Verschiedene Lebensmittel liegen auf dem Kassenband eines Supermarkts
Analyse

Debatte über Mehrwertsteuer Steuersenkung gegen teure Lebensmittel?

Stand: 13.07.2022 11:20 Uhr

Wegen der hohen Inflation wird gefordert, die Mehrwertsteuer auf Nahrungsmittel zu senken. Wen das wie stark entlasten würde, hängt von der Ausgestaltung ab. Welche Vorschläge gibt es, und warum ist die Umsetzung schwierig?

Eine Analyse von Hans-Joachim Vieweger, ARD-Hauptstadtstudio

Die Inflation hat vor kurzem den höchsten Stand seit fast 50 Jahren erreicht. Gerade ärmere Haushalte sind von der Teuerung stark betroffen. Könnte eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel für Entlastung sorgen? Der VdK und das Umweltbundesamt sind dafür, die CSU, der grüne Landwirtschaftsminister Cem Özdemir und die Linkspartei ebenso: Sie alle fordern, die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel zu senken - wenn auch in unterschiedlichen Ausprägungen und mit unterschiedlichen Argumenten. Den einen geht es mehr um eine schnelle Entlastung angesichts der Inflation, den anderen um ökologische Aspekte.

EU erlaubt Mehrwertsteuersenkung auf Null

Ein weiterer Hintergrund für die Debatte: Anfang April hat die EU-Kommission die europäische Mehrwertsteuerrichtlinie geändert. Seitdem ist neben dem regulären und dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz auch ein Nullsteuersatz auf lebensnotwendige Güter möglich.

Kurz darauf wurden die ersten Forderungen laut, diese Möglichkeit zu nutzen und die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel, die aktuell in der Regel bei sieben Prozent liegt, ganz zu streichen. Das wäre eine schnelle Möglichkeit, Bürger zu entlasten - angesichts einer Inflation, die bei Nahrungsmitteln im Juni auf 12,7 Prozent stieg. Der Vorschlag stößt in der Bevölkerung denn auch auf große Zustimmung: In Umfragen zeigen sich drei Viertel der Befragten positiv.

Nahrungsmittel sind nicht gleich Nahrungsmittel

Die konkreten Forderungen der Befürworter unterscheiden sich. So hat die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele, "gesunde Lebensmittel wie Obst, Gemüse, Milchprodukte, Mehl, Nudeln" im Blick, spricht zugleich aber von "Dingen, die man für den täglichen Bedarf benötigt". Die Linke hat im Bundestag die Senkung auf Null für "Grundnahrungsmittel" gefordert, ohne dies zu spezifizieren - ähnlich die Forderung der CSU. Von der Konkretisierung hängt aber ab, wie hoch die Steuerausfälle für den Bund sind und wie hoch die Entlastung für die Bürger ausfallen kann.

Das Umweltbundesamt und Umwelt-Organisationen wie Greenpeace wollen zwar auch Veränderungen, sind aber gegen einen pauschalen Verzicht auf die Mehrwertsteuer bei Lebensmitteln. "Wir sollten die Entlastung für die Bürger so anlegen, dass wir die soziale Komponente einlösen, aber zugleich umweltpolitisch vernünftig handeln", sagt Dirk Messner, der Präsident des Umweltbundesamtes. Seine Behörde schlägt auf der einen Seite vor, die Mehrwertsteuer auf Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte (wie Linsen und Bohnen) zu streichen und auf der anderen Seite - wenn auch nicht sofort - die Mehrwertsteuer auf tierische Produkte wie Fleisch und Milch von sieben auf 19 Prozent zu erhöhen. Messners Argument: Für ein Kilo Gemüse oder Obst würde etwa ein Kilo Treibhausgase aufgewendet, die Produktion eines Kilos Fleisch, Wurst und von Milchprodukten sei mit Treibhausemissionen zwischen sieben und 28 Kilo verbunden.

