Max Viessmann
interview

Viessmann verkauft Wärmepumpensparte "Die sind sich der sozialen Verantwortung bewusst"

Stand: 26.04.2023 21:45 Uhr

Der Wärmepumpenhersteller Viessmann verkauft sein Kerngeschäft an einen US-Konzern. Im Interview mit tagesschau.de erklärt CEO Max Viessmann, warum er glaubt, dass der Verkauf notwendig ist und die Amerikaner den Standortvorteil Nordhessen schätzen.

Von Von Werner Schlierike, hr

tagesschau.de: Herr Viessmann, Ihre Firma verdient gerade sehr gut und ausgerechnet jetzt, wo ja auch noch ein milliardenschweres Konjunkturprogramm für Wärmepumpen entsteht, da verkaufen Sie an ein ausländisches Unternehmen. Für Außenstehende scheint das widersinnig zu sein.

Max Viessmann: Wir müssen als Unternehmen massiv in den Strukturwandel investieren. Das ist im Wesentlichen der Tatsache geschuldet, dass wir als Marktführer für Wärmepumpen in Deutschland einen Markt vorgefunden haben, der in der Vergangenheit ein Nischendasein hatte und jetzt in sehr kurzer Zeit auch aufgrund von regulatorischen Entscheidungen zu dem dominanten Marktsegment wird. Das bedeutet, dass wir unsere über 100-jährige industrielle Vergangenheit in wenigen Monaten und Wochen umbauen müssen. Das erfordert sehr viele Mittel.

Aber das allein ist es nicht, sondern es erfordert auch noch viele Mittel, das Wachstum zu finanzieren. Also, für uns ist eher die relevante Frage: Wie entwickelt sich eigentlich mittelfristig unsere Liquidität, um diesen Wandel gestalten zu können? Und dort sind wir als Unternehmerfamilie, die zu 120 Prozent in das Familienunternehmen investiert, in unseren eigenen Möglichkeiten beschränkt. Wir können nur das investieren, was wir verdienen beziehungsweise die Verschuldung anheben. Das haben wir in den letzten Jahren getan, um den Wandel sicherzustellen. Und wir sind jetzt an dem Punkt, wo wir nach vorne gerichtet einen noch beschleunigten Wandel vorfinden, den wir mitgehen wollen und das auch mitgehen können durch die jetzt formierte Partnerschaft.

Ist internationale Marktführerschaft noch möglich?

tagesschau.de: Heißt das denn im Umkehrschluss, dass kein deutscher Mittelständler, kein Familienunternehmen mehr ein Marktführer, auch kein internationaler Marktführer mehr sein kann?

Viessmann: Wir sind als Familienunternehmen in anderen Geschäftsbereichen, in denen wir unterwegs sind, Marktführer. Wir waren in den Klimalösungsgeschäften immer ein Marktführer in Deutschland für die einzelnen Segmente. Aber die Welt ist groß und wir sind mit einer Wettbewerbslandschaft konfrontiert, die vor allem dominiert ist durch Klimagerätehersteller - und Klimageräte kommen nun mal sehr stark in Asien und Amerika zum Einsatz.

Die Größenvorteile, die die Gerätehersteller haben, kann man eins zu eins auf die Wärmepumpe übertragen. Die Komponenten der Klimageräte sind vergleichbar mit denen der Wärmepumpe. Das bedeutet, dass wir in der Nische, in der wir vorher unterwegs waren, in Europa sehr erfolgreich waren, aber jetzt mit einem internationalen Markt konfrontiert sind, der es notwendig macht, dass man Zugang zu diesen größten Vorteilen hat.

Das hätten wir aus eigener Kraft nicht gekonnt in dieser Branche. Mit Carrier haben wir einen Partner gefunden, der diese Größenvorteile hat, in Asien wie auch in Nordamerika - der aber eine Marktlücke für sich hat in Europa, die er mit der Zusammenarbeit mit uns schließen kann. Warum ist das so wichtig für uns? Weil wir dadurch sicherstellen, dass es eben nicht um Kosteneinsparung geht, sondern darum, das Wachstum zu finanzieren und diese beiden Einheiten erfolgreich zusammenzubringen.

Eine Produktionshalle mit Angestellten bei der Arbeit.

Die Fertigungshalle für Wärmepumpen bei Viessmann.

