Hintergrund

Reportage AKW-Neubau lässt Finnen kalt

Stand: 16.01.2006 11:30 Uhr

Während hierzulande vorerst weiter am Atomausstieg festgehalten wird, bauen die Finnen ein neues Atomkraftwerk. Es ist das erste in der EU seit der Tschernobyl-Katastrophe. Der Widerstand dagegen hält sich allerdings in Grenzen.

Von Mirja Rumpf, Helsinki

Während in Deutschland die Diskussion um Atomenergie erneut entbrannt ist, laufen in Finnland die Vorbereitungen für den Bau eines neuen Atomkraftwerks. Erstmals nach der Tschernobyl-Katastrophe wird in der Europäischen Union wieder ein Reaktor gebaut. 2009 soll der Meiler in Olkiluoto ans Netz gehen. Das finnische Parlament machte im Mai 2002 den Weg dafür frei: Mit 107 zu 92 Stimmen billigte es den Antrag der Energiegesellschaft Teollisuuden Voima (TVO). Kurz darauf verließen die Grünen die Regierungskoalition mit SDP und Zentrum. Die Menschen in Finnland scheinen sich leichter mit dem AKW-Neubau abgefunden zu haben: Demonstrationen gibt es nur selten – und wenn, dann fallen sie klein aus.

Liegt den Finnen der Widerstand nicht?

"Ich habe versucht, eine Bürgerinitiative zu starten", sagt Esa Aro-Heinilä. "Aber ich hatte keinen Erfolg." Der 31-Jährige ist Landwirt im westfinnischen Eurajoki. Sein Hof liegt 15 Kilometer von der Atomanlage Olkiluoto entfernt, wo bereits zwei der bisher vier Reaktoren des Landes in Betrieb sind. Zwar waren anfangs noch dreißig Atomkraftgegner in seiner Gruppe, doch heute steht er wieder alleine da. "Die Finnen sind eben nicht die Menschen, die auf die Straße gehen", sagt er und zuckt mit den Schultern.

Die Fakten scheinen ihm recht zu geben. Im April 2001, ein Jahr vor der entscheidenden Abstimmung über den AKW-Neubau im Parlament, gab es die größte Anti-Atom-Demonstration in der Geschichte des Landes mit 6000 Teilnehmern in Helsinki. Viel ist das nicht, bedenkt man, dass laut einer Umfrage des finnischen Gallup-Instituts 45 Prozent der Finnen den Ausbau von Atomenergie ablehnen. Fast ebenso viele, 43 Prozent, sind aber dafür. In seinem Wohnort Eurajoki, einer Gemeinde mit 5760 Einwohnern, sei das extrem, sagt Esa Aro-Heinilä. "Für die Leute hier ist Atomkraft heilig, weil sie Jobs bringt. Wer das anders sieht, hat verloren und wird gemieden." 750 Menschen arbeiten zurzeit in den beiden Reaktoren in Olkiluoto, bis zu 200 neue Jobs sollen durch den Neubau hinzu kommen.

Führende Grüne sehen Entwicklung besorgt

Eine, für die diese Arbeitsplätze nach wie vor kein Argument für die Atomkraft sind, ist die Grünen-Politikerin Satu Hassi. Zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Reaktorbau war sie Umweltministerin. "Ich kämpfe natürlich immer noch", sagt sie. Das Ja für den fünften Reaktor in Finnland bereitet ihr große Sorgen – besonders, wenn sie nach Russland blickt. "Einige russische Atomkraftwerke sind tickende Zeitbomben", sagt Hassi. Welches Argument hätte Finnland jetzt in der Hand, um die Russen zu überzeugen, zum Beispiel Sosnowi Bor abzuschalten, fragt sie. "Wir Finnen bauen zwar einen neuen Reaktor, aber ihr müsst euren jetzt abschalten – da werden die Russen doch nur laut lachen."

Die Kernkraftanlage in Sosnowi Bor bei Sankt Petersburg gilt als sehr unsicher und liegt nur 250 Kilometer von Helsinki entfernt. Tschernobyl ist 1040 Kilometer weit weg. Nach dem Super-GAU von 1986 hatten Wissenschaftler in Finnland eine erhöhte Radioaktivität gemessen, monatelang vermieden viele Finnen, Pilze, Fische und Rentier zu essen. Nach Ansicht von Satu Hassi liegt die Katastrophe aber wohl zu weit zurück. Die Menschen hätten die Erfahrung schon wieder verdrängt, meint sie. Zu dem der vergleichsweise hohen Akzeptanz von Atomkraft in Finnland mag aber auch noch etwas anderes beitragen: Das Land hat keine Vorkommen an Kohle, Erdgas oder Öl aber einen sehr hohen Energiebedarf. Der Pro-Kopf-Verbrauch lag mit 14.904 Kilowattstunden im Jahr 2001 doppelt so hoch wie in Deutschland. Die Gründe sind das kalte Klima, die geringe Bevölkerungsdichte und die großen Entfernungen. Zudem sind die Papier-, Metall- und Chemieindustrie stromintensiv.

Für Sicherheit soll der EPR sorgen

Trotzdem spielte die Sicherheit der Atomkraft in der politischen Diskussion um das neue AKW eine Rolle. Und möglicherweise gab das den Ausschlag dafür, dass man sich für ein Kraftwerk neuen Typs entschied: Gebaut wird erstmals ein Europäischer Druckwasserreaktors (EPR). Der Reaktor mit einer Leistung von 1600 Megawatt sei sicherer denn je, meldet der Hersteller Framatome ANP, ein Konzern, an dem Siemens mit 34 Prozent beteiligt ist. "Zwei Dinge sind neu", erklärt Jukka Laaksonen, Chef des finnischen Strahlenschutzamtes. "Es gibt eine zweite Schale aus Stahlbeton, und es gibt ein neues Sicherheitssystem, das den geschmolzenen Kern im Ernstfall auffangen würde, so dass der nicht ins Grundwasser eindringen könnte." Das seien Pluspunkte des EPR gegenüber seinen Vorgängern, meint der Beamte. Hundert Prozent Sicherheit gebe es aber nicht, räumt er ein.

Weltweit erster Endlagerstandort benannt

Im September 2005 wurde mit dem Bau begonnen. Anneli Nikula, Sprecherin des Energiekonzerns TVO, rechnet auch künftig nicht mit Protesten: "Das ist hier anders als zum Beispiel in Deutschland." So kann es sich Klaus Hellberg, Energieexperte der Regierungspartei SDP, auch erlauben, bereits laut über den Bau eines sechsten Atomkraftwerkes nachzudenken. "Um im europäischen Wettbewerb mithalten zu können, brauchen wir billigen Strom", sagt er.

Und der Atommüll? "Das ist ein globales Problem, dafür müssen wir auch eine globale Lösung finden", meint Hellberg. Regional glaubt Finnland diese Lösung bereits zu haben: 2001 fällte es als weltweit erstes Land den Entschluss zur unterirdischen Lagerung der abgebrannten Brennelemente und benannte einen Standort dafür. Er liegt 15 Kilometer vom Hof des Atomkraftgegner Esa Aro-Heinilä entfernt. Es ist Olkiluoto.