Fluggastrechte Erst beim Abflug zahlen?
Flugreisende müssen schon bei der Buchung den vollen Ticketpreis zahlen. Verbraucherschützer machen sich angesichts chaotischer Zustände in der Branche dafür stark, das zu ändern. Die Airlines halten dagegen.
Verbraucherschützer fordern ein Ende der Praxis, dass Flugpassagiere schon bei Buchung ihrer Reise den vollen Ticketpreis bezahlen müssen. "Passagiere sind es leid, den Airlines zinslose Kredite zu geben, bei abgesagten Flügen auf den Kosten sitzen zu bleiben oder im schlimmsten Fall das Risiko einer Insolvenz tragen zu müssen", sagte Marion Jungbluth vom Bundesverband der Verbraucherzentralen (VZBV) dem "Handelsblatt".
Von der Bundesregierung verlange man, die Vorkassepraxis zu reformieren. Gezahlt werden solle künftig erst beim Check-in. Auch das von SPD und CDU regierte Land Niedersachsen hat sich mit einer Bundesratsinitiative den Vorstoß der VZBV zu eigen gemacht. Unterstützung hat zudem das grün geführte Bundesministerium für Umwelt und Verbraucherschutz signalisiert.
Mehr Beschwerden
Die Fluggesellschaften seien in der Pflicht, bei berechtigten Ansprüchen Erstattungen, Ausgleichszahlungen und Entschädigungen schnell und unbürokratisch zu leisten, sagte gestern ein Sprecher der Verbraucherschutzministerin Steffi Lemke (Grüne). Es gehe darum, die Verbraucherrechte zu stärken.
Der Anstieg von Beschwerden bei der Schlichtungsstelle könnte darauf hindeuten, dass dies derzeit nicht ganz reibungslos verlaufe. Wenn dies keine gute Entwicklung nehme, werde das Ministerium die Vorkasse-Praxis überprüfen.
Zinsnachteile für Kunden
Allerdings existieren bereits drei Urteile des Bundesgerichtshofs, der noch im Jahr 2016 das Vorkasseprinzip der Airlines für rechtmäßig erklärt hat. Die Verbraucher seien durch die EU-Fluggastverordnung ausreichend geschützt und das Insolvenzrisiko durch staatliche Kontrolle in Grenzen gehalten, befanden die Bundesrichter. Mögliche Zinsnachteile der Kunden würden regelmäßig durch Preisvorteile bei frühen Buchungen ausgeglichen.
Seitdem haben sich die Zeiten aber geändert, meinen die Verbraucherschützer, die nun auf eine Gesetzesänderung dringen: Nur kurze Zeit nach dem BGH-Urteil blieben Tausende Kunden der insolventen Air Berlin bis auf Weiteres auf ihren Ticketkosten sitzen. Es folgten der Chaos-Sommer 2018 und schließlich der Corona-Schock im März 2020. Hunderttausende Tickets wurden von jetzt auf gleich storniert, der Lufthansa-Konzern schaltete die automatisierte Erstattung ab, um nicht durch den Abfluss von Kundengeldern in Milliardenhöhe direkt in die Pleite abzustürzen.
Tausende Flüge annulliert, viele Verspätungen
Beim Neustart in diesem Sommer kam es in der Luftverkehrsbranche zu massiven Problemen und Verspätungen. Wegen fehlender Arbeitskräfte an den Flughäfen und in den Jets führten musste allein die Lufthansa in München und Frankfurt bis zu 7000 Flüge streichen. An den NRW-Flughäfen waren von Mitte Mai bis Mitte Juli mehr als 258.000 Passagiere von Flugausfällen betroffen, wie die Landesregierung in Düsseldorf berichtete. Auch bei der Schlichtungsstelle für den Öffentlichen Personenverkehr (SÖP) sind die Fallzahlen laut "Handelsblatt" um mehr als das Doppelte gestiegen.
Betroffene haben in vielen Fällen das Recht auf eine Erstattung des Ticketpreises innerhalb von sieben Tagen sowie auf Entschädigungszahlungen zwischen 250 und 600 Euro. Die EU-Fluggastrichtlinie, die Passagieren diese Rechte einräumt, gilt bereits ab drei Stunden Verspätung.
"In der Praxis funktioniert das Recht nicht", kritisiert Helga Zander-Hayat von der Verbraucherzentrale NRW. Eine Sprecherin der Lufthansa sagte dagegen: "Trotz der vielen Flugplanänderungen leisten wir die Erstattungen nahezu vollständig in der vorgegebenen Frist von nur sieben Tagen. Insofern gibt es für diese politische Initiative keinen Anlass."
Einschränkungen bei Frühbuchertarifen?
Die Vorkasse sei international und auch in anderen Dienstleistungsbranchen üblich, argumentiert der Branchenverband BDL. "Die Fluggesellschaften erhalten durch die Vorkasse Planungssicherheit und können ihre Flugzeuge optimal auslasten, was positiv für das Klima ist. Ihren Kunden können sie im Gegenzug dafür attraktive Frühbucherrabatte anbieten", sagt BDL-Hauptgeschäftsführer Matthias von Randow. "Ein Ende der Vorauskasse würde in der Konsequenz bedeuten, dass die Tickets teurer würden: Das Ausfallrisiko müsste inkludiert werden, auf alle Tickets umgelegt und damit mitfinanziert werden."
Im Bundesverkehrsministerium sieht man den niedersächsischen Vorstoß skeptisch. Man werde den Vorschlag prüfen, sagte ein Sprecher des Ministers Volker Wissing (FDP) dem "Handelsblatt". Grundsätzlich strebe die Bundesregierung aber eine EU-weite Lösung an, weil nationale Regelungen umgangen werden und zu Wettbewerbsnachteilen führen könnten.
"Gering ausgelastete Flüge könnten gestrichen werden"
Lars Watermann vom Fluggastrechteportal "EUflight.de" glaubt nicht daran, dass eine Abschaffung der Vorkasse hilft. "Kein einziger unregelmäßiger Flug würde dadurch pünktlicher oder nicht annulliert. Es würde eher der Trend verstärkt, dass bei zu geringer Auslastung Flüge gestrichen werden." Nach seiner Einschätzung sollten höhere Ausgleichszahlungen der Airlines der Hebel sein.
Im Hintergrund geht es um mehr. Tschechien will das Thema Fluggastrechte möglicherweise noch in diesem Jahr im Rat der Europäischen Union neu verhandeln. Die EU-Kommission hatte bereits 2013 unter anderem vorgeschlagen, die seit 2004 bestehenden Entschädigungsansprüche erst nach fünf Stunden auszulösen und zudem neue "Enthaftungsgründe" einzuführen, bei denen die Airlines nicht zahlen müssten.