EU-Parlament verschiebt TTIP-Debatte "Ein demokratischer Skandal"
Vorerst keine Abstimmung und nun auch keine Debatte über TTIP. Mit einer knappen Mehrheit haben Konservative und Liberale im EU-Parlament die geplante Aussprache verschoben. Grüne und Linke reagieren entsetzt und wittern einen "demokratischen Skandal".
Das EU-Parlament hat die für heute vorgesehene Debatte über das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP verschoben. Die Entscheidung war denkbar knapp: Mit einer Mehrheit von 183 gegen 181 Stimmen votierten die Abgeordneten am Morgen für den Antrag von Christdemokraten, Konservativen und Liberalen. Ihr Argument: Die Debatte sollte nicht von der Abstimmung getrennt geführt werden. 37 Abgeordnete enthielten sich der Stimme.
"Sie wollten nicht zeigen, wie zerstritten sie sind"
Dies sei jedoch nur die offizielle Begründung, sagte ARD-Korrespondentin Bettina Scharkus. "Inoffiziell heißt es vor allem von Seiten der Kritiker, dass die großen demokratischen Fraktionen - die Sozialdemokraten, die Christdemokraten - in so einer Debatte nicht zeigen wollten, wie zerstritten sie innerhalb ihrer eigenen Parteien noch sind."
Im Plenarsaal kam es zu tumultartigen Szenen. Linke und Konservative warfen sich gegenseitig fehlendes Demokratieverständnis vor. Der Grünen-Abgeordnete Sven Giegold schrieb bei Twitter von einem "demokratischen Skandal".
"Mir macht es Angst, wenn ich sehe, wie die Links- und die Rechtsradikalen hier im Haus sich gegenseitig in Rage reden und die Grünen an der Seite dieser Leute stehen", sagte der Fraktionsvorsitzende der Europäischen Volkspartei, Manfred Weber (CSU). Darauf entgegnete die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Rebecca Harms: "Wenn jetzt jeder, der kritisch ist gegen private Schiedsgerichte, an den Pranger gestellt wird als links und rechtsradikal, dann frage ich mich, was wir für eine Basis der Zusammenarbeit haben."
Bereits gestern Abend hatte Parlamentspräsident Martin Schulz die Abstimmung über eine gemeinsame Stellungnahme zu TTIP abgeblasen. Dabei sollte das Parlament Empfehlungen zu den weiteren Verhandlungen an die Kommission aussprechen. Die Resolution war mühsam zwischen den Fraktionen ausgehandelt worden, es folgten weit mehr als 100 Änderungsanträge. Die Geschäftsordnung befugt den Parlamentspräsidenten, einen Bericht in den Ausschuss zurückzuweisen, wenn mehr als 50 Änderungsanträge vorliegen.
Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) begrüßte die Verschiebung der Abstimmung. Früher sei der EU immer vorgeworfen worden, Kritik werde nicht ernst genommen und die Verhandlungen seien intransparent, sagte BDI-Präsident Ulrich Grillo im gemeinsamen Morgenmagazin von ARD und ZDF. Insofern sei es positiv, dass man sich jetzt mit den vielen Änderungsanträgen beschäftige "und es dann nochmal, hoffentlich zeitnah", die Abstimmung gebe.
"Politische Manipulation"
Gegner des TTIP-Abkommens werfen ihm dagegen ein Einknicken vor den Wirtschaftslobbyisten vor. Der Grünen-Politiker Reinhard Bütikofer sprach gegenüber "Spiegel Online" von "politischer Manipulation". Der französische Grünen-Abgeordnete Yannick Jadot sagte: "Sie sind in Panik, dass eine Abstimmung die tiefen Risse zeigen würde."
Der ARD-Korrespondent Martin Bohne sprach von einem Trick mit der Geschäftsordnung. Es gebe im EU-Parlament oft sehr viele Änderungsanträge, ohne dass Abstimmungen und Debatten verschoben würden, so Bohne. Das Parlament sei in Sachen TTIP heillos zerstritten. Dementsprechend habe Schulz wohl befürchtet, dass es keine Mehrheit für die Resolution geben würde.
Sonneborn wollte mit "Ja" und "Nein" stimmen ...
Der Abgeordnete Martin Sonneborn, ehemaliger Chefredakteur des Satire-Magazins "Titanic", behauptete hingegen bei Twitter, die Verschiebung der Abstimmung gehe auf seine Kappe.
Die Position des Europaparlaments ist für die laufenden TTIP-Verhandlungen von Bedeutung: Abkommen mit Drittstaaten können nämlich nur in Kraft treten, wenn sie vom Straßburger Parlament ratifiziert werden.
Nun muss sich der zuständige Wirtschaftsausschuss abermals mit dem Thema beschäftigen und versuchen, einen Kompromiss zu finden, der im Plenum eine Mehrheit erhalten kann. Ob dies noch vor der Sommerpause gelingt, ist nach Angaben einer Sprecherin des Parlaments nicht abzusehen. Einen neuen Termin für Debatte und Abstimmung gibt es also noch nicht.