Worst EU Lobby Awards 2006 'Lobbying - eine Gefahr für die Demokratie'
Zum zweiten Mal werden in diesem Jahr die schlimmsten EU-Lobbyisten gesucht. Bei den "Worst EU Lobby Awards 2006“ sind Unternehmen und PR-Agenturen nominiert, die die Politik der Europäischen Union zu ihren Gunsten beeinflussen wollen – nicht immer mit sauberen Methoden. Über die Preisträger wird im Internet abgestimmt.
Von Frank Zirpins, tagesschau.de
Was den Datenschützern der "Big Brother Award“ für die informationelle Selbstbestimmung ist, soll der "Worst EU Lobbying Award“ für die Einflussnahme von Interessenvertretern auf die Politk werden. Zum zweiten Mal wird der Wettbewerb in diesem Jahr ausgerichtet, zum ersten Mal war das Vorschlagsverfahren für jedermann offen. Insgesamt gingen 32 Vorschläge ein, berichtet Owen Espley, der für die Organisation "Corporate Europe Observatory“ (CEO) arbeitet, die den Wettbewerb federführend betreut. Die in Amsterdam ansässige Gruppe setzt sich bereits seit zehn Jahren kritisch mit Machtstrukturen und Lobbying auf europäischer Ebene auseinander. Jeweils fünf dieser Vorschläge wurden ausgewählt und nach Prüfung in den beiden Kategorien "Worst Lobby Award“ und "Privileged Access – Privilegierter Zugang“ nominiert.
Auch Exxon Mobil ist im Rennen
Für den Preis "Worst Lobby“ ist unter anderem das Unternehmen Exxon Mobil im Rennen. Der Mineralölkonzern finanziere Studien, die durch das Anzweifeln des Klimawandels eine umweltfreundlichere Politik verzögerten, so der Vorwurf.
Ebenfalls nominiert ist die Organisation Cefic, die die Interessen der chemischen Industrie in Brüssel vertritt. Sie versucht unter anderem, den EU-Gesetzesvorschlag zur Registrierung, Evaluierung und Autorisierung von Chemikalien (Reach) im Sinne der Industrie zu verändern und Klagemöglichkeiten gegen die chemische Industrie in dem Gesetzentwurf einzuschränken. Cefic hat dazu eine nach Ansicht der Wettbewerbs-Organisatoren "hochgradig irreführende PR-Kampagne“ gestartet.
Anti-Krebs-Initiative oder Pharma-Werbung?
Auch die PR-Agentur Weber Shandwick aus Brüssel findet sich auf der Liste. Sie ist nominiert für die Anfang Oktober gestartete Kampagne "Cancer United“, die sich zum Ziel gesetzt hat, in allen EU-Staaten nationale "Anti-Krebs-Pläne“ einzurichten. Weber Shandwick tritt als "Sekretariat“ der Initiative auf, die nach Auskunft ehemaliger Mitarbeiter und nach Recherchen der Zeitung "The Guardian“ einzig von dem Pharmakonzern Roche finanziert wird, der mehrere Krebs-Medikamente auf dem Markt hat. Basis der Kampagne ist eine von Roche bezahlte Studie, derzufolge höhere Investitionen in Krebs-Medikamente eine geringere Sterblichkeit mit sich bringen.
Auch Türöffner für Lobbyisten am Pranger
"Zum Lobbyismus gehören immer zwei“, sind sich die Ausrichter des Preises einig. Deshalb lassen sie auch darüber abstimmen, wer auf EU-Ebene den Lobbyisten Tür und Tor öffnet. In die Kategorie "Privileged Access – bevorzugter Zugang“ fallen EU-Kommissare und -Gremien, die Expertenanhörungen nicht gleichwertig besetzen lassen, sondern vorzugsweise auf bestimmte gesellschaftliche Gruppen setzen.
Günter Verheugen etwa ist auf der Liste der Nominierten. Der Grund: Er habe mehrere Expertenkommissionen mit einseitiger Besetzung einberufen. So richtete der Kommissions-Vizepräsident die so genannte High-Level-Group "Cars 21“ ein, als Expertengruppe für ein "Wettbewerbsfähiges Kraftfahrzeug-Regelungssystem für das 21. Jahrhundert“. Unter den 17 Experten, die über die Zukunft der Automobilindustrie beraten sollten, war genau ein Vertreter einer Umweltschutz-Organisation. Dafür kamen Repräsentanten von Volkswagen, Ford, Renault und Fiat. Ähnlich, so die Lobby-Wächter, verfahre Verheugen auch mit der Expertenkommission "Wettbewerbsfähigkeit, Energie und Umwelt“. Von den 18 externen Experten kommen zwölf aus dem Bereich der energieintensivsten Industriezweige. Als Vertreter einer Umweltgruppe hat die Europäische Kommission den Direktor des World Wildlife Funds eingeladen – aus den USA.
Einseitige Einladungspraxis
Für den Preis sind auch die österreichische und die finnische EU-Ratspräsidentschaft vorgeschlagen. Bei einem Treffen zum Thema Biotechnologie im Juni hatten sie keine einzige Umweltschutzorganisationen eingeladen. Als deren Vertreter dennoch in Helsinki erschienen, wurde ihnen der Zutritt zur Konferenz verweigert. Anders erging es den Vertretern des europäischen Biotech-Wirtschaftsverbandes "Europabio“: Sie waren nicht nur eingeladen, sondern verschickten sogar selbst die Einladungen für die Veranstaltung und warben darin mit der Möglichkeit, EU-Entscheidungsträger und Vertreter nationaler Ministerien zu treffen.
"Lobbying ist eine Gefahr für die Demokratie“
Bis zum 1. Dezember ist die Abstimmung im Internet geöffnet, dann stehen die "Preisträger“ fest. "Das ist eine unterhaltsame Art, ein ernstes Thema anzusprechen“, sagt Owen Espley über den Wettbewerb. "Wir wollen die Aufmerksamkeit auf täuschende und irreführende Praktiken lenken“, so der CEO-Mann im Gespräch mit tagesschau.de. In der Europäischen Union fehle es nach wie vor an einer Regulierung der Arbeit von Interessenvertretern. "Lobbying ohne Kontrolle und im Verdeckten“, so Espley, "ist eine Gefahr für die Demokratie.“
Unterstützung beim "Worst Lobby Award“ erhält CEO von weiteren europäischen Gruppen. Beteiligt an dem Wettbewerb sind aus Deutschland Mitglieder der Watchdog-Gruppe Lobbycontrol, dazu die britische Initiative Spinwatch, die sich als europäisches Netzwerk mit PR auseinandersetzt, sowie die internationale Umwelt-Organisation "Friends of the Earth“.
Abstimmung im Internet
Im vergangenen Jahr machte die "Kampagne für Kreativität“ mit großem Abstand das Rennen. 85 Prozent der Stimmen entfielen auf die Lobbyismus-Initiative, die sich als Nicht-Regierungs-Organisation tarnte und dafür eintrat, Unternehmen stärkere Rechte an Software zu gewähren. Im Auftrag von großen Konzernen wie Microsoft und SAP tarnten sich die Lobbyisten einer PR-Firma als "Graswurzel-Gruppe“ und Vertreter von Künstlern, Musikern und Software-Entwicklern, um das EU-Parlament von ihren Zielen zu überzeugen.