Eine Männerhand bedient ein GPS-System im Auto.

Bordtechnik und Verbrechensbekämpfung Wie smarte Autos den Ermittlungsbehörden helfen

Stand: 02.06.2024 15:08 Uhr

Fahrziele mit dem Smartphone ans Auto schicken oder arglos über die Freisprecheinrichtung quasseln: Was für Fahrer moderner Autos zum Komfort gehört, macht auch die Arbeit von Ermittlern einfacher.

"Wo auf diesem riesigen Parkplatz habe ich doch gleich das Auto abgestellt?" Wen die Erinnerung verlässt, der kann bei modernen Autos auf Apps fürs Fahrzeug zurückgreifen. Einmal die entsprechende Funktion drücken - dann hupt und blinkt es: Auto wiedergefunden.

Das ist nicht nur für die Autofahrer selbst eine Komfortfunktion. Von smarten Autos mit ihren digitalen Anwendungsmöglichkeiten profitieren auch die Ermittlungsbehörden. Denn so wie Autobesitzer ihr Gefährt via App lokalisieren, Fahrstrecken nachvollziehen und in die Elektronik eingreifen dürfen, können das auch Kriminalbeamte. Zumindest technisch.

Concierge-Service als Hilfe bei der Verfolgungsjagd

"Automotive IT (AiT)" heißt das Fachgebiet. AiT kann vernetzte Fahrzeuge zur "ermittlungstechnischen Fundgrube" werden lassen. Das Mikrofon der Freisprecheinrichtung hört die Gespräche im Innenraum. Der so genannte Concierge- oder auch "Fahranfänger-Service", der das Fahrzeug in Händen ungeübter Fahrer bremsen soll, kann praktisch bei der Verfolgungsjagd werden. Dazu kommen noch die vielen Bordkameras.

Die auto-eigene Mobilfunkkarte macht es möglich, auf all das zuzugreifen. Sie ist Grundvoraussetzung für "eCall", das Notrufsystem moderner Autos. Seit 2018 ist es in allen Kfz der Europäischen Union Pflicht und meldet einen Verkehrsunfall automatisch an Rettungsleitstellen.

So sollen der Unfallort zuverlässig geortet und Verletzte schneller gerettet werden können, auch wenn sie nicht mehr in der Lage sind, selbst einen Notruf abzusetzen. Übermittelt werden Daten wie Standort, Fahrtrichtung und die Anzahl der Fahrzeuginsassen, sofern diese angeschnallt waren. Das System soll zu weniger Verkehrsopfern führen.

Umgefahrene Leitplanke alarmiert Behörden

Damit dieses hehre Ziel nicht mit dem Datenschutz kollidiert, reglementierte die EU den Datensatz an sich und den Zugang strikt. So löst eCall nur aus, sobald die Sensorik einen Unfall vermutet, ansonsten schläft das System.

"Es sind alles sehr sehr legitime Funktionen", urteilt Hans-Joachim Hof, Professor für Automotive Cybersicherheit an der Technischen Hochschule Ingolstadt und Leiter der Forschungsgruppe zu IT-Sicherheit von Automobilen. "Rettungsassistenten in meiner Forschungsgruppe schilderten viele Fälle, bei denen die eCall-Funktion Leben gerettet hat. Es ist eine ganz hervorragende Abwägung gemacht worden zwischen Datenschutz und dem Schutz von Leib und Leben."

Trotz der Restriktionen hilft das smarte Auto aber auch Ermittlern. Zwei Beispiele: Nachdem eine Fahranfängerin 2022 in der Pfalz einen Leitpfosten umgefahren hatte und sich von dannen machte, klingelte dennoch später die Polizei an ihrer Haustür. Das Fahrzeug hatte den Aufprall erkannt und ihn der Leitstelle gemeldet. Die erreichte die Fahrerin nicht, ging also von einem schweren Unfall aus. Am Unfallort fanden die Einsatzkräfte statt eines demolierten Autos nur den Leitpfosten. Durch eCall lagen aber die Fahrzeugdaten und somit auch die Halteranschrift vor. Die Folge: Strafverfahren wegen Unfallflucht - obwohl die EU durch die Reglementierung von eCall alles verhindern wollte, was den Anschein staatlicher Überwachung erwecken könnte.

Juristisch dementsprechend umstritten auch das zweite Beispiel: Ein unbekannter Täter beschädigte in Freiburg mutwillig mehr als 100 Autos. Die Bordkameras eines Autos filmten ihn dabei. Obwohl diese Überwachungstechnik gegen Datenschutzgesetze verstößt - das dauerhafte und anlasslose Filmen des öffentlichen Raums ist in Deutschland nicht erlaubt -, wertete die Polizei die Videoaufnahmen des Autos aus. In diesem Beispiel stellte der Halter die Aufnahmen zur Verfügung, sie hätten aber auch vom Autohersteller abgerufen werden können. Des Täters habhaft wurde die Polizei zwar nicht, sein Bild wanderte aber in ihre internen Datenbanken. Für eine öffentliche Fahndung war die Straftat nicht schwer genug.

Hilfe bei organisierter Kriminalität?

