Interview

Interview mit Energie-Expertin Claudia Kemfert "Strompreis könnte niedriger sein"

Stand: 07.11.2007 14:04 Uhr

Die Kritik an den Stromanbietern wächst: Das Kartellamt beklagt Preisabsprachen, die Monopolkommission vermisst den Wettbewerb, Verbraucherschützer fordern die Zerschlagung. tagesschau.de sprach mit der Energie-Expertin Kemfert über Strompreise, Preis-Tricks und mangelnde Regulierung.

Die Kritik an den großen Stromanbietern wächst: Das Kartellamt beklagt Preisabsprachen, die Monopolkommission vermisst den Wettbewerb und Verbraucherschützer fordern die Zerschlagung der Konzerne. Der Bundestag beschäftigt sich heute zudem in einer Aktuellen Stunde mit dem Thema. tagesschau.de sprach mit der Energie-Expertin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung über hohe Strompreise, Preis-Tricks der Konzerne und mangelnde Regulierung.

tagesschau.de: Viele Verbraucherschützer fordern eine Zerschlagung der großen Stromkonzerne, um den Wettbewerb zu befördern. Was halten Sie davon?

Kemfert: Das hätte man machen müssen, als man den Markt geöffnet hat. Damals hätte man darauf achten müssen, dass sich bestimmte Unternehmen nicht zusammenschließen und dass die Netze von der Produktion getrennt werden. Gut wäre gewesen, ähnlich wie bei der Bahn, das Netz in staatlicher Hand zu behalten. Dann hätten sich die vier jetzt so dominanten Unternehmen gar nicht entwickeln können.

tagesschau.de: In welchen Ländern läuft es besser?

Kemfert: In England und Skandinavien. England hat rigoros für Wettbeweb gesorgt. Dort dürfen Unternehmensanteile einen bestimmten Wert nicht überschreiten. Das Netz ist konsequent getrennt von der Produktion, und eine Regulierungsbehörde wacht sehr scharf über den Wettbewerb. In Skandinavien funktioniert das ganz ähnlich, und da sieht man auch, dass der Wettbewerb gut funktioniert.

tagesschau.de: Welche Auswirkungen hat das dort auf die Preise? Ist Strom in Deutschland tatsächlich teurer?

Kemfert: Wettbewerb heißt nicht automatisch billige Preise. Wettbewerb kann auch hohe Preise bedeuten - wenn es denn Wettbewerbspreise sind. England hat etwa im Moment höhere Preise, weil der Gaspreis sehr hoch ist, und dort sehr viel Strom mit Gas produziert wird. Frankreich hat überhaupt keinen Wettbewerb, aber dort produziert man billigen Atomstrom, deshalb sind die Preise vergleichsweise niedrig. Deutschland liegt preislich mit Steuern im oberen Bereich, ohne Steuern und Anteile der Förderung erneuerbarer Energien liegen wir im Mittelfeld

tagesschau.de: Auf dem Markt der Telekommunikation hat es doch geklappt, telefonieren ist viel billiger geworden. Warum ist das auf dem Energiemarkt anders?

Kemfert: Eigentlich ist gar nicht so viel anders, nur dass man den Energiemarkt nicht so rigoros geöffnet und liberalisiert hat. Wenn man in Deutschland von Anfang an vernünftige Wettbewerbspolitik gemacht hätte, wären die Strompreise heute sicherlich niedriger. Denn in Deutschland produzieren wir 80 Prozent des Stromes mit abgeschriebenen Kohle- und Atomkraftwerken, also sehr preisgünstig. Der Strompreis könnte also sehr viel niedriger sein als heute.

Zur Person

Claudia Kemfert leitet die Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und ist seit 2019 Professorin für Energieökonomie und Energiepolitik an der Leuphana Universität in Lüneburg.

tagesschau.de: Was braucht es denn für einen funktionsfähigen Wettbewerb?

Kemfert: Der Netzzugang ist das A und O für einen fairen Wettbewerb. Eigentlich ist es egal, wem die Netze gehören, es darf nur kein Missbrauch betrieben werden. Jedes Unternehmen muss einen fairen Marktzugang bekommen. Es darf keine Diskriminierung über erhöhte Zugangsentgelte etc. stattfinden. Das muss allerdings für ganz Europa gelten. Wir brauchen einen europäischen Binnenmarkt und eine europäische Regulierungsbehörde, die ein wirksames Markt-Monitoring betreibt - und zwar für alle Länder.

tagesschau.de: Das Bundeskartellamt wirft den Energiekonzernen Preisabsprachen vor. Mit welchen "Tricks" verhindern die wenigen Stromkonzerne einen wirklichen Wettbewerb?

Kemfert: Die vier großen Stromanbieterhaben 80 Prozent der Stromerzeugungskapazitäten und 100 Prozent der Netze inne. Wenn die ihr Angebot an der Leipziger Strombörse zurückhalten und erst gar nicht auf den Markt bringen, wird der Preis in die Höhe getrieben – und damit der Endkundenpreis, denn die Konzerne nehmen den Börsenpreis als Referenzpreis dafür, was sie dem Verbraucher in Rechnung stellen. Das ist ein Trick.

tagesschau.de: Gibt es noch andere?

Kemfert: In der Vergangenheit hat man sich unliebsame Wettbewerber vom Hals gehalten, indem man die Netzentgelte, also die Preise zur Durchleitung von Strom, künstlich nach oben schraubte, und damit Marktbarrieren schaffte. Das zumindest überwacht die Regulierungsbehörde jetzt endlich. Und prompt hat sie festgestellt, dass die Netzentgelte zu hoch sind. Zumindest dieses Problem hat man inzwischen teilweise beseitigt.

Das Interview führte Ulrich Bentele, tagesschau.de