Interview

Interview mit Ernst Ulrich von Weizsäcker Ist Energie nicht viel zu billig?

Stand: 10.07.2008 08:18 Uhr

Verbraucher mögen über den hohen Benzinpreis klagen - Energie sei trotzdem immer noch viel zu billig, sagt der Wissenschaftler und Politiker Ernst Ulrich von Weizsäcker im Gespräch mit tagesschau.de. Und er weist Wege aus dem Dilemma der Energieverschwendung.

Verbraucher mögen an der Zapfsäule über den hohen Benzinpreis klagen - Energie sei trotzdem immer noch viel zu billig, sagt der deutsche Wissenschaftler und Politiker Ernst Ulrich von Weizsäcker im Gespräch mit tagesschau.de. Und er weist Wege aus dem Dilemma der Energieverschwendung.

tagesschau.de: Herr von Weizsäcker, die Verbraucher stöhnen weltweit unter immer neuen Preissteigerungen beim Benzin. Sie vertreten aber die These, dass Energie zu billig ist - und mit der Zeit immer teurer werden sollte ...

Ernst von Weizsäcker: Ja. Anfang der 80er-Jahre sind die Energiepreise abgestürzt. Damals wäre ein guter Moment für den Staat gewesen, die Preise zu stabilisieren - und sie dann in kleinen Schritten zu erhöhen. Dann hätten wir heute ungefähr die gleichen Energiepreise, wie wir sie tatsächlich haben. Nur: Der Staat wäre sehr viel reicher, oder er hätte andere Steuern senken können. Alle wären vernünftig angepasst,  nirgendwo gäbe es einen Schock, die Energieeffizienz wäre doppelt so hoch wie heute, und die erneuerbaren Energien wären noch weiter gediehen als heute. Mit anderen Worten: Alle wären sehr zufrieden.

 

Zur Person
Ernst Ulrich von Weizsäcker (*1939 in Zürich) ist Klimaforscher und SPD-Politiker. Der Neffe von Altbundespräsident Richard von Weizsäcker leitete u.a. verschiedene Klimaforschungsinstitute und saß dem Umweltausschuss des Bundestages vor. Seit 2006 ist er Dekan der Bren School of Environmental Science and Management der University of California in Santa Barbara.

tagesschau.de: Wozu brauchen wir eine staatliche Preisregulierung - noch dazu nach oben? 

Weizsäcker: Der Staat muss das korrigieren, was der Markt nicht hinkriegt. Der Markt berücksichtigt im Grunde ja nicht die Wertschöpfung aus dem Öl, sondern nur, wie teuer es ist, Öl aus dem Boden zu pumpen und zu vermarkten. Und das war in den 60er- und in den 80er-Jahren schändlich billig. Und entsprechend hat man dann in Saus und Braus gelebt. Die Amerikaner haben eine absurde Autoflotte mit gigantischem Verbrauch aufgebaut. Jetzt jammern sie.

tagesschau.de: Sie sprechen im Zusammenhang mit der bisherigen Preisgestaltung für Energie auch von  "Leninismus" - wieso?

Weizsäcker: Lenin hat gemeint, der Kommunismus gedeiht, wenn die Energie nichts kostet und auch das Wasser nichts und auch das Weißbrot nichts. Mit der Folge, dass die Leute dann ihre Schweine mit Weißbrot gefüttert haben, und dass sie ganz unglaublich und unsäglich viel Energie verschwendet haben. Selbst im sibirischen Winter musste man die Fenster aufreißen, damit es drinnen nicht zu heiß wird. Daran zeigt sich: Wenn eine wertvolle Sache keinen entsprechenden Preis hat, dann geht eigentlich alles schief.

tagesschau.de: Sie haben in Ihrem Buch "Faktor Vier" einen Bauplan für umweltschonendes Wachstum vorgelegt. Aus jeder Kilowattstunde Strom, aus jedem Fass Öl könnte demnach das Vierfache herausgeholt werden. Wie das?

Weizsäcker: Das geht sehr wohl. Als wir das Buch geschrieben haben, hatten ja noch alle die klassischen Glühbirnen. Der Übergang auf die heutigen Sparlampen brachte schon allein den Faktor vier. Inzwischen rollt schon die nächste Generation von LED-Lampen heran. Die sind noch mal zweieinhalbmal so gut - das entspricht einem Faktor zehn gegenüber früher.

tagesschau.de: Und bei Autos?

