Worüber die Griechen abstimmen Das absurde Referendum
Bevor die Griechen nicht mit "Ja" oder "Nein" gestimmt haben, wird im Schuldenstreit nichts mehr entschieden. Alles hängt also am Referendum an diesem Sonntag - und damit an einer Abstimmung, die juristisch höchst umstritten und im Kern absurd ist.
Egal ob EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker, EU-Parlamentspräsident Martin Schulz, Bundeskanzlerin Angela Merkel oder SPD-Chef Sigmar Gabriel - sie alle messen dem Referendum in Griechenland eine extrem große Bedeutung bei. "Scheitert das Referendum, dann ist das ein klarer Entscheid gegen den Verbleib im Euro", warnte Gabriel. Ein "Nein" im Referendum wäre ein "Nein zu Europa", meint Juncker. Das Referendum sei das "legitime Recht der Griechen", sagte Merkel.
Doch man darf mutmaßen, dass all diese Politiker völlig anders reagieren würden, wenn ein ähnlich vorbereitetes Referendum zu einer anderen Zeit in einem anderen Land stattfinden würde. Vermutlich würden sie es dann schlicht als "illegitim" bezeichnen. Denn an der Rechtmäßigkeit der Volksabstimmung in Griechenland gibt es erhebliche Zweifel, auch wenn das oberste Verwaltungsgericht des Landes Klagen gegen das Referendum abwiesen. Die beiden Kläger hatten erklärt, das Referendum sei illegal, weil die Verfassung keine Volksabstimmungen über finanzpolitische Fragen zulasse. Dieser Argumentation folgte der Staatsrat aber nicht.
Europarat: Entspricht nicht unseren Standards
Der Europarat teilte allerdings im Vorfeld der Abstimmung mit, dass das Referendum nicht den vom Rat festgelegten Standards entspreche. Denn das Ziel der internationalen Staatenorganisation ist unter anderem die Sicherung demokratischer Grundsätze. Daniel Höltgen, Sprecher von Europarats-Generalsekretär Thorbjörn Jagland, nannte dafür drei Gründe: So müssten den Wahlberechtigten die zur Abstimmung stehenden Fragen mindestens zwei Wochen vor dem Referendum vorliegen, "das war hier offensichtlich nicht der Fall". Die Fragen müssten zudem "sehr klar und verständlich" formuliert sein; auch das sei derzeit vermutlich nicht umgesetzt. Wegen der kurzen Ankündigungsfrist sei es zudem unmöglich, internationale Beobachter zu entsenden, die bei solchen Referenden empfohlen würden. Griechenland gehört - wie alle EU-Staaten - dem Europarat an.
Von einer "klaren und verständlichen Formulierung" kann bei dem Referendum in der Tat nicht die Rede sein. Auf den Wahlzetteln heißt es: "Soll der gemeinsame Plan angenommen werden, den die Europäische Kommission, die Europäische Zentralbank und der Internationale Währungsfonds bei der Eurogruppe am 25. Juni vorgelegt haben?" Anschließend wird ausgeführt, dass der Plan der drei Institutionen aus zwei Teilen bestehe, wobei die englischen Titel der Dokumente mit ihrer griechischen Übersetzung genannt werden: "Reformen zum Abschluss des laufenden Programms und darüber hinaus" und "Vorläufige Analyse der Tragfähigkeit der Schulden".
Komplizierte Materie, komplizierte Sprache
Die EU-Kommission hatte am vergangenen Sonntag in englischer Sprache veröffentlicht, was sie der griechischen Regierung zuletzt vorgeschlagen hat. Theoretisch hatten die Wähler also insgesamt eine knappe Woche Zeit zu lesen und zu verstehen, worauf sich ihr "Ja" oder "Nein" beim Referendum eigentlich bezieht. Allerdings handelt es sich um eine äußerst komplizierte Materie und in einer Fachsprache, die für die meisten nur schwer verständlich sein dürfte.
Auch die griechische Regierung richtete wenige Tage vor der Abstimmung eine Internetseite mit Informationen zur Volksabstimmung ein - auf Griechisch und auf Englisch. Auch dort finden sich Dokumente zu den Vorschlägen der drei Institutionen EU-Kommission, EZB und IWF. Allerdings sind die Dokumente nicht identisch mit denen auf den Seiten der EU-Kommission.
Aber völlig unabhängig davon bleibt die absurde Grundsituation, dass die Wähler über einen Plan abstimmen sollen, der überhaupt nicht mehr zu Debatte steht. Denn die Verhandlungen darüber scheiterten am vergangenen Wochen und die Fristen, die dafür entscheidend gewesen wären, liefen am vergangenen Dienstag ab.
"Gewichtige verfassungsrechtliche Fragen"
Juristen sehen das Referendum entsprechend kritisch. "Nach europäischen Verfassungsregeln" sei die Abstimmung "äußerst fragwürdig", sagt der Augsburger Völkerrechtler Christoph Vedder der "Süddeutschen Zeitung". Auch er verweist auf die Regeln des Europarats. Bedenken gibt es auch in Griechenland selbst. "Diese Volksabstimmung ist nicht seriös vorbereitet", sagt Lucas Toukalis vom Athener Think Tank Eliamep im Gespräch mit der Deutschen Welle. Allein schon die kurze Dauer des Wahlkampfes werfe "gewichtige verfassungsrechtliche Fragen" auf.
Die sieht auch Evangelos Venizelos so, Staatsrechtler und Politiker der oppositionellen Pasok. Die Wähler hätten kaum Zeit gehabt, sich richtig zu informieren und sich eine Meinung zu bilden, so der frühere Pasok-Chef. Seine Partei hält die Fragestellung für irreführend und ist zudem der Ansicht, dass laut Verfassung keine Volksabstimmung über Finanzfragen durchgeführt werden darf. Tatsächlich ist in Artikel 44 der griechischen Verfassung ausdrücklich von der "Ausnahme" fiskalischer Fragestellungen die Rede.
Einige griechische Bürger teilen diese Bedenken. Zwei von ihnen - ein Ingenieur und ein Jurist - reichten eine Klage gegen das Referendum ein, berichtet der griechische Rundfunk ERT. Der Staatsrat, das höchste Verwaltungsgericht des Landes, wies diese Klagen allerdings am Freitag ab und ließ das Referendum zu. Die Kläger hatten ihren Einspruch damit begründet, dass die Volksabstimmung nicht den - in der Verfassung vorgeschriebenen - Anforderungen entspreche.
Regierung: "In völliger Transparenz durchgeführt"
Die griechische Regierung hatte keine solchen Bedenken. Das Büro von Regierungssprecher Gabriel Sakellaridis teilte mit, die oben erwähnte Internetseite der Regierung versorge die Menschen im Land und die internationale Öffentlichkeit mit "präzisen" Informationen. Allerdings bezog dort auch Ministerpräsident Alexis Tsipras ausführlich Stellung - und seine Position ist klar: Er rief die Wähler auf, mit "Nein" zu stimmen.
Für Kritik hatte in den vergangenen Tagen auch gesorgt, dass auf den Stimmzetteln des Referendums das "Nein" ("Oxi") über dem "Ja" ("Nai") steht, obwohl es nach dem Alphabet und allgemeinen Gepflogenheiten andersherum sein müsste. Aber angesichts der vielen Ungereimtheiten erscheint das fast schon als Petitesse.