Ladeanschluss für Handys Kampf dem Kabelsalat
Seit Jahren arbeitet die EU daran, einheitliche Ladegeräte für Mobiltelefone und andere Elektrogeräte einzuführen. Mehrere Anläufe scheiterten. Jetzt soll ein neuer Versuch starten.
Essen, Lesen, Serien gucken: Wie nutzt man die Zeit des Corona-Lockdown sinnvoll? Die SPD-Europaabgeordnete Evelyne Gebhardt hat ihre Schubladen aufgeräumt: "Es ist erstaunlich, wie viele Ladegeräte dabei zum Vorschein kamen", sagt sie. "Und natürlich ist es wahnsinnig nervig, wenn man immer wieder nach dem richtigen Ladegerät suchen muss."
Der Grünen-Europaparlamentarierin Anna Cavazzini geht es ähnlich, sie ist Vorsitzende des Parlamentsausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz: "Unterschiedliche Familienmitglieder haben unterschiedliche Geräte. Kauft man sich ein neues, dann wächst der Kabelsalat. Das braucht man alles nicht. Mit einem einzigen Kabel würden wir diese Probleme mit einem Schlag lösen."
Freiwillige Lösung wirkt nicht
Diese Erkenntnis ist nicht neu, sondern schon mehr als zehn Jahre alt. 2009 kündigte der damalige EU-Industriekommissar Günter Verheugen ein universelles Ladegerät für Handys an. Zehn führende Hersteller von Mobiltelefonen verpflichteten sich gegenüber der Kommission, eine gemeinsame Lösung zu entwickeln. Verheugens Hoffnung: Im Sommer 2010 sollten neue Geräte mit einheitlichem Anschluss auf dem Markt sein. Es passierte: nichts.
Vier Jahre später forderte das EU-Parlament in der Funkgeräterichtlinie, einheitliche Ladegeräte für Mobiltelefone und Tablets zu entwickeln. Aber die EU-Kommission machte weiter wenig Druck. Sie setzte darauf, dass sich die Hersteller untereinander einigen.
Das reiche nicht, sagt die Grünen-Politikerin Cavazzini: "Wir sehen ja: Der freiwillige Ansatz, den die EU-Kommission jahrelang verfolgt hat, ist immer noch nicht erfolgreich. Es gab ein paar kleinere Fortschritte. Aber noch immer gibt es überall einen riesigen Kabelsalat, und es gibt Hersteller, die sich eben nicht daran halten, endlich einheitliche Ladekabel herzustellen."
Das Strippengewimmel ist nicht nur lästig, sondern auch umweltschädlich: Mehr als 16 Kilogramm Elektroschrott entfallen pro Jahr auf jede Bürgerin und jeden Bürger in der EU, darunter alte Stecker und Kabel - oder neue, denn zu jedem Gerät wird ja immer ein Ladegerät mit verkauft.
Drei Anschlüsse auf dem Markt
Immerhin lichte sich das Kabeldickicht langsam, betont Christophe Grudler (Mouvement démocrate), Mitglied der liberalen Renew-Fraktion im EU-Parlament: "Vor zehn Jahren gab mehr als 30 verschiedene Kabel, jeder Hersteller hatte seinen eigenen Stecker. Heute haben praktisch alle neuen Smartphones einen USB-C-Anschluss, einen weit verbreiteten Standard. Es ist also viel einfacher."
Tatsächlich gibt es derzeit drei verschiedene Ladeanschlüsse auf dem Markt: Ältere Android-Handys verwenden Micro-USB, neuere setzen auf den Standard USB-C, der Apple-Konzern bietet einen eigenen Anschluss namens Lightning an. Bei dem US-Konzern erkennt die Sozialdemokratin Gebhardt wenig Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit anderen Herstellern: "Dieses Unternehmen verfolgt weiter die egoistische Strategie, eigene Ladegeräte sehr teuer zu verkaufen, um zusätzliche Einnahmen zu generieren."
Die Aussage von Apple, gemeinsame Standards hätten eine hemmende Wirkung auf Innovationen, sei ein Scheinargument, so Gebhardt: "Dann dürften wir auch keine gemeinsamen Steckdosen haben." Die Europapolitikerin verlangt einheitliche Ladegeräte nicht nur für Smartphones und Tablets, sondern auch für andere Geräte des Alltags: Elektro-Rasierer oder akkubetriebene Radlichter.
"Egoistische Strategie": Apple setzt weiter auf seinen eigenen Ladekabel-Standard.
Universelles Ladegerät = mehr Wettbewerb
Auch nach Ansicht von Andreas Schwab (CDU), Binnenmarktsprecher der christdemokratischen EVP-Fraktion im EU-Parlament, steht ein einheitliches Ladegerät neuen technischen Entwicklungen nicht im Wege: "Wenn der Innovationsvorgang auf dem Gerät stattfindet, gibt es keinen Grund, auch noch das Kabel mit in die Innovation zu ziehen, weil das nur für Ladung benutzt wird."
Ein universeller Anschluss würde sogar für mehr Wettbewerb sorgen, sagt der CDU-Politiker Schwab. Er verweist auf die Einführung des GSM-Mobilfunkstandards - einheitliche Frequenzen in Europa hätten den Wettbewerb auf Geräte und Hersteller verlagert: "Das hat unter dem Strich dem Wettbewerb geholfen und nicht etwa - wie manch einer aus der Industrie vielleicht sagt - irgendwelche regulatorischen Barrieren geschaffen. Im Gegenteil: Es hat den Wettbewerb auf einem einheitlichem technischem Standard ermöglicht."
Regeln auch fürs kabellose Laden
Die Kabel sind nicht die einzige Herausforderung: Viele neue Handys kommen ganz ohne aus, sie lassen sich über Ladestationen mittels Induktion aufladen - aber auch da setzen die Hersteller auf unterschiedliche Standards. Außerdem ist kabelloses Laden von Mobiltelefonen zwar bequem, aber es verbraucht mehr Strom.
Für den französischen Liberalen Grudler ist deshalb klar: Auch dafür braucht es Regeln. "Das Problem ist, dass das kabellose Aufladen viel Energie verbraucht - dabei geht zwischen 50 und 80 Prozent der Energie verloren."
Anwälte der EU-Verbraucher?
Die EU-Kommission hat vor einem Jahr ihren Aktionsplan zur Kreislaufwirtschaft vorgelegt, er ist zentraler Bestandteil des "Green Deal", der die Gemeinschaft bis 2050 klimaneutral machen soll. Nach Kommissionsangaben entsteht die Hälfte der gesamten Emissionen klimaschädlicher Treibhausgase dadurch, dass Rohstoffe gewonnen und verarbeitet werden.
Derzeit werden weniger als 40 Prozent des gesamt Elektro- und Elektronikabfalls in der EU recycelt. Um die Müllmenge zu verringern, regt die Kommission unter anderem die Einführung eines einheitlichen Ladegerätes an - rund zehn Jahre nach dem ersten Anlauf.
Die Abgeordneten des EU-Parlaments erwarten jetzt konkrete Vorschläge - auf jeden Fall bis Ende dieses Jahres. Sie sehen sich gerne als Anwälte der Verbraucherinnen und Verbraucher. So haben sie Mitte 2017 nach jahrelangem Ringen die Abschaffung der Roaming-Gebühren fürs mobile Telefonieren durchgesetzt. Der Kampf gegen den Kabelsalat hingegen dauert an.