GDL-Streik und Tarifgesetz "Nahles verhindert keinen Streik"
Ist der Streik der GDL unverhältnismäßig? Muss der Einfluss von Sparten-Gewerkschaften beschnitten werden? Arbeitsministerin Nahles will dies per Gesetz tun. Ihre Pläne seien nicht verfassungskonform, sagt Arbeitsrechtler Preis im Gespräch mit tagesschau.de.
tagesschau.de: Die GDL wirft der Bahn vor, gegen das Grundgesetz zu verstoßen, weil sie die Tarifeinheit im Unternehmen durchsetzen will. Hat die Gewerkschaft recht?
Ulrich Preis: Das ist eine sehr plakative Äußerung von GDL-Chef Weselsky. Die GDL meint damit, dass die Forderung der Bahn nach Tarifeinheit verfassungsrechtlich nicht haltbar ist. Es gilt in Deutschland nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts von 2010 der Grundsatz der Tarifpluralität. Es darf also in einem Unternehmen mehrere Gewerkschaften geben, die Tarifabschlüsse verhandeln.
tagesschau.de: Die GDL will für das gesamte Zugpersonal verhandeln. Ist dieser Anspruch nachvollziehbar?
Preis: Jede Gewerkschaft kann in ihrer Satzung regeln, für wen sie eintreten will und ihre Tarifzuständigkeit ausweiten. Dies ist ihr verfassungsrechtlich verbrieftes Recht. Dies findet übrigens bei allen Gewerkschaften regelmäßig statt. Auch ver.di ändert quasi laufend seine Zuständigkeiten per Satzungsänderung.
tagesschau.de: Wenn die Bahn dies bei der GDL verhindern will, dann verstößt sie also gegen geltendes Recht?
Preis: Die Bahn kann als Verhandlungspartner einen Tarifabschluss anstreben, der auf einheitliche Tarifregelungen hinausläuft - egal, ob zwei oder eine Gewerkschaft im Spiel sind. Ob sie dieses Ziel aber erreicht, wird auf dem Verhandlungsweg geklärt. Sie steckt ja mitten drin im Tarifstreit.
"Ein klarer Verstoß gegen die Verfassung"
tagesschau.de: Welche Regelungen gibt es , wenn mehrere Gewerkschaften das Recht auf das Aushandeln eines Tarifabschlusses für sich beanspruchen?
Preis: Derzeit gibt es keine gesetzlichen Instrumente, um diese Kollisionen zu verhindern. Die Frage ist aber, ob man hier regulativ eingreifen muss. Ich finde, es besteht gar kein Regulierungsbedarf. Es ist ja nicht so, dass das ganze Land im Griff von kleinen Sparten-Gewerkschaften wäre, die sich dauernd bekriegen. Die Situation bei der Bahn ist eine ganz besondere und hat viel mit der GDL und ihrem Chef Weselsky zu tun. Im Tarifkonflikt bei der Lufthansa gibt es gar keine konkurrierenden Gewerkschaften.
tagesschau.de: Arbeitsministerin Nahles will jedoch mittels Tarifgesetz Kollisionen zwischen Gewerkschaften vermeiden. Künftig soll die Mehrheitsregel gelten. Gelten soll der Tarifvertrag, der von der Gewerkschaft mit der Mehrheit der Mitglieder ausgehandelt wurde. Ist das sinnvoll?
Preis: Der Gesetzentwurf von Nahles bestätigt ja im Grundsatz die Tarifpluralität - dass also ein Arbeitgeber an mehrere Tarifverträge gebunden sein kann. Nur wenn sich die Geltungsbereiche verschiedener Tarifverträge überschneiden - also miteinander kollidieren - soll es eine Regelung geben. Dann soll der Tarifvertrag gelten, dessen Gewerkschaft zur Zeit des Abschlusses die meisten Mitglieder hat. Da allerdings fangen die Probleme an.
tagesschau.de: Worin besteht die Problematik?
