Welche Strategie verfolgt Prokon? "Die Insolvenz kann verlockend sein"
Mit allen Mitteln, so scheint es, wehrt sich Prokon gegen die Insolvenz. Doch hat Prokon überhaupt ein Interesse daran, die Pleite abzuwenden? "Für überschuldete Firmen kann eine Insolvenz sehr verlockend sein", sagt Insolvenzverwalter Niering im tagesschau.de-Interview.
tagesschau.de: Herr Niering, seit Tagen verfolgen Zehntausende Anleger den Kampf der Windkraftfirma Prokon gegen die eigene Insolvenz. Dabei ist dieser Kampf doch gar nicht zu gewinnen - oder?
Christoph Niering: Zumindest erscheint es fast unmöglich. Denn immerhin liegt die Zustimmungsschwelle bei 95 Prozent. Das heißt, um eine Insolvenz noch zu verhindern, soll für 95 Prozent des Genussrechtskapitals die Zusage eingehen, das Kapital im Unternehmen zu halten.
tagesschau.de: ... und das bis nächsten Montag. Dabei wurde der Brief an die Anleger erst am vergangenen Freitag veröffentlicht. Das Ziel war also, vereinfacht gesagt, dass 19 von 20 Anlegern binnen gut einer Woche eine solche weitreichende Entscheidung treffen. Ist das nicht völlig illusorisch?
Niering: Zumindest ist es kein gutes Zeichen, dass die Zahl derer, die zustimmen sollen, derart groß ist - und die Zeit derart knapp.
Christoph Niering ist Vorsitzender des Verbands Insolvenzverwalter Deutschlands (VID). Der 51-Jährige arbeitet seit mehr als 20 Jahren als Insolvenzverwalter. In dieser Zeit hat er mehr als 2000 Insolvenzverfahren betreut. Seine Kanzlei ist die auf Nordrhein-Westfalen konzentrierte Niering Stock Tömp Insolvenzverwaltungen, eine der großen deutschen Insolvenzverwalterkanzleien.
"Mithilfe des Insolvenzplans entschulden"
tagesschau.de: Es kursiert die - verwegen klingende - These, dass Prokon den Kampf gar nicht gewinnen will, sondern die Insolvenz anstrebt.
Niering: Dass ein überschuldetes Unternehmen die Insolvenz sucht, klingt nicht unplausibel. Für manche Firmen ist das sogar eine verlockende Option. Die Reform der Insolvenzordnung, die 2012 in Kraft trat, erleichtert die Möglichkeit, sich mithilfe eines Insolvenzplanverfahrens zu entschulden. Das ist aber kein Selbstzweck; es geht immer darum, für die Gläubiger die bestmögliche Lösung zu finden.
tagesschau.de: Aus dem Brief von Prokon geht hervor, dass die Geschäftsführung im Pleitefall eine sogenannte Planinsolvenz in Eigenverwaltung anvisiert. Anders ausgedrückt, die heutigen Geschäftsführer wollen weiter das Sagen haben. Wörtlich heißt es: "Eine gewisse Handlungsfähigkeit der Geschäftsführung bleibt bestehen, wenn das Amtsgericht die Eigenverwaltung anordnet. Diesen Schritt würden wir nicht scheuen, aber mit sehr, sehr großem Bedauern gehen."
Niering: Der Öffentlichkeit ist schwer vermittelbar, dass ein Unternehmer, dessen Firma in die Insolvenz geht, trotzdem an Bord bleiben soll. Aber wenn es sich um einen fähigen und seriösen Unternehmer handelt, dann wäre es falsch, ihn auszuschließen. Nur wenn der Geschäftsführer dem Unternehmen offenkundig schadet, kann der vorläufige Insolvenzverwalter seinen Einfluss beschneiden.
tagesschau.de: Bis Mittwochmittag hatten Anleger nach Prokon-Angaben schon mehr als 200 Millionen Genussrechtskapital gekündigt - von insgesamt 1,4 Milliarden Euro. Die 95-Prozent-Hürde ist also längst gerissen. Müsste Prokon jetzt nicht Insolvenz anmelden?
Niering: Ob das jetzt schon der Fall ist, kann ich nicht sagen. Aber in jedem Fall ist ein Unternehmen spätestens dann verpflichtet, Insolvenzantrag zu stellen, wenn es seine fälligen Verbindlichkeiten nicht mehr bedienen kann.
"Der Einfluss der Genussrechteinhaber ist zunächst begrenzt"
tagesschau.de: Welchen Einfluss haben die Genussrechtsinhaber auf das weitere Verfahren?
Niering: Zunächst mal einen sehr begrenzten. Die Frage, ob ein Insolvenzantrag gestellt wird oder nicht, obliegt der Geschäftsführung. Und dann entscheidet allein der Insolvenzrichter, ob ein Insolvenzgrund vorliegt oder nicht.
tagesschau.de: Und dann?
Niering: In letzter Konsequenz entscheiden die Gläubiger, was mit dem Unternehmen passiert. Schließlich geht es um ihr Geld.
tagesschau.de: Also sind die Genussrechtsinhaber zumindest Herr über das Verfahren?
Niering: Nicht unbedingt. Es gibt in einem Insolvenzverfahren schließlich ja auch andere Gläubigergruppen. Das können Zulieferer sein, Mitarbeiter, Vermieter, Sozialkassen, klassischerweise Banken - also all jene Akteure, denen das Unternehmen womöglich Geld schuldet. Es kann also passieren, dass die Genussrechtsinhaber, auch wenn sie die größte Gruppe sind und das meiste Geld in der Firma haben, überstimmt werden. Hinzu kommt: Genussrechtskapital ist sogenanntes nachrangiges Kapital - aus einer möglichen Insolvenzmasse werden die Genussrechtsgläubiger als letzte bedient
tagesschau.de: Ist bei der vom Unternehmen im Pleitefall angestrebten Planinsolvenz in Eigenverwaltung folgendes Szenario denkbar: Die Genussrechtsinhaber verlieren einen großen Teil ihres Geldes - und die Geschäftsführung kann mit einem entschuldeten Unternehmern weitermachen?
Niering: So muss es nicht kommen. Aber es ist auch nicht auszuschließen.
Das Interview führte Heinz-Roger Dohms, tagesschau.de