Steigende Preise Sogar der Ein-Euro-Shop wird teurer
Alles wird teurer - sogar in Geschäften, die "billig" zum obersten Gebot ihrer Marketingstrategie erhoben haben. So macht sich die Inflation auch in Ein-Euro-Shops bemerkbar.
Sommerwetter in einer Hamburger Fußgängerzone. Carolin Schnor ist mit ihrer fünfjährigen Tochter unterwegs. Ein Eis würde für Abkühlung sorgen, und das Mädchen soll zumindest ab und zu ein kleines Geschenk bekommen - aber schon 1,60 Euro für eine Kugel Eis ist für Schnor nicht wenig Geld. Also vielleicht ein kleines Plastikspielzeug aus dem Ein-Euro-Laden? Doch auch im "Euroshop" um die Ecke ist seit Kurzem nichts mehr so, wie es mal war. "Alles teuer. Die Wasserpistole hab ich genommen, sie kostet jetzt aber auch 1,10 Euro statt einen Euro. Früher war es hier insgesamt preiswerter, das ist schon immer so ein Schock, die erhöhten Preise generell", sagt Schnor.
Niedrige Preise verleiten zu "Impulskäufen"
Deutschlands Innenstadt-Billigläden - von Tedi über Action und Thomas Philipps bis zum "Euroshop" - haben in der Corona Zeit zwar gelitten, doch nun treibt ihnen die galoppierende Inflation fast unbemerkt zum Teil ganz neue Kunden zu. Auch Bürger der Mittelschicht gucken manchmal in den sogenannten Non-Food-Discountern vorbei, in denen es von Plastikspielzeug über Schreib- und Haushaltswaren bis zu Textilien alles für ein paar Euro gibt.
"Ich schau mich nur um", sagt eine Kundin, die hier angeblich sonst nie kauft. Sie kommt dann doch mit ein paar Kleinigkeiten wie Plastikdosen, Seife, Sudoku-Heftchen und Briefumschlägen aus dem Laden. "Impulskäufe" nennen das Experten, die sich mit der Strategie der Billig-Branche beschäftigen: Man sucht nichts und findet dann aber doch so einiges - gerade auch durch den scheinbar so günstigen und überschaubaren Fixpreis.
Das Sortiment in den Regalen ist riesig: "Alles für den täglichen Bedarf", sagen die einen - "Ramschware, die keiner wirklich braucht", sagen die anderen. Ansichtssache, gerade wenn man wenig Geld hat. Es sei eben doch immer sehr preiswert hier, schwärmt eine Stammkundin vor einem weiteren Euroshop, nur ein paar Hundert Meter vom ersten entfernt - sie kommt alle paar Tage mal vorbei. Heute hat sie gegen die Hitze Sonnenhüte mit "Hamburg"- Aufdruck erstanden. 30 Euro pro Woche gebe sie insgesamt in diesen Läden aus.
Ein-Euro-Shops weichen Strategie auf
Doch der Schein ist trügerisch, und manches Schnäppchen hält nicht lange. Dazu stockt der Nachschub wegen Corona. Bei einer Sortimentgröße um die 2000 Artikel zum Beispiel allein bei Euroshop, die mit ständig wechselnden Preisen angepriesen werden, wird der Lagerstand bisweilen eng. Die Lieferengpässe setzten auch der Branche der Billigläden stark zu. Die Kette Euroshop weicht beispielsweise vom ehemals festen Billigpreis von einem Euro nach und nach immer weiter ab.
Handelsexperte Thomas Roeb von der Universität Bonn-Rhein-Sieg sieht bei Preiserhöhungen dennoch eine Strategie mit guten Chancen - auch wenn die Kalkulation des Kunden, alles für exakt einen Euro kaufen zu können, unbestreitbar Vorteile hatte. "Wenn man jetzt von diesem Konzept nach oben abweicht", so Roeb, "und man den Konsumenten damit für einen Moment vielleicht verwirrt, und wenn die Angebote dann aber wirklich weiter günstig sind und es bleiben, dann wird man auch auf einer höheren Preisebene gut verkaufen können."
