Einigung in den USA "Sammelklagen im VW-Abgasskandal vom Tisch"
Finanziell hat VW sich in den USA mit den Behörden geeinigt. Doch: Die Zukunft des Unternehmens bleibt trotzdem unsicher, meint die NDR-Redakteurin Christina von Saß im Interview mit tagesschau.de
tagesschau.de: Wie ist die Einigung zu bewerten?
Christina von Saß: Für VW ist das mit Sicherheit ein Meilenstein. Denn zum einen hat das Unternehmen jetzt endlich Zahlen auf dem Tisch und es ist also klar, wie hoch die Summe voraussichtlich ist, die der Konzern bezahlen muss. Und zum anderen ist auch die Symbolwirkung nicht zu unterschätzen, denn die Botschaft lautet natürlich: Wir haben uns geeinigt, wir haben Buße getan, wir haben Abbitte geleistet, wir haben einen Haken an Dieselgate gemacht, zumindest was Amerika anbelangt und jetzt können wir unseren Blick nach vorne richten und wieder Autos verkaufen.
tagesschau.de: Ist der Abgasskandal für VW in den USA damit wirklich ausgestanden?
von Saß: Ich glaube, dass die Signalwirkung zumindest nicht zu unterschätzen ist. Denn hätte sich Volkswagen nicht geeinigt mit den US-Behörden, dann wäre es zu einem Prozess gekommen. VW hätte vor Gericht gestanden und das zumindest fällt damit jetzt weg.
Christina von Saß arbeitet als Redakteurin beim Norddeutschen Rundfunk in Hannover. Von dort berichtet sie regelmäßig über den VW-Konzern.
Der Markt an sich bleibt dort für VW trotzdem schwierig, da die Amerikaner viele Autos kaufen, zum Beispiel große Geländewagen, die Volkswagen jahrelang nicht im Angebot hatte. Aber das schlechte Image, das VW durch Dieselgate in den USA hat, kann der Konzern zumindest jetzt beginnen, wieder zu verbessern.
tagesschau.de: Es ging zwar um viele Sammelklagen, aber es wurde auch betont, dass die Einigung nicht den Charakter eines Präzedenzfalles hat. Es könnte also weitere Klagen geben und auch staatliche Stellen in den USA drohen mit weiteren Prozessen. Was könnten in den USA noch für Strafen auf VW zukommen?
von Saß: Parallel zum jetzigen Versuch, sich mit den Behörden zu einigen, gibt es immer noch eine strafrechtliche Untersuchung des US-Justizministeriums. Es wäre allerdings denkbar, dass auch diese Untersuchung mit unter den Schirm der großen Einigung genommen wird und dann tatsächlich eingestellt werden. Die Chancen stehen ganz gut, dass die Einigung auch auf die kleineren Untersuchungen und Klagen eine Signalwirkung entfachen. Davon abgesehen gibt es immer noch die Möglichkeit für die einzelnen Autofahrer, VW individuell zu verklagen. Da könnte man sich aber vorstellen, dass viele die Ausgleichszahlung, auf die sich das Unternehmen mit den Behörden geeinigt hat, jetzt einfach mitnehmen. Da ist ja von Summen bis zu 10.000 US-Dollar die Rede. Die Sammelklagen, die für VW so gefährlich gewesen wären, die sind definitiv mit dieser Einigung vom Tisch.
tagesschau.de: Was könnte VW an Strafzahlungen insgesamt verkraften?
von Saß: Bisher hat VW 16 Milliarden Euro zurückgestellt, um die Folgen von Dieselgate zu bezahlen. Es wäre mit Sicherheit so, dass jede weitere Zahlung das Unternehmen vor neue Probleme stellen würde. Zum Vergleich: 2014 hat Volkswagen einen Rekordgewinn von fast 13 Milliarden Euro gemacht, wenn man sich vorstellt, jetzt kommt es zu einer Strafzahlung von 15 Milliarden Dollar, das wären ja dann etwa 13,5 Milliarden Euro, dann hätte man bei VW etwa ein Jahr lang umsonst gearbeitet. Ein ganzer Jahresgewinn ist also mindestens für den Skandal draufgegangen. Einmal kann man das bestimmt verkraften in so einem Konzern aber nicht mehrmals.
tagesschau.de: Hat die Einigung in den USA Auswirkungen auf die VW-Kunden in Deutschland und Europa?
von Saß: Viele Kunden hoffen ja, dass das auch eine Signalwirkung für Europa hat, leider hoffen sie da wohl vergebens. Es ist ja so, dass in der EU 8,5 Millionen Fahrzeuge betroffen sind, die auch die Betrugssoftware eingebaut haben und damit mehr Schadstoffe in die Luft blasen als angegeben. Eine Einigung wie in den USA mit Zahlungen an die Kunden würde hier rund 40 Milliarden Euro kosten und ist sehr unwahrscheinlich. Denn es ist einfach so, dass Betrügereien und Tricksereien, wie sie VW in den USA begangen hat, dort einfach härter verfolgt werden als in Europa.
tagesschau.de: Es gibt inzwischen Druck aus der EU auf VW, Entschädigungen auch an europäische Kunden zu zahlen und auch Klagen. Was ist da für Volkswagen zu erwarten?
von Saß: Die Industriekommissarin der EU hat gefordert, dass die betroffenen Autofahrer in Europa Entschädigungen erhalten sollen, die in der Höhe mit denen, die in den USA gezahlt werden, vergleichbar sein sollen. Ebenso die Verbraucherzentralen, die bemängeln, dass es offenbar in Europa Kunden zweiter Klasse gebe. VW selber hat sich dazu schon ganz unbekümmert geäußert und angekündigt, dass der Konzern nicht vorhabe, Entschädigungen an betroffene deutsche Autofahrer zu zahlen. Es ist einfach so, dass der politische Druck in Deutschland und anderen europäischen Ländern nicht ansatzweise vergleichbar mit dem Druck, der in den USA von staatlicher Seite aus entfaltet wurde und das macht sich VW zunutze.
tagesschau.de: Wie wird VW in Deutschland jetzt voraussichtlich weiter vorgehen?
von Saß: Das Unternehmen hat vor kurzem schon einen Strategiewechsel angekündigt. Man will weg vom Diesel hin zum Elektroauto - das ist das neue Zauberwort, das klingt schick und ökologisch und nicht so dreckig wie der Diesel und hat mit Dieselgate auch nichts mehr zu tun. Strategie 2025 nennt das Unternehmen das. VW will bis 2025 jährlich eine Million Elektroautos produzieren. Zum Vergleich: Zurzeit sind es 68.000 Fahrzeuge pro Jahr, und darin sind auch die Hybridmodelle enthalten. Bei diesen Plänen tun sich allerdings noch viele neue Fragen auf. Erstens: Es ist viel einfacher Elektroautos zu bauen. Die haben zum Beispiel kein Getriebe, wie herkömmliche Modelle. Da fragt man sich dann sofort, braucht man dann noch 600.000 Mitarbeiter, die der Konzern zurzeit weltweit beschäftigt? Wie sollen alle Beschäftigten in diesen Paradigmenwechsel integriert werden? Und zweitens: Elektroautos brauchen leistungsstarke Batterien, da ist das Unternehmen bisher auf asiatische Anbieter angewiesen. Wird VW eine eigene Batteriefabrik aufbauen, in der künftig eigene Mitarbeiter beschäftigt werden, die bisher zum Beispiel Getriebe gebaut haben? All das sind offene Fragen, der Konzern steuert trotz der Einigung auf eine unsichere Zukunft zu.
Das Interview führte Jan-Erik Palm, tagesschau.de