Die Kritik an diesem Vorschlag folgte prompt: Warum denn eine Ananas aus Südamerika steuerlich besser gestellt werden solle als Fleisch aus regionaler Erzeugung, fragte zum Beispiel Katja Hessel, FDP-Staatssekretärin im Bundesfinanzministerium.

Steuerausfälle in zweistelliger Milliardenhöhe

Mit der Frage, welches Lebensmittel im Fall einer Veränderung der Mehrwertsteuer in welche Kategorie fällt, ist aber nicht die einzige Kritik an den Überlegungen verbunden. Ein kompletter Verzicht auf die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel wäre mit zwölf bis 13 Milliarden Euro geringeren Steuereinnahmen verbunden. Eine Entlastung in dieser Höhe müsse zielgenau erfolgen, sagten Vertreter der Ampel-Koalition kürzlich in einer Bundestagsdebatte zum Thema: "Das Geld kann nur einmal ausgegeben werden. Deswegen müssen wir genau überlegen, welche Maßnahmen helfen", so der SPD-Abgeordnete Tim Klüssendorf.

Von Befürwortern wie Marcel Fratzscher, dem Präsidenten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), wird darauf hingewiesen, dass von einer solchen Steuersenkung ärmere Haushalte ganz besonders profitieren. Denn sie verwenden einen größeren Teil ihres Einkommens für Lebensmittel als reichere Haushalte. Doch in absoluten Zahlen sähe es anders aus, erläutert der CDU-Haushaltspolitiker Fritz Güntzler: Ein kompletter Verzicht auf die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel würde einem ärmeren Haushalt eine jährliche Entlastung von 74 Euro bringen, einem reicheren Haushalt dagegen rund 180 Euro.

Würde eine Steuersenkung weitergegeben?

Die angegebenen Größen gelten allerdings nur dann, wenn der Handel die Steuersenkung komplett an die Kunden weitergäbe. Das bezweifeln viele Politiker und Ökonomen und verweisen auf die befristete Mehrwertsteuersenkung in der zweiten Jahreshälfte 2020. Mit der zeitweiligen Reduktion der Mehrwertsteuer (von 19 auf 16 Prozent beim regulären Steuersatz beziehungsweise von sieben auf fünf Prozent beim ermäßigten Steuersatz) sollte in Corona-Zeiten ein stärkerer Konjunktureinbruch verhindert werden. Einer Untersuchung der Bundesbank zufolge wurde die Steuersenkung gesamtwirtschaftlich zu 60 Prozent an die Kunden weitergegeben. Die Forscher des Münchner ifo-Instituts kamen für den Lebensmittelbereich auf 70 bis 80 Prozent.

Dass ein Teil einer Steuersenkung nicht bei den Bürgern ankommt, sondern bei den Handelsketten, "können wir uns nicht leisten", erklärt die Grünen-Abgeordnete Katharina Beck. Andere Politiker aus ihrer Partei wie Landwirtschaftsminister Özdemir können sich aber durchaus einen Verzicht auf die Mehrwertsteuer bei bestimmten Lebensmitteln vorstellen.

Grundsätzliche Kritik an einer Veränderung im Mehrwertsteuerrecht gibt es aber auch: "Die Mehrwertsteuer ist enorm wichtig, sie ist aber auch unübersichtlich und widersprüchlich geworden", sagt etwa der FDP-Politiker Till Mansmann. Schon heute gibt es Regelungen, die kaum verständlich sind: Bei normalen Kartoffeln werden sieben Prozent Mehrwertsteuer fällig, bei Süßkartoffeln 19 Prozent. Bei Äpfeln liegt der Steuersatz bei sieben Prozent, bei Apfelsaft bei 19 Prozent. Eine weitere Differenzierung dürfte das System weiter verkomplizieren.

Hans-Joachim Vieweger, Hans-Joachim Vieweger, ARD Berlin, 13.07.2022 09:42 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Inforadio am 13. Juli 2022 um 06:06 Uhr.