Volkswagen Vom Auto- zum Softwarekonzern - aber wie?
Volkswagen will sich neu aufstellen. Die zentrale Rolle spielt dabei die Softwarestrategie - ein Bereich, an dem sich schon Ex-Konzernchef Diess die Zähne ausgebissen hat. Macht es Nachfolger Blume besser?
Wenn die obersten VW-Kontrolleure heute in Berlin zusammenkommen, dann geht es eigentlich darum, die Hauptversammlung für den nächsten Tag vorzubereiten. Auf der Tagesordnung findet sich aber darüber hinaus ein Punkt, der dort in den vergangenen Monaten und Jahren immer wieder aufgetaucht ist: das Thema Software. Sie gilt als größte Wertschöpfungskomponente in den Autos der Zukunft - das zeigt, wie wichtig sie auch und gerade für einen Konzern wie Volkswagen ist.
Diess scheiterte an Software-Strategie
Oliver Blumes Vorgänger Herbert Diess musste seinen Posten im Sommer vor allem deshalb räumen, weil er die Probleme bei der Software nicht in den Griff bekam. Von allen Baustellen, die Blume im VW-Konzern vorgefunden hat, dürfte das Thema Software die größte sein. Und so erwarten die Aufsichtsratsmitglieder heute von ihm ein schlüssiges Konzept, wie er auf dieser Großbaustelle voran kommen will.
In einem Zehn-Punkte-Plan hat Blume bereits grob umrissen, worum es ihm geht, was für ihn ganz oben auf der Agenda steht. Jetzt wird von ihm erwartet, dass er die Pläne für die Software noch detaillierter vorlegt als bisher. Wo die Reise aus Blumes Sicht hingehen muss, scheint klar - auch er hält an der Vision fest, die Diess bereits hatte: Volkswagen zu einem Software-basierten Mobilitätsanbieter zu machen.
Die Software definiert das Fahrzeug
Die Software definiert dabei das Fahrzeug. Sie kommt zuerst, die Modelle leiten sich dann davon ab. "Schlüssig", nennt dieses Konzept der Automobilexperte Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach. Er ist der Ansicht, dass sich Blume aber im Unterschied zu Diess stärker darum kümmert, wie die Software-Ziele realistisch zu erreichen sind.
Zum Realitätscheck von Blume gehört auch das: Der Zeitplan für die neue Software E3 2.0 des konzerneigenen Tech-Unternehmens Cariad ist nicht einzuhalten. Die Folge: Der Trinity - ein Elektromodell, das mit dieser Software von 2026 an in einer neuen Fabrik in Wolfsburg vom Band laufen sollte - kommt erst später. Irgendwann, Ende des Jahrzehnts, wenn die Software steht. Ob überhaupt noch eine neue Fabrik gebaut wird oder ob der Trinity dann im alten Wolfsburger Werk gebaut wird, ist derzeit offen.
"Noch kein Software-Konzern"
So lange es die neue konzerneigene Software noch nicht gibt, will sich Blume mit einer Weiterentwicklung der bestehenden über die Runden retten. "Aber langfristig wird sich Oliver Blume die Karten legen müssen, wie viel man sich inhouse wirklich zutraut", so Bratzel. "Volkswagen ist eben noch kein Software-Konzern."
Er hält es für möglich, dass Volkswagen zunächst stärker auf Kooperationen mit etablierten Software-Firmen setzt. Vor diesem Hintergrund scheint es fraglich, ob es bei dem von Diess einst ausgerufenen Ziel bleibt, den Anteil der selbstentwickelten Software im Fahrzeug bis 2025 von aktuell zehn auf 60 Prozent zu steigern.
Guter Start für Blume
Dass Blume alte Ziele in Frage stellt - darunter sogar den groß verkündeten Fabrikneubau in Wolfsburg -, nimmt ihm der mächtige Konzernbetriebsrat nicht übel, im Gegenteil: Blume sei mit einer Agenda für die richtigen Themen gestartet. "Dazu zählt, die Ist-Situation unserer Zukunftsthemen realistisch zu bewerten, darunter natürlich auch die Fahrzeug-Software", so die Gesamtbetriebsrats-Vorsitzende Daniela Cavallo.
Blume habe einen guten Start an der Konzernspitze hingelegt und genieße mit seinem Team "die vollste Unterstützung" des Betriebsrats. Man arbeite "vertrauensvoll und auf Augenhöhe" zusammen, lobt Cavallo. Töne, die man so lange nicht aus Wolfsburg gehört hat. Zwischen Herbert Diess und dem Betriebsrat hatte es beständig geknirscht oder gar offenen Streit gegeben. Blume hingegen weiß offenbar, dass er für seine Pläne im Konzern den Rückhalt in der Belegschaft braucht.
Neue Prioritätensetzung
Wie er es geschafft hat, diesen in seinen ersten gut 100 Tagen bei VW hinter sich zu bekommen? Es gibt eine Begebenheit, die das exemplarisch zeigt: Als Blume eine Woche im Amt ist, steht die erste Konzernvorstandssitzung mit ihm als neuem Chef an. Zeitgleich gibt es einen Termin in den Räumen des Betriebsrats, einen Webcast, in dem die Vorsitzende Cavallo zu den Beschäftigten spricht. Blume ist eingeladen - und kommt dazu, der Konzernvorstand muss warten. Eine klare Prioritätensetzung.
Ob es ihm tatsächlich ein inneres Bedürfnis war oder einfach eine kluge Management-Strategie, das ist nicht entscheidend. Für den Betriebsrat zählt die Geste. "Er ist schon ein Menschenfänger", sagt Bratzel. Ein Talent, das Blume auch heute im Aufsichtsrat und morgen bei der außerordentlichen Hauptversammlung gut gebrauchen kann, wenn er seine Pläne vorstellt. Gemessen werden wird er am Ende aber daran, wie seine Strategie für den Konzern konkret aussieht - und ob Volkswagen damit wirtschaftlich erfolgreich bleibt.