Schuldenkrise Was wäre, wenn Athen pleiteginge?
Griechenland kämpft gegen die drohende Zahlungsunfähigkeit. Doch kann ein Staat überhaupt in die Insolvenz gehen? Wie sähen die Konsequenzen aus? Könnte Griechenland aus der Eurozone geworfen werden? tagesschau.de beantwortet die wichtigsten Fragen.
Von Ralph Sartor, tagesschau.de
Ist ein "geordnetes Insolvenzverfahren" für Griechenland möglich?
Von einer "geordneten Staatsinsolvenz" sprach Wirtschaftsminister Philipp Rösler bereits vor Monaten - doch ein solches Verfahren mit etablierten Regeln und Vorgehensweisen gibt es nicht. Und folglich fehlen auch innerhalb der Eurozone die Rahmenbedingungen und die Erfahrung: Etwas Vergleichbares hat es bislang dort noch nicht gegeben und ist auch in den europäischen Verträgen nicht vorgesehen. Vorschläge für eine geordnete Staatsinsolvenz von Euro-Staaten stehen deshalb unter dem Vorbehalt, dass sich die Regierungen der Eurozone auf Regeln für ein solches Insolvenzverfahren einigen.
Grundsätzlich funktioniert ein Insolvenzverfahren nach dem immer gleichen Schema: Der Schuldner, also derjenige der sich Geld geliehen hat, kann ab einem bestimmten Zeitpunkt die an ihn gestellten finanziellen Forderungen nicht mehr erfüllen. Er ist damit zahlungsunfähig. Die Gläubiger - sie haben dem Schuldner Geld geliehen - versuchen daraufhin, das noch ausstehende Geld möglichst komplett zurückzubekommen. Jetzt kommt bei einem privaten Verfahren ein Insolvenzverwalter ins Spiel. Sein Ziel ist es, entweder die Zahlungsfähigkeit des Schuldners wieder herzustellen, etwa durch eine Sanierung, während der die Forderungen der Gläubiger zeitweise zurückgestellt werden. Oder die Situation wird geordnet abgewickelt, bei Unternehmen etwa durch deren Auflösung.
Da eine Auflösung Griechenlands bei der Insolvenz eines Staats natürlich nicht zur Debatte steht, kann es im Insolvenzverfahren letztlich nur darum gehen, die Zahlungsfähigkeit des Landes wieder herzustellen. Etwa durch einen Schuldenschnitt, bei dem die Gläubiger auf einen Teil ihres geliehenen Geldes verzichten müssen.
Was passiert, wenn Griechenland zahlungsunfähig ist?
Ähnlich wie bei einem privaten Insolvenzverfahren müsste sich dann der Schuldner, in diesem Fall also Griechenland, mit seinen Gläubigern zusammensetzen, um einen Ausweg aus der Zahlungsunfähigkeit zu finden. Gläubiger sind alle diejenigen, die dem griechischen Staat Geld geliehen haben - das sind etwa Banken aus dem In- und Ausland, andere private Gläubiger wie etwa Privatpersonen oder auch Pensionsfonds oder Versicherungen, die griechische Staatsanleihen gekauft haben, Staaten - und die EZB, die mittlerweile ebenfalls griechische Papiere besitzt.
Da es im Falle einer Staatspleite keinen Insolvenzverwalter geben kann, wäre der Ansprechpartner der Gläubiger die griechische Regierung. Deren Verhandlungsziel wäre klar: die noch offenen Forderungen der Gläubiger so gering zu halten wie nur irgendwie möglich. Die Verhandlungsposition wäre für den griechischen Staat dabei übrigens komfortabler als für private Schuldner. Ein souveräner Staat zahlt nur, was er glaubt zahlen zu müssen. Pfändungen, wie bei privaten Schuldnern, sind weitgehend ausgeschlossen. Allerdings muss ein Staat auch im Blick haben, dass er in Zukunft wieder darauf angewiesen ist, sich an den Finanzmärkten Geld zu leihen. Deshalb muss er auch daran interessiert sein, die Forderungen der Gläubiger so weit wie möglich zu erfüllen und Vertrauen für die Zukunft aufzubauen.
Welche Folgen hätte ein Staatsbankrott für Griechenland?
