Interview

Interview zur Finanzmarktkrise "Der Knüppel muss aus dem Sack"

Stand: 24.09.2008 11:55 Uhr

Anarchie in den Steueroasen, willfährige Politiker, schlecht organisierte Aufsichtsbehörden - all das habe zur katastrophalen Lage an den Finanzmärkten geführt, sagt der Experte Harald Schumann. Im tagesschau.de-Interview erklärt er, welche Strategien jetzt noch helfen können.

Anarchie in den Steueroasen, willfährige Politiker, schlecht organisierte Aufsichtsbehörden - all das habe zur katastrophalen Lage an den Finanzmärkten geführt, sagt der Experte Harald Schumann. Im tagesschau.de-Interview erklärt er, welche Strategien jetzt noch helfen können.

tagesschau.de: Banken und Anleger haben eine weltweite Krise an den Finanzmärkten verursacht, die uns jetzt mit einer Rezession bedroht. Warum hat sie niemand gestoppt?

Harald Schumann: Über lange Jahre haben willfährige Politiker, schlecht organisierte Aufsichtsbehörden und  der Druck der Führungskräfte aus der Finanzindustrie dafür gesorgt, dass immer weiter dereguliert wurde, dass immer größere regelfreie Zonen für die Finanzwirtschaft entstanden. Das ging soweit, dass die Grundregel des Banking missachtet wurde: Nämlich eingegangene Risiken mit einem bestimmten Anteil an Eigenkapital zu unterlegen. Die Banken durften außerhalb der Bilanz und damit auch außerhalb der Regulierungsvorschriften extrem riskante Geschäfte machen - und für diese Risiken wurde dann nicht angemessen vorgesorgt.

Zur Person
Harald Schumann (geboren 1957 in Kassel) arbeitet beim "Tagesspiegel" und als Autor. In seinen Büchern befasst er sich mit den Folgen der Globalisierung. 1996 verfasste er mit Hans-Peter Martin den Bestseller "Die Globalisierungsfalle". Zuletzt erschien von ihm und Christiane Grefe "Der globale Countdown".

"Bereicherungstrieb gehört zur menschlichen Natur"

tagesschau.de: Hat die Gier die Banker so weit getrieben?

Schumann: Der Bereicherungstrieb, die Gier, gehört zur menschlichen Natur. Sie treibt einen großen Teil ganz normalen und guten unternehmerischen Handelns an. Entscheidend ist, dass die Politik die Regeln so setzt, dass die Risiken beherrschbar bleiben. Und das ist versäumt worden.

Vorbild Spanien

tagesschau.de: Was könnte staatliche Kontrolle leisten und wie könnte sie konkret aussehen?

Schumann: Ein Vorbild könnte Spanien sein. Die spanische Bankenaufsicht hat ihren Banken diese Geschäfte außerhalb der Bilanz gar nicht erlaubt. Weiterhin müssen spanische Banken in Zeiten, in denen die Geschäfte gut laufen, höhere Eigenkapital-Rücklagen bilden. In Zeiten der Krise kann man dann auf dieses größere Polster zurückgreifen. Gleichzeitig sollten alle Arten von Wertpapieren einer Genehmigungspflicht unterliegen. Chinas Bankenaufsicht ist damit gut gefahren. Und schließlich muss endlich die Anarchie in den sogenannten Offshore-Zentren wie etwa den Cayman Islands ein Ende haben.

In diesen Steueroasen sind zum Beispiel über 90 Prozent aller Hedgefonds registriert und das nicht nur wegen der Steuerersparnis, sondern auch weil es dort kaum gesetzliche Auflagen gibt. Diese regelfreien Zonen haben ganz wesentlich zum Aufbau des Schattenbank-Systems beigetragen, das jetzt zusammengebrochen ist. Diesen Unsinn können wir uns wirklich nicht mehr leisten. Und wenn diese Zwergstaaten nicht mitmachen, dann muss man halt mal den Knüppel aus dem Sack holen und den dort engagierten Banken und Fonds mit dem Ausschluss vom Kapitalmarkt der Euro-Zone drohen.

