Chinesischer E-Autobauer NIO will Europa erobern
NIO will global konkurrieren: Der chinesische E-Autobauer wagt den Sprung in den deutschen Automarkt und andere europäische Länder. Erwächst hier ernstzunehmende Konkurrenz?
NIO ist einer der großen chinesischen Elektroautokonzerne und hat im Dezember seine neue E-Limousine vorgestellt. Mehr als 1000 Kilometer Reichweite soll sie haben, mehr als Tesla und vergleichbar mit einem neuen Forschungsfahrzeug, das Mercedes gerade vorgestellt hat. Der Clou: Anstelle des Ladevorgangs wird einfach die Batterie ausgewechselt. Das geht im Gegensatz zum Aufladen genauso schnell wie das Tanken an der Zapfsäule.
Ein komplett neues Ladekonzept
Ein kleiner Bordcomputer im Auto kündigt an: "Es geht los. Die Elektrobatterie wird gewechselt. Es wird ein bisschen ruckeln, aber keine Sorge." Alles läuft automatisch, das Auto fährt von selbst in die Tauschstation ein: eine Box wie eine kleine Tankstelle, nur eben ohne Zapfsäule. Das Auto parkt sich selbst so akkurat ein, dass die Maschine - von unten aus dem Boden kommend - die leere Batterie aus dem Auto herausnehmen und die neue einsetzen kann. Etwa vier Minuten dauert das.
Die 35-jährige Autobesitzerin Zhai Manhua kann währenddessen entspannt im Auto sitzen bleiben. ein bisschen so wie in der Waschanlage. "Ich kann die Batterie jeden Monat vier Mal kostenlos tauschen", sagt Zhai. "Ich fahre jeden Tag zur Arbeit, etwa 40 Kilometer am Tag, da reicht es dann, vier Mal im Monat zu tauschen." Manchmal am Wochenende, wenn sie einen Ausflug mache, da seien es schon mal 200 Kilometer am Tag. "Dann tausche ich die Batterie direkt danach wieder aus."
50 solcher Batterietauschstationen hat NIO innerhalb von drei Jahren allein in Shanghai aufgebaut. Landesweit sind es etwa 700, und es sollen noch mehr werden - nicht nur in China, sondern auch in Europa und Deutschland. "Im Jahr 2022 ist eins sicher: Wir werden unsere Autos in Deutschland sehen. Das ist 100 Prozent sicher", kündigt NIO-CEO und -Gründer Li Bin an.
Expansion nach Europa nicht ohne Hürden
Den chinesischen Elektroautohersteller gibt es seit sieben Jahren. Im Jahr 2018 wurde das Unternehmen an der New Yorker Börse gelistet. Vor zwei Jahren stand es kurz vor der Pleite, wurde aber durch staatliches Geld der chinesischen Millionenstadt Hefei gerettet. Jetzt also die Expansion nach Europa - wenn auch nicht sofort mit dem neuesten Modell, der Limousine mit mehr als 1000 Kilometern Reichweite. In Deutschland will NIO im Herbst mit dem Vorgängermodell starten - und auch die ganze Infrastruktur der Batterietauschstationen aufbauen. "Wir haben eine globale strategische Partnerschaft mit Shell erreicht, um China, Europa und potenziell auch die USA mit Batterie-Tauschstationen zu versorgen und die Infrastruktur aufzubauen", sagt Li.
Laut Autoexperte Zeng Zhilin von der Shanghaier Unternehmensberatung LMC Automotive kostet es umgerechnet mehr als 100.000 Euro, um eine Batterietauschstation zu bauen. Er hält es für realistisch, dass NIO lokale Partner und Investoren finden kann. Trotzdem sei die Herausforderung für NIO auf dem europäischen Markt groß. "Europa ist ein alter, traditioneller Markt. Europäer sind nicht so verrückt nach neuen Technologien wie die chinesischen Kunden, zum Beispiel wenn es um Automatisches Fahren geht", sagt Zeng. Der europäische Markt konzentriere sich noch sehr auf das Auto als Auto. "Und da wird es ein Autohersteller wie NIO, der sich nicht nur auf das Auto selbst, sondern auf smarte Technologien, auf die Software und neue Konzepte konzentriert, schwer haben."
Deutsche E-Autobauer keine Konkurrenz?
Andere Marktexperten weisen darauf hin, dass es für NIO wichtig sein könnte, sein Image auf dem chinesischen Heimatmarkt aufzupolieren, indem es auch in Europa aktiv sei. Der chinesische Autoexperte Zeng glaubt das allerdings nicht: NIO wolle nach Europa, weil Tesla dort sei. Es gehe auch nicht darum, mit deutschen Autoherstellern zu konkurrieren - nur Tesla sei wichtig, meint Zeng. Denn selbstfahrende Autos mit Elektroantrieb seien die Zukunft, IT und Software in der Autoindustrie die Schlüsselkompetenzen. Und das hätten deutsche Autobauer noch nicht begriffen - oder, wie NIO-Chef Li es ausdrückt: "Je schneller sie sich entschließen, intelligente und elektrische Autos zu bauen, desto besser ist es für sie", so Li. "Heutzutage dauert es vier Jahre bis man Ergebnisse sieht. Wenn sie heute nicht anfangen, wird sich in den nächsten vier Jahren nichts ändern."