Abgasskandal BGH verkündet erstes VW-Urteil
Mehr als vier Jahre nach dem Auffliegen des Abgasskandals entscheidet der Bundesgerichtshof über die zivilrechtliche Verantwortung von VW. Warum ist das Urteil so wichtig?
Worum geht es vor dem BGH?
Der Bundesgerichtshof (BGH) muss über die Klage eines Mannes aus Rheinland-Pfalz entscheiden. Dieser hatte 2014 bei einem freien Händler einen VW Sharan gebraucht gekauft. Nach Bekanntwerden des Abgasskandals im Herbst 2015 verklagte er Volkswagen - er will seinen Wagen an VW zurückgeben und dafür den vollen Kaufpreis erstattet bekommen.
Der Bundesgerichtshof muss nun deshalb klären, ob Volkswagen durch den Einbau der Abschalteinrichtung seine Kunden sittenwidrig geschädigt hat und deshalb Schadensersatz zahlen muss. Nach der Verhandlung Anfang Mai wird der Bundesgerichtshof heute sein Urteil verkünden. Im Juli werden dann noch einmal drei Fälle verhandelt, mit denen Karlsruhe weitere Einzelfragen klären wird.
Wie stehen die Chancen des Klägers?
Nicht schlecht. Zu Beginn der mündlichen Verhandlung hatte der Vorsitzende Richter vorläufig eingeschätzt, wie er und seine Kolleginnen und Kollegen die Sache sehen. Sie gehen wohl davon aus, dass VW durch den Einbau der Abschalteinrichtung den Kläger vorsätzlich sittenwidrig getäuscht hat. Dem Mann sei dadurch auch ein Schaden entstanden, denn er hätte das Auto nicht gekauft, wenn er von der illegalen Abschalteinrichtung gewusst hätte - ein solcher "ungewollter Vertrag" sei ein Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit und damit als solcher bereits ein Schaden. Das spätere Software-Update ändere hieran nichts. Das heißt, der Kläger kann wahrscheinlich eine Rückgabe des Autos gegen Erstattung des Kaufpreises durchsetzen.
Was ist mit einer Anrechnung der gefahrenen Kilometer?
Wahrscheinlich muss sich der Kläger anrechnen lassen, dass er mit dem Auto bereits gefahren ist. Der Gedanke dahinter ist, dass dem Mann zwar sein Schaden ersetzt werden, er gleichzeitig aber nicht von der Sache profitieren soll. Nach deutschem Recht soll lediglich der Schaden beglichen werden, der Schädiger aber nicht bestraft werden - anders als etwa im amerikanischen Recht.
Im konkreten Fall würde das bedeuten, dass VW dem Kläger von den rund 31.500 Euro Kaufpreis nur rund 25.600 Euro plus Zinsen zahlen muss. Der Mann ist sein Auto verhältnismäßig wenig gefahren. Bei anderen Klägerinnen und Klägern könnte der Nutzungsersatz also durchaus höher ausfallen.
Welche Auswirkungen hat das Urteil?
Nach Angaben von VW liegen bei den unteren Gerichten noch rund 60.000 weitere Klagen. Das Urteil des Bundesgerichtshofs bringt für diese Verfahren Rechtssicherheit in wichtigen Grundfragen. Es kann gut sein, dass auf dieser Grundlage weitere Vergleiche geschlossen werden.
Warum gibt es nicht längst ein BGH-Urteil zum Abgasskandal?
Bisher konnte der Autobauer eine Entscheidung durch das höchste deutsche Zivilgericht verhindern, indem er mit Klägerinnen und Klägern Vergleiche schloss. Mehrere zehntausende Einigungen hat es nach Angaben von VW bereits gegeben. Genaue Zahlen sind nicht bekannt. Die Vergleiche haben dazu geführt, dass die Gerichte in den unteren Instanzen, bei denen noch einige Diesel-Klagen liegen, keine klaren Vorgaben hatten, an denen sie sich orientieren konnten.
In dem Fall, der jetzt beim Bundesgerichtshof liegt, wird es auch deshalb zu einem Urteil kommen, weil der Kläger von dem Unternehmen Myright unterstützt wird, das Ansprüche zahlreicher anderer Betroffener durchsetzen will und deshalb ein Interesse an einer Grundsatzentscheidung hat.
Und was ist mit der Musterfeststellungsklage?
Die Musterfeststellungsklage ist beendet, allerdings ohne dass die Frage der Haftung von VW geklärt worden ist. Die Verbraucherzentrale hatte in diesem Verfahren stellvertretend für zahlreiche Autokäufer Volkswagen verklagt - konnte dann aber mit dem Autobauer eine außergerichtliche Einigung erzielen. Zu einem Urteil kam es deshalb nicht. VW hat vielmehr 260.000 betroffenen Kundinnen und Kunden, die sich der Musterklage angeschlossenen hatten, einen Vergleich angeboten - zwischen 1350 und gut 6000 Euro will der Konzern ihnen zahlen, im Schnitt sind das rund 15 Prozent des Kaufpreises. Ihr Auto müssen sie dabei nicht zurückgeben.
Bis Ende April mussten sie sich für oder gegen das Angebot entscheiden. Die allermeisten haben sich nach Angaben des Konzerns dafür entschieden. Die wenigen, die das Angebot nicht angenommen haben, könnten nun noch einmal gegen Volkswagen klagen, dieses Mal aber alleine. Die Verbraucherzentrale hat ihre Muster-Klage mittlerweile zurückgenommen - auch das ist Teil der Einigung mit VW.