Ist ein Staat pleite, kommt ein Großteil des Landes erst einmal zum Stillstand - und die Gläubiger müssen ganz oder zu einem großen Teil auf ihr Geld verzichten. Doch das ist bei weitem noch nicht alles. Griechenland wäre auf absehbare Zeit von den Finanzmärkten abgeschnitten und würde keine neuen Kredite mehr bekommen. Ohne diese könnte das Land seine laufenden Ausgaben kaum finanzieren. Darunter leiden müssten insbesondere Beamte, Rentner und Arbeitslose.
Eine Pleite Griechenlands wäre aber auch für die Banken des Landes verheerend. Sie haben der Regierung mehr als 50 Milliarden Euro geliehen, indem sie etwa griechische Staatsanleihen - also gewissermaßen die Schuldscheine des Landes - gekauft haben. Doch mit der Bankrotterklärung wären eben diese Staatsanleihen schlagartig nichts mehr wert. Das Geld wäre größtenteils verloren, die Banken könnten sich selbst nicht mehr refinanzieren und stünden vor dem Kollaps.
Käme es tatsächlich zum Zusammenbruch von Banken, hätte das für die griechische Realwirtschaft weitere dramatische Folgen. Ohne Bankkredite könnten dringend notwendige Investitionen nicht mehr getätigt werden, es droht ein weiterer massiver Verlust von Arbeitsplätzen.
Welche Folgen hätte ein griechischer Staatsbankrott für Europa?
Genau darüber wird seit Monaten in Europa heftig diskutiert. Einige Experten fürchten, dass eine Staatspleite Griechenlands zu einem generellen Vertrauensverlust in den Euro und damit zu einer Gefährdung der gesamten Eurozone führen könnte. Länder wie Spanien oder Italien könnten dann noch mehr Schwierigkeiten bekommen, sich an den Finanzmärkten Geld zu leihen, ohne bei der Verzinsung enorme Risikoaufschläge zahlen zu müssen.
Doch nicht nur das: Würde Griechenland bankrott gehen, käme dies auch eine Reihe von Banken außerhalb Griechenlands richtig teuer zu stehen. Auch sie besitzen griechische Staatsanleihen in Milliardenhöhe, müssten dieses Kapital abschreiben - und würden eventuell dadurch überfordert und müssten erneut gestützt werden. Auch die Europäische Zentralbank müsste ein massives Minus hinnehmen - und die Euro-Staaten, die Griechenland im Rahmen des ersten Hilfspakets bereits Milliarden geliehen haben. Denn auch diese Milliarden wären weg. Auch die der deutschen Steuerzahler.
Die Befürworter einer griechischen Staatspleite argumentieren, dass sich eine solche ohnehin nicht mehr verhindern lasse und deshalb jegliche Form von weiteren Krediten nichts anderes als Insolvenzverschleppung sei. Die sorge für unnötige Unruhe an den Finanzmärkten - und belaste damit auch die anderen Euro-Länder.
Welche Folgen hätte ein griechischer Staatsbankrott für die Märkte?
Tatsache ist - die Folgen einer Staatspleite sind nach wie vor nicht absehbar. Allerdings gilt auch: Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Pleite ähnlich verheerende Folgen wie der Zusammenbruch der Lehman-Bank vor drei Jahren hätte, ist zumindest gesunken.
Das hat vor allem zwei Gründe: Zum einen ist die griechische Krise bereits seit Monaten etwas, das Finanzexperten und Anleger befürchten. Viele der wirtschaftlichen Folgen sind bereits "eingepreist" - in die Kurse der Bankaktien, in die Kurse der griechischen Staatsanleihen, in die Konjunkturprognosen - und auch in die Bilanzen derjenigen, die noch griechische Staatsanleihen besitzen. Eine Abwärtsbewegung hat hier also bereits stattgefunden - nicht in Form eines plötzlichen Crashs, wie bei Lehman, sondern eher in Form eines Crashs auf Raten. Ein völliger Zusammenbruch Griechenlands würde also vermutlich nicht mehr zu einer Panik führen, die dann unbeherrschbare Marktreaktionen zur Folge hätte. Banken und Finanzmärkte hätten sich auf einen solchen Schritt eingestellt, meint etwa der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Thomas Meyer.