Dies funktioniere auch dann noch, wenn Preisstufen weit oberhalb der Ein-Euro-Grenze eingezogen würden, sagt Roeb. Gerade auch durch die steigende Inflation werde der Kunde weiter erreicht: "Ich denke, dass die Inflation und der Kaufkraftverlust dazu führen werden, dass Konzepte, die wirklich preiswert sind, an Umsatz zulegen."
Unübersichtlicher Markt, neues Konzept
Der Markt der Billig-Ketten ist generell unübersichtlich. Einige Firmen haben auf große Läden für den gesamten Hausstand gesetzt und Tausende Quadratmeter vor der Stadt angemietet, andere besetzten jeden kleinen Fleck der Innenstädte. Hier ist Tedi mit 1800 Filialen Marktführer. Auch Action hat circa 400 Filialen in Deutschland. Die Handelskette Euroshop mit rund 350 Filialen wollte eigentlich in den nächsten Jahren sogar expandieren. Presseanfragen gegenüber ist die Branche traditionell zurückhaltend: zu Marktstrategien und Preisgestaltung kein Kommentar. Tedi erklärt schriftlich, man bekleide in Pandemiezeiten sogar eine "sozial-ausgleichende Rolle".
Beim Gang durch den Euroshop zeigt sich deutlich ein verändertes Konzept: An den traditionell schmucklosen Regalen mit Billigware sind jeweils unübersichtliche kleine Tabellen der aktuellen Aktionspreise geheftet. Der ehemals alles überragende Slogan "Ein Euro" bei Hunderten Produkten ist überall im Laden dem großen und sehr allgemeinen Schriftzug "Kleinste Preise" gewichen. Man muss schon sehr genau hinsehen - zwischen Bürsten, Spielwaren und Strandförmchen. Denn unter den Produkten steht jetzt meist 1,10 Euro, 1,50 Euro und mehr.
"Nur noch diese Billigläden"
Viele Stammkunden sind am Ende hin und hergerissen: Alles ist immer noch irgendwie preiswert, aber oft ist eben ein Produkt auch 50 Prozent teurer als früher: "Alles hat sich erhöht, gerade in den Läden hier auch", sagt eine Frau, die gerade eine Sonnenbrille gekauft hat. "Ich glaube, das Konzept war mal dieses Ein-Euro-Ding. Es wird aber alles teurer. Und man muss halt schauen, wo man sparen kann - jeder Cent zählt."
In einigen Stadtteilen Hamburgs beispielsweise dominieren mittlerweile die Billigläden: Den Euroshop gibt es an manchen Orten gleich mehrmals im Umkreis von wenigen Hundert Metern, daneben locken Läden mit billigen Schuhen, Haarshampoo in großen Mengen, T-Shirt-Läden - und auf so manchem Wochenmarkt werden Textilien ab zwei Euro angepriesen.
Im Schatten der "Discounter Preisoase" sitzen zwei Rentnerinnen. Sie haben gerade günstig einen Koffer erstanden. Aber was nützt schon billig, wenn es nicht nur im Portemonnaie fehlt, erzählen sie nachdenklich. "Es sind so viele Geschäfte, die alle rausgehen. Uns fehlt hier ein echtes Klamottengeschäft oder ein Fischladen - das gab es hier alles mal. Aber jetzt ist hier ja nix mehr, nur noch diese Billigläden."
Und die boomen. Auch wenn bei Ein-Euro-Packungen jetzt manchmal auch ein Stift oder ein Schwamm weniger drin ist, wie Julia Wacker mit ihrem Sohn festgestellt hat: "Wir haben gerade diese Großpackung Schwämme für einen Euro gekauft, dann Gewürze und einen Schreibblock für die Schule. Man braucht es. Und man hat ja wenig Geld. Aber die kleinen Teile summieren sich dann und kosten ja inzwischen häufig auch weit mehr als einen Euro." Neue Konzepte, neue Preise.