"Der letzte Weckruf" Die Krise bei VW hält an
Der VW-Konzern konnte in den ersten sechs Monaten deutlich mehr Autos verkaufen. Doch die Nachfrage nach E-Autos sinkt. Markenchef Thomas Schäfer will darum alle Ausgaben auf den Prüfstand stellen.
Der VW-Konzern hat im Juni erneut mehr Autos verkauft. Weltweit wurden 847.600 Fahrzeuge aller Konzernmarken ausgeliefert, 5,7 Prozent mehr als im Mai 2022, teilte VW heute in Wolfsburg mit. Die größten Zuwächse erzielte der Konzern auf seinem Heimatmarkt in Europa, wo die Auslieferungen um 68 Prozent stiegen. Im ersten Halbjahr lag das Plus insgesamt bei 12,8 Prozent.
Was für den Konzern zunächst nach guten Neuigkeiten klingt, ist längst nicht so positiv. Denn der Hauptgrund für die hohen Auslieferungszahlen in der ersten Jahreshälfte ist, dass VW nach wie vor Aufträge aus dem vergangenen Jahr erfüllt. Der Konzern war wegen der Lieferengpässe im vergangenen Jahr mit einem deutlichen Auftragsstau ins Jahr gestartet, der nun abgearbeitet wird. Das zeigt sich auch am Vergleich mit den Auslieferungen im Mai deutlich ab, denn im Vormonat hatte das Plus noch bei 16 Prozent gelegen.
"Umweltbonus" fällt für Flottenkunden bald weg
Zu Beginn des Jahres waren die Auftragseingänge bei VW deutlich eingebrochen. Das liegt vor allem an der Kürzung des staatlichen "Umweltbonus", mit dem der Kauf von Elektroautos gefördert wird. Zum Jahreswechsel wurde die Subvention deutlich gesenkt, was sich in den Auftragseingängen aller Autokonzerne niederschlug.
Derzeit immerhin scheint sich die Auftragslage wieder etwas zu erholen: "Seit Mai verzeichnen wir hier wieder einen verbesserten Trend bei den Auftragseingängen", so Hildegard Wortmann, Mitglied der Konzernleitung. Wie lange dies allerdings anhält, ist unklar. Denn ab September streicht das Bundeswirtschaftsministerium die Förderung für Elektroautos für Flottenkunden komplett. Auch wenn Privatkunden weiter in den Vorzug der Prämie kommen, dürfte die Nachfrage nach Elektroautos dennoch deutlich einbrechen.
Minus 2,4 Prozent bei der Kernmarke
Die Kernmarke Volkswagen steht sogar noch schlechter da: Im Juni lagen die Auslieferungen der Marke 2,4 Prozent unter Vorjahresniveau. Wie ernst die Lage bei Deutschlands größten Automobilkonzern derzeit ist, zeigte sich bereits zu Beginn dieser Woche: Bei der Managementinformation (MMI) - einer Videokonferenz, an der alle 2000 Führungskräfte teilnahmen - schlug Markenvorstand Thomas Schäfer in einer Brandrede Alarm. "Das Dach brennt lichterloh", warnte Schäfer laut einem Bericht des "manager magazin", dies sei "der letzte Weckruf".
Und weiter: "Die Zukunft der Marke VW steht auf dem Spiel." Das Umfeld, in dem sich VW befinde, sei nichts Geringeres als ein "perfekter Sturm", wird der 53-Jährige zitiert. Der VW-Chef, der erst im vergangenen Jahr die Spitze des Konzerns übernahm, um die Reform der Stammmarke voranzutreiben, bezeichnete Strukturen und Prozesse als "zu kompliziert, zu langsam, zu unflexibel". Zudem seien die Kosten an vielen Stellen im Konzern viel zu hoch.
Wichtigster Markt bricht ein
Hinzu kommt, dass der Preiskampf in China die Nachfrage dort deutlich einbrechen lässt: Nach einem kräftigen Auslieferungsplus im Mai brach der Absatz im Juni um 14,5 Prozent ein. Zwar liegt das laut einem Konzernsprecher auch daran, dass im Juni vor einem Jahr besonders viele Autos ausgeliefert worden seien. Nach dem Ende der Corona-Lockdowns hatte die chinesische Regierung Autoverkäufe mit Steuererleichterungen angekurbelt.
Doch die Zahlen dürften gerade angesichts der großen Abhängigkeit des Konzerns vom chinesischen Markt die Alarmglocken schrillen lassen. Denn wie Finanzchef Patrik Andreas Mayer bei der MMI zu Beginn der Woche vorrechnete, bleibe vom Gewinn nichts mehr übrig, sollten die Lizenzeinnahmen aus China und das gut laufende Teilegeschäft, der sogenannte Aftersale, wegfallen.
Sparkurs angekündigt
Darum soll bei VW nun radikal gespart werden. Um das durchzustehen, rief Schäfer bei der MMI auch direkt einen sofortigen Ausgabenstopp aus, der bis Ende des Jahres gelten dürfte. Nur große Investitionen und die gesetzlich vorgeschriebene Ausgaben sind offenbar weiterhin erlaubt, alles andere komme auf den Prüfstand.
Denn Schäfer hat für die Kernmarke ambitionierte Ziele: Bis 2026 soll VW eine Rendite von 6,5 erwirtschaften - im vergangenen Jahr lag die operative Rendite gerade einmal bei 3,6 Prozent. Das Ergebnis soll sich daher in den nächsten drei Jahren um zehn Milliarden Euro verbessern. Darum beginnen nach der Sommerpause Gespräche zwischen dem Management und dem Betriebsrat, um über weitere Details des "Performance-Programms" bei VW zu beraten. Denn der Ausgabenstopp könnte nur der erste Schritt sein, um Geld zu sparen - ein zweiter wären Kürzungen bei Personalkosten.
Mit Informationen von Lilli-Marie Hiltscher, tagesschau.de