Hohe Risiken mit Eigenkapital absichern

tagesschau.de: Sollte man nicht hochriskante Geschäfte unterbinden oder einschränken?

Schumann: Nein. Wenn es eine gute Investmentmöglichkeit mit hohen Gewinnchancen gibt, dann sollen Anleger ruhig mal hohe Risiken eingehen dürfen. Aber die Eigenkapital-Vorschriften müssen strikt gefasst und durchgesetzt werden. 

tagesschau.de: Muss die Regulierung der Finanzmärkte nicht auf internationaler Ebene ansetzen?

Schumann: Ich glaube nicht, dass man alles unbedingt international regeln muss. Die Euro-Währungszone ist ein großer Markt, sie könnte auch vorangehen. Jetzt in der Krise stehen die Chancen aber nicht schlecht, zu gemeinsamen Regeln zumindest für alle großen Industriestaaten zu kommen.

"Weltfinanzautorität wäre sinnvoll"

tagesschau.de: Wie sollte eine globale Regulierung organisiert werden?

Schumann: Wir brauchen eine europäische Finanzaufsicht. Dass es nach wie vor innerhalb der Euro-Zone in den verschiedenen Ländern verschiedene Regeln gibt, ist ein unmöglicher Zustand. Langfristig wäre es sicherlich sinnvoll, wenn wir so etwas wie eine Weltfinanzaufsicht hätten. Eigentlich wäre das die Aufgabe für den Internationalen Währungsfonds. Der hat nur das Riesenproblem, dass er völlig einseitig von den G7-Staaten dominiert wird. Bei einer globalen Finanzinstitution müssten aber auch die Interessen der Inder, Chinesen oder Südamerikaner gleichberechtigt vertreten sein. Eine solche Institution ist bislang leider nicht in Sicht.

"US-Rettungspaket hochgradig riskant"

tagesschau.de: Die US-Regierung hat ein 700-Milliarden-Dollar-Rettungspaket aufgelegt. Ist das der richtige Weg? 

Schumann: Ich halte ihn für hochgradig riskant. Es spricht vieles dafür, dass die enorme Summe von 700 Milliarden Dollar, die da jetzt auf dem Tisch liegt, vermutlich zu klein ist  - gemessen an den Problemen, die in den Bilanzen der Banken schlummern. Wahrscheinlich müsste doppelt so viel Geld her, um wirklich Erleichterung zu bringen. Und für noch gefährlicher halte ich das politische Risiko: Es ist unerträglich, dass in diesem Umfang Steuergeld investiert wird, ohne dass die Aktionäre der Institute wirklich bluten müssen. Das müssen die Bürger als sehr ungerecht empfinden. Das Mindeste wäre doch, dass der Staat für die Preisdifferenz zwischen dem Marktpreis und dem, was die Regierung für die faulen Papiere jetzt bietet, Anteile an den jeweiligen Banken oder Finanzinstitutionen erhält. Die könnte der Staat dann nachher wieder verkaufen, wenn die Institute saniert sind. Damit würden die Eigentümer und Aktionäre ihren Anteil am Schaden mittragen. So wird es ja im Prinzip bei normalen Insolvenzen auch gemacht: Wenn eine große Firma pleite geht, dann kriegen die Gläubiger als Entschädigung einen Anteil der Firma.

"Sozialismus für Reiche"

tagesschau.de: Sollte der Staat sich besser raushalten?

Schumann: Nein, es ist schon richtig, jetzt staatlich zu intervenieren. Das Vertrauen der Banken untereinander muss wieder hergestellt werden sowie ihre Fähigkeit zur Kreditvergabe an die Realwirtschaft, damit die weiterhin investieren kann. Sonst kriegen wir eine Rezession mit furchtbar vielen Arbeitslosen, eine Dauerkrise. Aber die Lasten müssen einigermaßen fair verteilt werden. Sonst wird das so eine Art Sozialismus für Reiche und das kann nicht gut gehen.

Das Interview führte Claudia Witte, tagesschau.de.