Energiekonzerne sollen ihre Netze abgeben Was wird aus dem deutschen Stromnetz?
Die EU-Kommission beharrt darauf: Die Energiekonzerne sollen sich von ihren Netzen trennen. E.ON will dem zuvorkommen und kündigte an, sein sein gesamtes deutsches Stromnetz zu verkaufen. Warum? Und welche Konsequenzen hätte das? tagesschau.de hat Fragen und Antworten rund um das deutsche Stromnetz zusammengestellt.
Wie funktioniert der Transport von Strom?
Das Stromnetz ist die Lebensader der deutschen Wirtschaft. Insgesamt hat es eine Länge von knapp 1,7 Millionen Kilometern. Die Transport- und Verteilsysteme sind dabei für unterschiedliche Zwecke in vier Spannungsebenen gegliedert - vergleichbar mit dem Straßennetz: Es gibt Autobahnen (Höchstspannungs- oder Fernübertragungsnetz), Bundesstraßen (Hochspannungsnetz), Landstraßen (Mittelspannungsnetz) und Ortsstraßen (Niederspannungsnetz).
Den weitaus größten Teil des Netzes macht - mit einer Länge von mehr als einer Million Kilometern - das Niederspannungsnetz aus. Es wird von rund 900 Stadtwerken und kommunalen Versorgern betrieben. Nur 40.000 Kilometer entfallen auf das Höchstspannungsnetz, über das auch der Handel mit dem Ausland abgewickelt wird. Dieses Fernübertragungsnetz soll nach dem Willen der EU-Kommission von den Konzernen abgespalten und verkauft werden.
Wem gehören die Höchstspannungsnetze bisher?
Das Höchstspannungs- oder auch Fernübertragungsnetz in Deutschland teilen die vier Quasi-Monopolisten E.ON, RWE, EnBW und Vattenfall unter sich auf. Während das Netz von E.ON von Nord nach Süd durch die Mitte Deutschlands verläuft, konzentriert sich Vattenfall auf den Osten, RWE auf den Westen und EnBW auf den Südwesten.
In welchem Zustand ist das deutsche Übertragungsnetz?
In keinem besonders guten - glaubt man einem im Januar veröffentlichten Bericht der Bundesnetzagentur. Es gebe "Investitionsbedarf in erheblichem Umfang", weil das Netz veraltet sei und die Grenzen seiner Belastbarkeit erreicht habe. Die Behörde warnte in dem Bericht, dass "in einigen Regionen Deutschlands mittelfristig Engpässe im Stromnetz nicht auszuschließen" seien. Auch Aribert Peters vom Bund der Energieversorger hält die Versorgungssicherheit für gefährdet: Das deutsche Übertragungsnetz sei im Durchschnitt 50 Jahre alt. Die Konzerne investierten trotz ihrer Milliardengewinne nicht genug in die Netze.
Investitionen sind auch deshalb erforderlich, weil immer mehr Windenergie in die Netze eingespeist wird. Früher wurde der Strom hauptsächlich dort produziert, wo er auch verbraucht wurde. Heute werde Windkraft im Nordosten produziert, aber hauptsächlich im Westen verbraucht, heißt es bei RWE.
Warum will E.ON sein Netz verkaufen?
Mit dem Verkauf will E.ON die Einstellung von EU-Kartellverfahren erreichen und zugleich den wettbewerbspolitischen Druck auf die Konzernführung verringern. Doch es gibt auch handfeste betriebswirtschaftliche Gründe für den Rückzug. Denn die Bundesnetzagentur hat die Gewinnmöglichkeiten im Stromnetz stark beschnitten. Der Betrieb von Stromnetzen lohne sich deshalb kaum noch, erklärte E.ON-Chef Wulf Bernotat.
