederzeit bereit zu sein. Die Bank of America ist etwas vorsichtiger und peilt den 1. September an.
Dauerhafte Heimarbeit wünschen nur wenige
Viele technische Möglichkeiten waren den Firmen bereits vor der Pandemie geläufig. Die Ausnahmesituation habe die Nutzung und die Bequemlichkeit der Technologien jedoch extrem beschleunigt, sagt Ginsberg. "Auch wenn die Vorzüge des Home-Offices nicht von der Hand zu weisen sind, bestätigen Studien, dass nur rund zwölf Prozent der befragten Arbeiter voll zu Hause bleiben möchten."
Dennoch bleiben auch die Mitarbeiter vieler Verlage, Anwaltskanzleien, Hedgefonds und Marketingfirmen mindestens teilweise zu Hause. Für Unternehmen gehe es bei dem Spagat künftig darum, wie viel hybrid möglich ist, Kostengründe und Mitarbeiterzufriedenheit abzuwägen.
Auch wenn die Auflagen für Innenräume gelockert sind, kehren viele Arbeitnehmer höchstens zeitweise ins Büro zurück.
Niedrigere Löhne bei Home-Office?
Unter anderem die Technologiegiganten Google, Amazon und Co. werden ihren Mitarbeitern vorerst noch viel Freiraum geben, aber langfristig womöglich nicht ohne Preis: "Wenn Mitarbeiter lieber voll ortsunabhängig arbeiten wollen und dadurch ihre Lebenshaltungskosten senken können, dann werden auch die Löhne angepasst", sagt Ginsberg. Der Tech-Gigant Facebook habe bereits solche Mitarbeitergespräche begonnen.
Gleichzeitig setzen die Tech-Riesen weiterhin auf New York als physischen Arbeitsplatz der Zukunft. Facebook hatte im vergangenen Herbst genug Bürofläche angemietet, um seine Belegschaft in New York in den kommenden Jahren zu verdreifachen.
Amazon hat eine Milliarde Dollar für ein elfstöckiges Gebäude in Midtown hingelegt und auch Apple und Google expandieren Medienberichten zufolge im Bereich Immobilien in New York. "Sie haben große Büroflächen erstanden und wollen Tech-Campus eröffnen, wie sie sie in Kalifornien haben", sagt Ginsberg. Gemeinsam werden die Konzerne rund 20.000 Mitarbeiter mehr als vor der Krise in New York beschäftigen können.
Rezessionen wirken lange nach
"Das alles wird nicht über Nacht passieren", räumt Ginsberg im Hinblick auf die Öffnung ein. Wahrscheinlich werde es ein paar Jahre dauern, bis New York zu einer robusten Ökonomie zurückkehrt. Die Vergangenheit habe gezeigt, dass Rezessionen gemessen an leer stehenden Bürogebäuden länger andauern als wirtschaftlicher Abschwung gemessen anhand neu geschaffener Arbeitsplätze. "Auch wenn die Jobs wiederkommen, wird die Situation mit leeren Büroräumen noch ein bisschen nachklingen. Das haben wir nach der Finanzkrise 2008 gesehen", sagt Ginsberg.
Auch Kaffee-Verkäufer Sam weiß: "Die ganze Welt muss sich erholen, alle müssen geimpft sein, nur dann kommen die Arbeiter und auch die Touristen zurück." Dann bräuchten auch die Hotels in Midtown Manhattan wieder alle ihre Mitarbeiter, und es würden Instandhaltung und Dienstleistungen benötigt. Wann auch immer dieser Kreislauf wieder anlaufe, er werde dann immer noch an der 41. Straße Kaffee verkaufen: "Na klar, auf jeden Fall. Das hier, das ist meine Ecke. Bis morgen!"