Sanierung des Schienennetzes Vollsperrungen für mehr Verlässlichkeit
Die Bahn für Fahrgäste und Güterkunden wieder verlässlicher zu machen, wird ein jahrelanger Kraftakt. Nun wird konkreter, wie und wo das marode Netz saniert werden soll: Den Anfang macht die Strecke Frankfurt-Mannheim.
Es muss sich dringend etwas tun bei der Bahn - in diesem Punkt waren sich alle Teilnehmer des "Schienengipfels" einig. Rund 200 Expertinnen und Experten aus Politik, Wirtschaft und Verkehrsverbänden haben in Berlin darüber beraten, wie das marode Schienennetz möglichst schnell und umfassend generalsaniert werden kann. Dafür soll eine koordinierte Sanierung und Digitalisierung des Schienennetzes vorangetrieben werden.
"Die Durchsage 'Grund für die Verspätung ist eine Störung im Betriebsablauf' möchte ich eigentlich möglichst bald nicht mehr hören", sagte Bundesverkehrsminister Volker Wissing. Rund 50 Prozent aller Verspätungen gingen darauf zurück.
Nicht viele kleine Baustellen, sondern eine große Sanierung
Um wichtige Strecken nicht immer wieder für einzelne Baustellen sperren zu müssen, sollen die Arbeiten künftig zusammengefasst werden: Den Anfang macht Mitte 2024 die sogenannte Riedbahn zwischen Frankfurt am Main und Mannheim. Die wichtige ICE-Strecke wird für ein halbes Jahr komplett gesperrt und erneuert. 1200 Anlagen der Leit- und Sicherungstechnik sollen erneuert werden, 152 Weichen, vier Bahnübergänge und gut zehn Kilometer Lärmschutzwände. Zudem soll es neue Überholmöglichkeiten für Züge sowie eine Ausrüstung für den digitalen Bahnbetrieb geben. Auch 20 Bahnhöfe werden erneuert. Vorher will die Bahn die Umleitungsstrecken einrichten.
Der Abschnitt hat große Bedeutung für das Gesamtnetz der Bahn: Über ihn fährt ein Fünftel der bundesweiten Fernzüge und ein Viertel der Fahrgäste. "Störungen auf der Riedbahn strahlen maximal aus auf das ganze Netz", sagte Bahn-Vorstandsmitglied Berthold Huber. Nach der Generalsanierung bleibe der Abschnitt bis ins kommende Jahrzehnt von größeren Baumaßnahmen verschont. Die Bahn kalkuliert mit Gesamtkosten der Generalsanierung allein für diese Strecke von etwa 500 Millionen Euro. Nach diesem Vorbild sollen bis 2030 nach und nach weitere wichtige Bahnstrecken erneuert werden.
Operation an der Hauptschlagader
Wissing verglich das Projekt mit der Operation an einer Hauptschlagader. Auch wenn das für Bahnkunden zunächst weitere Einschränkungen bedeutet, sieht der Minister keine andere Lösung: Man werde mit dem neuen Vorgehen auf absehbare Zeit spürbare Verbesserungen erreichen, versprach er nach dem Treffen.
Ohne Sanierung kein Deutschlandtakt möglich
Die Generalsanierung ist aus Wissings Sicht eine Voraussetzung für den angestrebten Deutschlandtakt. Dieser sieht bis 2030 ein System mit besser abgestimmten Umsteigeverbindungen zwischen den Metropolen vor.
Dafür gelte es nun, "eine Menge loser Fäden zusammenzuführen" - also eine weitere Digitalisierung von Stellwerken, Zugleittechnik und dem Kapazitätsmanagement für das Netz, Streckenmodernisierungen und den Ausbau des Netzes. Dies dürfe nicht nebeneinander stehen, sondern solle künftig systematisch miteinander koordiniert werden.
Industrie drängt auf Verbesserungen
Auf Verbesserungen drängen auch Wirtschaftsverbände: Die Schiene spiele für die Wettbewerbsfähigkeit und das Erreichen der Klimaziele in Deutschland eine "tragende Rolle", erklärte der Industrieverband BDI. Die Bauindustrie forderte die Bundesregierung auf, eine verlässliche Finanzierung für die Sanierung des Bahnnetzes vorzulegen.
Kritisch sehen Verbraucherschützer den "Schienengipfel" und mahnten Wissing, "nicht an die Gipfelitis seines Vorgängers anzuknüpfen, die selten zu bahnbrechenden Lösungen geführt hat".
Marion Jungbluth vom Verbraucherzentrale Bundesverband sagte dem "Handelsblatt" im Vorfeld des Treffens, es sei zwar richtig, die Sanierung der Schiene zur Chefsache zu erklären - letztlich zähle aber das, "was bei den Menschen ankommt". Nötig sei ein Qualitätsmonitoring durch eine "zentrale und unabhängige Stelle", mit der auch die Kundenzufriedenheit gemessen werde. Was Fahrgäste in den vergangenen Monaten "in den Zügen und auf Bahnsteigen erleben mussten, ist nicht geeignet, neue Fahrgäste für das Bahnfahren zu begeistern".