Unterstützung erhält E.ON dabei vom Chef der regierungseigenen Deutschen Energieagentur (Dena), Stephan Kohler. Auch er kritisiert die Regulierungsbehörde. Offenbar sei durch die Regulierung der Netze inzwischen der "Anreiz nicht mehr besonders groß, sich auf diesem Gebiet wirtschaftlich zu betätigen". Zudem könne aktuellen Untersuchungen zufolge die beim Netzausbau rechnerisch notwendige Eigenkapitalverzinsung in der Praxis nicht realisiert werden.
Werden die anderen großen Versorger nachziehen?
Offiziell hegen zumindest die Konzerne RWE und EnBW - die Nummern zwei und vier auf dem deutschen Strommarkt - keine Verkaufspläne. Die Nummer drei, Vattenfall, sucht inzwischen ebenfalls einen Käufer für sein Netz. Experten sind überzeugt, dass auch RWE und EnBW über kurz oder lang dem Beispiel von E.ON und Vattenfall folgen werden. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass andere Unternehmen bei integrierten Unternehmenskonzepten bleiben", sagt Holger Krawinkel, Energieexperte des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen.
Wie wirkt sich der Verkauf für die Kunden aus?
Zwar entfallen nur vier Prozent des Strompreises für Haushaltskunden auf das überregionale Höchstspannungsnetz. Aus Wettbewerbssicht wäre es nach Ansicht von Claudia Kemfert, Energieexpertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, dennoch positiv, wenn die Stromkonzerne sich von ihren Netzen trennen würden. Holger Krawinkel teilt ihre Meinung. Denn das Höchstspannungsnetz entscheide darüber, ob ein einheitlicher europäischer Binnenmarkt für Strom entstehen könne. "Gibt es einen europäischen Binnenmarkt, erhöht sich auch der Wettbewerb" und damit könnten die Preise sinken, ist der Experte überzeugt. Denn im europäischen Vergleich wirkten die deutschen Stromriesen plötzlich gar nicht mehr so groß. Dann könne auch nicht mehr von einer marktbeherrschenden Stellung gesprochen werden.
Wer könnte das Netz von E.ON kaufen?
"Es gibt mehrere Interessenten", heißt es inoffiziell bei E.ON. Namen werden jedoch nicht genannt. In Frage kommen vor allem Investoren, die an einer niedrigen, aber stabilen Rendite interessiert sind. Das könnten zum Beispiel Pensionsfonds sein oder Infrastrukturfonds, die Gelder aus dem arabischen Raum sicher und langfristig anlegen wollen. Interesse hätte vielleicht auch Gazprom. Doch ein Verkauf an das russische Unternehmen wäre politisch kaum durchsetzbar.
Diskutiert wird aber auch die Idee einer Netz AG. An ihr könnten sich der Staat sowie große industrielle Stromverbraucher beteiligen. Dabei könnte sich die öffentliche Hand je nach Ausgestaltung entweder die Mehrheit sichern und so ihren Einfluss wahren oder nur eine Sperrminorität anstreben.
Sollte der Staat das Höchstspannungsnetz übernehmen?
Ja, sagt Energieexperte Krawinkel. Die öffentliche Hand könne am besten Versorgungssicherheit und einen angemessenen Ausbau der Netze garantieren. Die Netzagentur dagegen lehnt den Einstieg des Staates beim Höchstspannungsnetz ab. "Der Ruf nach dem Staat ist nicht notwendig", sagt der Präsident der Bundesnetzagentur, Matthias Kurth. "Wir können die Balance zwischen den Notwendigkeiten einer sicheren Stromversorgung, den notwendigen Investitionen und dem Einsatz von privatem Kapital halten." Dafür sei keine Verstaatlichung nötig. Im Gegenteil: Privates Kapital könne helfen, die Infrastruktur zu mobilisieren.
Bundeskanzlerin Angela Merkel jedenfalls hält von einer Übernahme des Netzes bisher gar nichts: "Die Verstaatlichung habe ich nicht im Auge. Das will ich deutlich sagen."