"Wir haben mit dem Standort Garantien, die sehr umfangreich sind"

tagesschau.de: Der Wirtschaftsstandort Deutschland ist ein ziemlich teurer. Jetzt gibt es gestaffelte Garantien für Arbeitsplatz und Standort nach drei, fünf und zehn Jahren. Aber die gehen letzten Endes ja auch schnell rum. Haben Sie den Eindruck gewinnen können, dass es danach noch weitergeht am Standort in Nordhessen? Oder wird dann Schluss sein wie schon bei anderen Unternehmen, deren Produktion dann nach Osteuropa verlagert worden ist?

Viessmann: Ich glaube, man muss zwei Sachen sehen. Zum einen ist es so, dass beispielsweise unser Standort in Nordhessen in Allendorf so erfolgreich ist, weil er eben so produktiv agiert. Die Menschen sind mit viel Leidenschaft dabei, haben einen permanenten Optimierungswahn. Das heißt, da sind es weniger die Lohnkosten, die im Vordergrund stehen, sondern einfach die Produktivität und die Art der Produkte, die man hier fertigt. Und das ist auch Carrier bewusst, dass das eine Riesenstärke des Unternehmens ist. Das gilt auch für andere Standorte.

Der andere Aspekt ist, dass das am Ende eine europäische und internationale Lösung sein muss. Wir haben mit dem Standort Garantien, die sehr umfangreich sind. Man muss sich vor Augen führen, dass normalerweise so was eher im Nachhinein verhandelt und nicht im Vorhinein als Bedingung gestellt wird. Und das war für uns, weil es uns ja um die soziale Verantwortung geht, der entscheidende Punkt.

Das ist der Ausgangspunkt der Diskussion gewesen und Carrier hat das gleiche Verständnis. Die sind sich der sozialen Verantwortung bewusst, die sind sich der Investitionen bewusst, die nötig sind, aber ehrlicherweise ja auch mit einem riesigen wirtschaftlichen Potenzial verbunden sind. Die machen kein Fragezeichen an Deutschland oder Europa, sondern ein fettes Ausrufezeichen und wollen eben mit den Stärken, die wir haben, in der Region wachsen, aber auch unseren Produkten die Möglichkeit geben, Zugang zu deren internationalen Vertriebsplattformen zu bekommen. Aus eigener Kraft hätte ich es nie geschafft, in Amerika beispielsweise eine relevante Größenordnung aufbauen zu können, wo mit dem Inflation-Reduction-Act gerade auch ein Riesenmarkt entsteht, der mit Viessmann-Wärmepumpen bedient werden kann, nach vorne gerichtet.

Was ist, wenn das Wirtschaftsministerium nicht mitspielt?

tagesschau.de: Bleibt noch ein Fragezeichen: Das Bundeswirtschaftsministerium will ihre Verkaufspläne jetzt noch mal prüfen. Fürchten Sie, dass die Bundesregierung Ihnen noch mal einen Strich durch die Rechnung macht?

Viessmann: Sowohl Herr Habeck als auch Herr Scholz haben ja zum Ausdruck gebracht, dass diese Transaktion die Wärmewende möglich macht, weil eben in der Geschwindigkeit und auch in der Größenordnung Dinge entstehen, die alleine nicht entstanden wären. Dass der Bundesregierung sehr daran gelegen ist, dass es entsprechende Perspektiven und Sicherheiten für die Mitarbeiter gibt, das ist auch in unserem Interesse und da sind wir zu 100 Prozent übereinstimmend. Genau deswegen haben wir uns jetzt zu diesem Schritt entschieden, weil wir sicherstellen können, dass für 10.500 Mitarbeiter nach vorne gerichtet eine zukunftssichere Perspektive entsteht.

Und in anderen Fällen, wie eben gerade schon skizziert, ist es häufig so, dass diese Garantien dann erst im Nachhinein ausgesprochen werden und nicht im Vorhinein. Deswegen kann ich das Prüfvorhaben nachvollziehen und sehe das als wichtige Sorgfaltspflicht, bin aber gleichermaßen darüber froh, dass wir einen Partner gewinnen konnten, der eben keinen amerikanischen Klischees entspricht, sondern der sowohl die soziale Verantwortung als auch die Investitionstätigkeit tragen wird nach vorne gerichtet.

Werner Schlierike, HR, tagesschau, 26.04.2023 20:55 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten die tagesthemen am 26. April 2023 um 22:15 Uhr.