Zum anderen ist die Situation anders als noch im Jahr 2010. Ganz allgemein formuliert: Das Risiko einer Staatspleite ist inzwischen zum Teil verstaatlicht worden - durch die Kredite, die das Land inzwischen von anderen Staaten erhalten hat, und durch den Kauf von Staatsanleihen durch die EZB. Denn in beiden Fällen gilt: Dieses Risiko tragen nun nicht mehr private Investoren, sondern letztlich die Steuerzahler.
Dennoch bleibt auch die Furcht vor einer Kettenreaktion. Zum einen, was die Folgen für andere Staaten angeht - zum anderen gäbe es auch hier ein Risiko, das bereits bei der Lehman-Pleite für eine Verschärfung der Krise sorgte: die sogenannten Kreditausfallversicherungen, mit denen sich Investoren gegen einen Zahlungsausfall versichern. Bei allen Verhandlungen, die es bereits zu einem teilweisen Schuldenerlass durch Banken und andere private Investoren auf EU-Ebene gab, wurde deswegen immer Wert auf eine "freiwillige" Beteiligung der Privaten gelegt. Der Grund: Es sollte keinen Versicherungsfall geben; sprich - diese Versicherungen sollten gerade nicht einspringen müssen. Denn es ist zu unklar, welche Gelder fällig würden und welche Unternehmen wiederum dadurch in Bedrängnis geraten könnten. Im Falle einer Staatspleite wäre aber genau das nicht mehr zu verhindern.
Sollte Griechenland nicht ohnehin aus dem Euro-Raum austreten?
Der Plan klingt einfach. Griechenland tritt aus dem Euro aus und führt die griechische Drachme wieder ein. Die unmittelbare Folge wäre eine - vermutlich dramatische - Abwertung der Währung, deren Wechselkurs bei der Euro-Einführung mit 340,75 Drachmen für einen Euro festgelegt wurde. Der Effekt wäre: Die griechische Wirtschaft würde von einer schwachen Drachme profitieren. Griechische Produkte, die exportiert werden, würden sich verbilligen und auch eines der Hauptstandbeine Griechenlands - die Tourismusbranche - könnte davon profitieren. Das Urlaubsland Griechenland würde schlicht billiger werden.
Doch so einfach ist es nicht. Denn ein Euro-Austritt würde das Schuldenproblem der Hellenen nicht lösen, sondern verschärfen. Die in Euro aufgenommenen Altschulden würden im Zuge der Abwertung der neuen eigenen Währung nämlich drastisch steigen. Für die Griechen würde es also teuer, mit der billigen Drachme die alten Schulden in Euro zurückzuzahlen. Gläubigern - und das würde vor allem den griechischen Banken zum Verhängnis werden - droht auch dann ein Totalausfall ihrer Forderungen. Es könnte zudem zu einem "Bank-Run" kommen. Die Griechen würden versuchen, ihre Konten bei den heimischen Banken zu räumen, um die harten Euro vor einem Umtausch in weiche Drachmen zu schützen. Das könnte die nationalen Banken ruinieren und den gesamten griechischen Geldkreislauf zusammenbrechen lassen.
Lässt sich Griechenland aus dem Euro-Raum ausschließen?
Nein, das ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht möglich. Denn gemäß dem EU-Vertrag von Lissabon ist eine Mitgliedschaft in der Währungszone "unwiderruflich".
Wer nun auf den Gedanken kommt, dass Griechenland ja nicht zwingend rausgeworfen werden müsste, sondern auf sanften oder auch etwas härteren Druck hin freiwillig austreten könnte, gerät ebenfalls auf juristisch schwieriges Terrain. Denn dass eine Mitgliedschaft in der Eurozone "unwiderruflich" ist, bedeutet nach der bisherigen Auffassung der EU-Kommission auch, dass ein Austritt nicht möglich ist. Eine Ausnahme gibt es nach Ansicht einer Kommissionssprecherin nur über einen radikalen Umweg: Wenn Griechenland nicht mehr Mitglied der EU sei, könne das Land auch nicht mehr in der Eurozone bleiben. Aber eben nur dann.