Weizsäcker: Man kann Autos so bauen, dass die nur noch etwa 1,5 Liter auf 100 Kilometer brauchen. Man kann Häuser so bauen, dass sie so gut wie keine Heizung mehr brauchen. Meine Frau und ich haben so etwas gerade gebaut. Der Nachfolger des Buchs kommt nächstes Jahr, das wird dann "Faktor fünf" heißen. Wir sind also noch ehrgeiziger.

Die Industrie wacht auf

tagesschau.de: Warum haben Sie es nicht gleich "Faktor zehn" genannt?

Weizsäcker: Auf Dauer ist auch ein Faktor zehn zu machen. Aber ich denke jetzt noch für unsere Generation der Ingenieure; die sollten den Faktor fünf anpeilen. Und die Politik muss durch entsprechende Förderung dafür sorgen, dass sich das dann auch lohnt.

tagesschau.de: Wie weit ist die Industrie, was Erzeugung von energiesparenden Produkten angeht?

Weizsäcker: Die Industrie kann nicht sehr kühn in die Zukunft planen. Sie muss sich hauptsächlich nach dem Markt richten. Und der Markt hat ihr in den letzten 25 Jahren immer mitgeteilt: Energieeffizienz ist eigentlich nicht wichtig, sondern es muss schick und modern aussehen.  Dennoch gibt es ein Umdenken - vor allem in Europa, Japan, China und mittlerweile sogar in den USA. Schon in fünf Jahren werden wesentlich energieeffizientere Technologien auf dem Markt sein. General Electrics prahlt inzwischen öffentlich mit der Energieeffizienz seiner Anlagen.

Wenn aus Ölfirmen Waldbesitzer werden

tagesschau.de: Ist es also mehr als PR, wenn sich Ölkonzerne wie BP einen Imagewandel Richtung Biokraftstoffe, Gezeitenkraftwerke und dergleichen verordnen?

Weizsäcker: Es ist viel mehr als PR. Die großen Ölfirmen sind in Sachen Biomasse und Holz sehr aktiv. Das Energieunternehmen Shell soll inzwischen der größte Waldbesitzer der Erde sein. Nur - das ist nicht unbedingt eine ökologisch gute Nachricht. Wenn man Erdöl durch Öl aus Holz oder gar aus Raps ersetzt, dann ist das ökologisch unter Umständen sogar noch schlechter. Die Effizienz ist also im Grunde viel wichtiger als die Ersatztreibstoffe.

tagesschau.de: Die Renaissance der Atomkraftwerke ist eine Botschaft des G8-Gipfels in Japan. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?

Weizsäcker: Man sollte nicht die Illusion aufbauen, Kernenergie wäre die Lösung. Uran ist knapper als Erdgas. Im übrigen wissen wir noch nicht, wohin mit den Abfällen. An sich war der deutsche Ausstiegsbeschluss also ganz vernünftig. Denkbar wäre höchstens eine sehr eng begrenzte Laufzeitverlängerung für sehr sichere Kernkraftwerke. Vielleicht ist das am Ende besser als ein sehr rascher Ausstieg.

Warten aufs Plug-in-Hybrid

tagesschau.de: Sie haben es gerade gesagt: In fünf Jahren haben wir dann vielleicht schon eine Verbesserung. Mit welchen Treibstoffen werden wir in zehn, 20 Jahren Auto fahren, fliegen, und womit werden wir heizen?

Weizsäcker: In den USA denken alle, dass der Strom den Sprit ersetzt. Da geht es um den Plug-in-Hybrid. Das ist ein Hybrid-Auto, bei dem der Strom aus der Steckdose kommt. Das könnte theoretisch mit Windenergie zu betreiben sein, wäre ökologisch relativ vernünftig. Aber das wichtigste ist wie gesagt die Effizienz. Wenn ein Auto nur noch 1,5 Liter auf 100 Kilometer schluckt, dann braucht man sozusagen drei Saudi-Arabiens nicht mehr und kann trotzdem eine vernünftige Mobilität haben.

Das Interview führte Christian Radler, tagesschau.de