Preis: Das Gesetz sorgt für noch mehr Streit zwischen den Tarifpartnern und verhindert keinen Streik. Denn Gewerkschaften dürfen und sollen auch künftig zunächst einmal Tarifverträge verhandeln. Sie müssen also mit allen Mitteln darum kämpfen, dass sie die Mehrheit der Mitglieder hinter sich haben. Dies wird den Kampf zwischen den Gewerkschaften noch anheizen. Sie werden mit maximalen Forderungen versuchen, Mitglieder für sich zu gewinnen. Das wird nicht zu einer Beruhigung der Situation führen, sondern zu einer Verschärfung des Arbeitskampfes.
tagesschau.de: Kritiker meinen, durch das geplante Gesetz würde der Wettbewerb unter den Gewerkschaften praktisch unterbunden. Haben die also Unrecht?
Preis: Der Wettbewerb wird zunächst sogar angeheizt. Es gibt dann irgendwann mindestens zwei konkurrierende Tarifverträge. Dann wird ausgezählt, wer die Mehrheit hat. Der Tarifvertrag der Minderheitsgewerkschaft fällt unter den Tisch. Da stellt sich die Frage: Ist diese Verdrängung des Minderheitstarifvertrags verfassungskonform? Ich meine, einen ausgehandelten Tarifvertrag im Nachhinein für nicht gültig zu erklären, ist ein klarer Verstoß gegen die Verfassung.
"Wir sind eines der streikärmsten Länder der Welt"
tagesschau.de: Der Arbeitsministerin geht es darum, zu verhindern, dass Gewerkschaften mit ihren konkurrierenden Interessen wie jetzt im Bahn-Streit das öffentliche Leben massiv beeinträchtigen. Ist das nicht sinnvoll?
Preis: Die Frage ist, ob die Situation wirklich so drastisch ist. Man kann beileibe nicht erkennen, dass die Kollision von Gewerkschaftsinteressen das ganze Land lahmlegt. Wir sind eines der streikärmsten Länder der Welt. Aufgrund von Befürchtungen wird hier möglicherweise ein scharfer Einschnitt in die Tarifpluralität vorgenommen. Der Gesetzgeber begründet das Ganze auch mit den Prinzipien innerbetrieblicher Lohngerechtigkeit. Für vergleichbare Arbeit soll es vergleichbaren Lohn geben. Wenn der Gesetzgeber dies regeln will, wäre das ein Verstoß gegen die Tarifautonomie.
tagesschau.de: Was würde das neue Tarifrecht für eine Spartengewerkschaft wie die GDL bedeuten?
Preis: Aller Voraussicht nach würde die GdL nicht die Mehrheit der Mitarbeiter hinter sich haben. Ihr Tarifvertrag würde also unter den Tisch fallen. Das könnte dazu führen, dass die GDL umso härter kämpft: um mit noch schärferen Forderungen mehr Mitglieder an sich zu binden.
tagesschau.de: Wie lauten Ihre Vorschläge, um Kollisionen wie die derzeit zwischen GDL und EVG zu lösen?
Preis: Wir haben es mit einem ganz normalen Tarifstreit zu tun - allerdings in einem gesellschaftlich sensiblen Bereich. Aber auch ein Claus Weselsky wird ja irgendwann erleben, dass er mit seiner Art der Verhandlungsführung immer mehr Widerstände erzeugt und ihm die Mitglieder nicht mehr folgen. Ich will damit sagen: So unreguliert, wie es derzeit scheint, ist der Tarifkampf gar nicht.
tagesschau.de: Dennoch führen die Streiks zu massiven Beeinträchtigungen.
Preis: Dieses Problem kann man ganz anders anpacken - nämlich an seiner Wurzel: den unverhältnismäßigen Auswirkungen des Arbeitskampfes durch Zug- und Flugausfälle und Verspätungen. Der Gesetzgeber könnte genau hier ansetzen: In Bereichen, wo überragend wichtige gesellschaftliche Interessen bestehen wie im Zug- und Flugverkehr, könnte er das Prinzip der Zwangsschlichtung einführen. Alle Tarifparteien müssten zusammen mit einem Schlichter an den Verhandlungstisch. Ich hielte das verfassungsrechtlich für vertretbar. Dagegen aber wehren sich alle Gewerkschaften, weil sie ihr Streikrecht in Gefahr sehen.
Das Interview führte Simone von Stosch, tagesschau.de