Doch wie sieht es mit Ermittlungen in der Auto-IT im Fall von organisierter Kriminalität, dem schweren Verbrechen aus? "Grundsätzlich sind die Sensorik und die Hardware nahezu in jedem modernen Auto vorhanden, und auch die Software, sie zu bedienen - die Mikrofone der Freisprecheinrichtung zum Beispiel", erklärt Hof.

Um diesen Datenquell aus der Ferne anzuzapfen, reicht eCall nicht aus. Die dafür nötige eSIM-Karte nutzen Autohersteller als Daten-Pipeline für smarte Zusatzangebote. Die Kundschaft erhält dafür beispielsweise Software-Updates oder aktuelles Kartenmaterial via Mobilfunk aufs Auto. Oder sie kann Informationen aus dem Auto aufs Handy ordern: Ist es abgeschlossen und der Tank noch voll?

Autos geben fast ständig Daten weiter

Diese Online-Dienste haben ihren Preis: "Moderne Autos sind relativ oft über einen langen Zeitraum online. Das heißt zum Beispiel, es ist immer sichtbar, in welcher Funkzelle sich das Fahrzeug bewegt", erklärt Hof. Solche Daten aus dem Innenleben des Autos können auf den Backend-Server-Systemen der Hersteller gespeichert werden. "Das Auto kommuniziert regelmäßig mit diesen Servern. Und auf diese Daten kann natürlich zugegriffen wird. Es muss nur jemand eben diese Softwarefunktionen auslösen."

"Die einzelnen Autohersteller sind sehr unterschiedlich, was die Zusammenarbeit angeht", sagt ein Ermittler, der nicht genannt werden möchte. "Vor allem die, deren Fahrzeuge oft geklaut werden, geben uns leicht Daten oder den direkten Zugang zu ihren Fahrzeugen".

Der Verband der Automobilhersteller VDA hält sich dazu bedeckt: Daten stelle die Branche entweder mit Einwilligung der betroffenen Person oder bei Vorliegen einer anderen datenschutzrechtlichen Rechtsgrundlage und unter Einhaltung entsprechender Dokumentationspflichten bereit. "Klar ist: Polizeiliche Ermittlungen werden im Rahmen straf- und zivilprozessualer Verfahren unter Berücksichtigung der Rechtsgrundlagen des Datenschutzes einzelfallbezogen von unseren Mitgliedern unterstützt", erklärt ein VDA-Sprecher.

Kein gesondertes Grundrecht im Auto

Im Auto gilt kein gesondertes Grundrecht wie bei der Unverletzlichkeit der Wohnung. Und sind Text-Nachrichten an den Lenkenden nun vom Briefgeheimnis gedeckt, selbst wenn sie das Entertainment-System den unbeteiligten Mitfahrern laut vorliest, während die Soko lauscht?

"Teilweise gehen einzelne Gerichtsentscheidungen dabei recht weit. In der juristischen Diskussion ist beispielsweise die Frage, auf welcher Rechtsgrundlage die Behörden live auf Standortdaten zugreifen dürfen", sagt Wenke Kant, Sprecherin des Bundesdatenschutzbeauftragten. Das Erheben und der Zugriff auf Daten, die Rückschlüsse auf Personen zuließen, müsse für die Betroffenen kontrollierbar und nachvollziehbar sein.

Dann scheint für das Observieren in vielen Fällen gar kein "Rumhängen am Straßenrand" oder abwechselndes Verfolgen mit entsprechendem Personaleinsatz mehr notwendig. Stattdessen sitzt ein Ermittler vorm PC und bekommt den Aufenthaltsort live auf den Bildschirm. Peilsender? Ein Auslaufmodell. Genauso Abhörsysteme, die "Wanzen", dank Freisprecheinrichtung.

Selbst wer stumm drin sitzt, lässt sich leicht abschätzen - sobald der Kreis der Verdächtigen skizziert sei: "Ob der kleine Boss am Steuer sitzt oder sein Zwei-Meter-Bodyguard, sehen wir daran, wie der Fahrersitz eingestellt ist. Diese Werte kriegen wir auch, mit Zeitangaben", so der Ermittler. Das sei Tätern allerdings bekannt.

Einbrecher in Dresden bauten vorher die Elektronik aus

Der Cybersicherheits-Experte Hof erinnert sich an den Einbruch ins Grüne Gewölbe 2019 in Dresden: "Aus dem Fluchtfahrzeug hatten die Täter sehr viel Elektronik ausgebaut, in der vielleicht noch Informationen hätten drinstecken können. Erst dann zündeten sie es an." Die Täter seien darauf vorbereitet gewesen, dass Ermittler Steuergeräte auslesen können. "Die meisten Informationen, die wertvoll gewesen wären, waren weg."

So führen vernetzte Autos und smarte Digitalisierung schnell zum üblichen Hase-und-Igel-Rennen: Sobald sich eine Seite im technischen Vorteil wähnt, sucht die andere schon eine Alternative. Datenschutzeinstellungen, Störsender oder veränderte Programmierung können ein Fahrzeug schnell vom Datenfluss abstöpseln.

Und letztendlich haben beide Seiten - Gut wie Böse - mit demselben grundlegenden Problem zu kämpfen wie alle mobilen Handynutzer in Deutschland. Hans-Joachim Hof: "Wenn Sie eine Überwachung machen möchten, dann gibt es große Datenströme. Großflächig funktioniert das nicht. Dafür gibt es einfach zu viele Funklöcher."