Fleischlose Lebensmittel Wer am Veggie-Boom verdient
Der Markt für vegetarisches und veganes Essen wächst rasant - wahrscheinlich noch viele Jahre lang. Von diesem Trend profitieren besonders die großen Unternehmen aus der Fleischindustrie.
Wenn Metzgermeister Dennis Schmitt vor seinem Cutter steht, dann macht er es wie früher beim Fleisch - jedenfalls fast. Aber statt Schwein kommen Reisproteine in den Cutter. Dazu Erbsenfasern, die aussehen wie Schweinespeck, und eine Mischung aus Muskat, Salz, Piment, außerdem eine ganze Reihe anderer Gewürze, die Betriebsgeheimnis sind. Abgerundet wird das Ganze mit Bindemitteln, damit die Veggie-Salami auch wirklich zusammenhält.
"Das ist ein neues Produkt, das wir gerade herausbringen. Es wird nicht nur auf dem deutschen, sondern auch auf dem schwedischen und isländischen Markt verkauft werden", sagt er. Schmitt arbeitet seit drei Jahren beim hessischen Gewürzhersteller Van Hees in Walluff im Rheingau-Taunus-Kreis. Er ist einer der Mitarbeiter, die in der Versuchsküche des Familienunternehmens stehen und neue Produkte für den Veggie-Markt erproben.
Ständig neue Produkte werden entwickelt
Das Unternehmen Van Hees ist weltweit unterwegs. 30.000 Tonnen Gewürzmischungen, Aromen, Extrakte, Farbkomponenten und Bindemittel produzieren sie im Jahr. Anfänglich nur für den Fleischmarkt, aber mit dem neuen Ernährungstrend wächst die Firma jährlich um 15 Prozent. In erster Linie ist sie Hersteller für Komponenten und Gewürze, aber sie entwickelt auch Veggie-Prototypen.
"Diese Stufe der Produktentwicklung nehmen wir quasi den Produzenten ab", sagt Geschäftsführer Robert Becht. "Wir sagen: Wir entwickeln für euch Innovation. Wir entwickeln mit euch zusammen neue Produkte. Dann fahren wir das Produkt sozusagen in der Produktion nach den dortigen Gegebenheiten ein."
Schwierig ist es, die Eigenschaften des Fleisches oder der Wurst nachzubilden. Gerade unternimmt das Unternehmen Versuche mit Sonnenblumenkernen und Pilz-Eiweiß. "Die Produktzyklen sind deutlich verkürzt, so dass wir ständig neue Kreationen entwickeln müssen", sagt Robert Becht, während er einen neuen Gemüsespieß probiert, den es demnächst in der Dönerbude geben soll.
Zweistellige Zuwachsraten
Der Markt der Fleischlos-Produkte ist im vergangenen Jahr um mehr als ein Drittel gewachsen - von 60.400 Tonnen 2019 auf 84.000 Tonnen. Und so wird es weitergehen, prophezeien Experten wie Olaf Stotz von der Frankfurt School of Finance & Management. "Wahrscheinlich wird man noch Wachstumsraten von 15, 20 oder 25 Prozent vielleicht über die nächsten fünf bis vielleicht sogar zehn Jahre erwarten können", meint er.
Waren es anfänglich Start-up-Unternehmen, die Veggie-Produkte als Nische entdeckten, haben längst Supermarktketten mit Eigenmarken und Fleischkonzerne das Sagen. Und vor allem die Fleischkonzerne profitieren von dem Geschäft mit den Pflanzen. Die "Big Player" sind alle mit dabei: Rügenwalder Mühle, Westfleisch, Wiesenhof, Ponnath, Meica und Tönnies.
Eine ganze Industrie orientiert sich neu
Tönnies ist der größte Schweineschlachter Deutschlands. Aber das Unternehmen verdient immer mehr Geld mit Gemüse: aus dem Geschäft ohne tote Tiere erzielte es im vergangenen Jahr einen Umsatz von 25 Millionen Euro - und der soll sich bis 2025 sogar verfünffachen.
Maximilian Tönnies, Juniorchef und verantwortlich für den Veggie-Markt, ließ in Böklund in Schleswig-Holstein extra ein neues Werk errichten. Dort rollen nur noch schweinchenrosa Veggie-Würste vom Band. "1200 Tonnen allein von der Veggie-Fleischwurst Gutfried machen wir da", sagt er. "Das ist vergleichbar mit einem starken Wurstmarkt."
Den Veggie-Geschäftsbereich haben sie "Vevia 4 you" genannt. Das, so räumt der Juniorchef ein, "haben wir extra gemacht, damit man sozusagen die fleischlosen Produkte nicht mit Tönnies in Verbindung bringt." Zu sehr war der Konzern in die Schlagzeilen geraten wegen der Arbeitsbedingungen im Schlachtkonzern und des Corona-Ausbruchs.
Nun soll alternative Wurst wieder Vertrauen schaffen. Längst habe sein Unternehmen Wiesenhof überholt, sagt Tönnies. Seitdem Fleischersatzprodukte gesellschaftsfähig geworden sind, herrscht Goldgräberstimmung bei den Herstellern: Pflanzen auf dem Teller, Hafer oder Nüsse in der Milch.
Beispiele wie Tönnies oder Van Hees zeigen: Der neue Markt bringt konstantes Umsatzwachstum für alle, die mitmischen. Van Hees produziert inzwischen an fünf Standorten weltweit. Das hessische Werk ist an seinen Kapazitätsgrenzen angelangt. Und auch an der Börse ist der Trend angekommen. Vor zwei Jahren startete der vegane Burger-Produzent "Beyond Meat" als erstes Food-Tech-Unternehmen auf dem Parkett. Und der schwedische Hafermilchhersteller Oatly erreichte bei seinem Börsengang kürzlich aus dem Stand einen Wert von zehn Milliarden Dollar.