Ein VW Golf steht am 23.01.1978 vor dem Palast der Republik in Ostberlin.

Automodell von Volkswagen Wie der Golf die Stimmung in der DDR retten sollte

Stand: 09.06.2024 03:47 Uhr

Der VW Golf fuhr seit den 1970er-Jahren auch im Osten Deutschlands. Die DDR-Führung importierte Tausende Wagen. Doch auch hier galt: Wer einen ergattern wollte, brauchte Glück und gute Beziehungen.

Der VW Golf war auch in der DDR ein Renner. Eine Zusammenstellung im VW-Konzernarchiv vom August 1989 zeigt, dass gegen Ende der DDR 27.000 Golfs in Ostdeutschland fuhren.

19 Werkstätten waren dort für Volkswagen eingerichtet worden. Sie verfügten über VW-Werkzeuge und bezogen für jährlich acht Millionen D-Mark Original- Ersatzteile. Die Mechaniker wurden regelmäßig von Leuten aus dem Westen geschult.  

Kein Konsum möglich

Mitte der 1970er-Jahre sah sich die noch neue DDR-Führung unter Erich Honecker massiven Problemen ausgesetzt. Die Wirtschaft konnte den Konsumbedarf der Bevölkerung nicht decken. Versuche, den knappen Kaffee zu Muckefuck zu strecken und das als "Veredelung" zu verkaufen, führten zu Volkszorn.

In Anlehnung an die aus der Werbung des Westfernsehens wohlbekannte Kaffeemarke "Jacobs Krönung" wurde höhnisch von "Erichs Krönung" gesprochen. Kaffee war nur ein Indiz. Einer wachsenden Kaufkraft stand kein angemessenes Angebot gegenüber. Die Bevölkerung zeigte nachlassenden Arbeitseifer.

Der Golf soll die Rettung sein

Als Befreiungsschlag wählte die Staatsführung einen Großimport des hochmodernen VW-Golf. Volkswagen war auf der Suche nach neuen Märkten und sondierte im Ostblock, China und Lateinamerika.

Obwohl die Werke voll ausgelastet waren und Kunden lange warten mussten, wurden schnell Angebote geschrieben, Verhandlungen geführt und die Verträge geschlossen. Anfang Dezember 1977 erfuhr die DDR- Bevölkerung, dass sie sich von ihrem vielen Geld etwas Gutes kaufen durfte.

Kalkulation einer Planwirtschaft

Für 10.000 Golfs zahlte die DDR 90 Millionen D-Mark. Nach Kalkulation von Ende 1977 sollten sie je nach Ausstattung zwischen 27.200 und 35.000 "Mark der DDR" kosten. Der Einkaufspreis in D-Mark sollte durch Einkäufe in der DDR gegenfinanziert werden. Nach anderthalb Jahren rechnete der VW- Vorstand dem DDR- Chefverhandler Alexander Schalck- Golodkowski vor, sogar für 108 Millionen D-Mark Rohstoffe und Zulieferteile gekauft zu haben.

Ob die Kompensationsgeschäfte das brachten, was sich die DDR versprach, ist zweifelhaft. Denn in der volkswirtschaftlichen Planung wurde nur der reine Devisenfluss betrachtet. Es wurde ignoriert, dass die Einnahmen von 108 Millionen D-Mark nur durch Aufwand und Kosten in der eigenen Industrie möglich geworden waren. 

"Genex"-Geschäfte

Nach harten Verhandlungen kam das Folgegeschäft zustande. Der DDR-Versand "Genex" nahm den VW-Golf ins Sortiment. "Genex" war ein Service, mit dem Westdeutsche ihre ostdeutsche Verwandtschaft beschenkten, selbstverständlich gegen D-Mark. Zu Weihnachten 1981 erschien der neue "Genex"- Katalog "Geschenke in die DDR". Der Golf wurde zweiseitig beworben: "Das Auto mit den typischen Merkmalen einer neuen Generation". 

Geplant waren einmalig 1.000 Autos. Tatsächlich wurde das Angebot jährlich verlängert, das Volumen stieg bis auf 2.500 Wagen jährlich. Noch ein Vierteljahr vor Fall der Mauer bestellte der fürs DDR- Geschäft zuständige VW-Vorstand Horst Münzner über "Genex" selbst einen Golf für seinen Bruder in der DDR.

Jahrelange Wartefristen

Autos waren in der DDR stets knapp und wurden in den 1980er-Jahren immer knapper. Die Elite fuhr einzeln importierte Citroen und Volvo. Wer in der breiten Bevölkerung Glück, Beziehungen oder solvente Westverwandtschaft hatte, konnte einen Golf ergattern. Unter den insgesamt wenigen Westautos in der DDR hatte VW einen Marktanteil von 75 Prozent.  

Derweil sank der Import aus der Tschechoslowakei, Rumänien und der Sowjetunion. Die eigene Autoproduktion verharrte bei knapp 220.000 Autos pro Jahr. Die Nachfrage konnte nicht annähernd bedient werden. Kaufkraft in "Mark der DDR" war nach wie vor vorhanden. Und nach wie vor mangelte es am Warenangebot.

Der Autohistoriker Peter Kirchberg schreibt von einem Desaster: Schrottfahrzeuge und Totalschäden wurden zu beachtlichen Preisen gehandelt und irgendwie wieder zusammengeflickt. Eine Liste aus dem Zentralkomitee der damaligen Staatspartei SED vom 3. Juli 1989 zeigt, dass für die 560.000 Haushalte in Ost-Berlin 550.000 Autobestellungen offen waren. Die Bestellungen gingen bis ins Jahr 1973 zurück. 

In einer früheren Version des Artikels wurde irrtümlich das Bild eines VW Polo gezeigt.

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Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete das MDR Fernsehen in "Die Außenhändler" am 21. Mai 2013 um 22:05 Uhr.