Wirtschaftsethiker zur Korruptionsskandalen "Der Druck verführt zu unlauteren Methoden"
Trotz Affären bei Siemens und VW - gekaufte Betriebsräte seien Einzelfälle, meint der Wirtschaftsethiker Thielemann. tagesschau.de sprach mit ihm über die Ursachen für unethisches Verhalten in Firmen, den Unterschied zwischen Anspruch und Wirklichkeit und die "ethische Eigendynamik".
Trotz Affären bei Siemens und VW - gekaufte Betriebsräte seien wohl eher Einzelfälle, meint der Wirtschaftsethiker Thielenmann. Im Interview mit tagesschau.de spricht er über die Ursachen für unethisches Verhalten in Firmen und dem Unterschied zwischen Anspruch und Wirklichkeit.
tagesschau.de: Angesichts der Siemens-Affäre und des VW-Skandals drängt sich manchem der Eindruck auf, dass zunehmend Betriebsräte in Korruptionsfälle verwickelt sind.
Thielemann: Im Fall Siemens ist allerdings gar nicht klar, ob es sich bei der besagten Arbeitsgemeinschaft unabhängiger Betriebsangehöriger überhaupt um einen Betriebsrat im eigentlichen Sinne handelt. Möglicherweise handelt es sich eher um einen Anbieter einer Dienstleistung für Unternehmen, von dem Siemens - dann allerdings wohl illegal - eine besondere Leistung eingekauft hat, nämlich ihr genehme Betriebsräte.
Bei VW ist es anders - doch insgesamt bezweifele ich, dass es sich um ein breites Phänomen handelt. Es dürfte sich eher um Einzelfälle handeln, die etwa durch eine zu große Nähe der Betriebsräte zum Management eines Unternehmens entstehen können, durch die dann die Unabhängigkeit der Betriebsräte schwindet und sie nicht mehr so ohne weiteres die Interessen der Arbeitnehmer vertreten. Möglicherweise laufen da fragwürdige Deals ab, bei denen die Betriebsräte bestimmte Entschlüsse abnicken, um dafür an anderer Stelle Zugeständnisse zu erhalten. Für die Arbeitnehmervertreter ist es nicht einfach, aus dieser Zwickmühle herauszukommen.
"Radikalität des Managements"?
tagesschau.de: Der internationale Druck durch die Globalisierung auf die Wirtschaft insgesamt, aber auch auf die einzelnen Manager, die einzelnen Beschäftigten, steigt. Ist die Korruption eine Reaktion darauf?
Thielemann: Schauen wir Siemens an. Das Unternehmen ist ja in eine ganze Serie von Skandalen verstrickt, und die Frage ist: ist dies alles Zufall? Ich denke kaum. Siemens dürfte repräsentativ für eine ganze Reihe von Unternehmen stehen, die unter dem Druck des globalen Wettbewerbs und der globalen Kapitalmärkte stehen, und die über ein Management verfügen, das diesen Druck bereitwillig aufgreift und weiterreicht.
Die Folge ist eine neue Radikalität des Managements, dem keine Rentabilität und keine Leistungsvorgabe zu hoch ist. Umgesetzt wird dies dann durch mehr oder minder pauschal gesetzte Renditevorgaben und darauf ausgerichtete Leistungsanreize für die Arbeitnehmer. "Fix it, sell it, close it“ nennt Siemens-Chef Kleinfeld dies. Die Anreize sind es dann, die dazu führen, dass die Verantwortlichen auf tieferen Stufen im Unternehmen auch einmal zu unlauteren, unverantwortlichen und vielleicht sogar illegalen Mittel greifen, um so den Renditevorgaben der Konzernspitze zu genügen. Diese Situation zu beenden, stellt eine große Herausforderungen dar für eine gute, verantwortungsvolle Unternehmenssteuerung.
Zwiespalt zwischen Erklärungen und Tatsachen
tagesschau.de: Zumindest nach außen stellen sich die Konzerne gerne als verantwortungsvoll dar. Alles nur Show?
Thielemann: Nach außen erklären die großen Unternehmen, dass sie ethisch verantwortungsvoll und gesellschaftsdienlich agieren - die Sichtworte dafür sind Corporate Citizenship, Corporate Social Responsibility (CSR), gesellschaftliche Verantwortung und manchmal auch Nachhaltigkeit. Sie finden inzwischen auf der Website so ziemlich aller großen Unternehmen Berichte und Deklarationen dazu. Andererseits bedienen sich die Unternehmen nach wie vor oder sogar zunehmend ethisch fragwürdigen Managementpraktiken oder begünstigen diese indirekt. Dass führt zu einem Spannungsfeld zwischen den Unternehmen und der Zivilgesellschaft – den Bürgern, den Beschäftigten, den Konsumenten und den Nichtregierungsorganisationen - , die diese Praktiken als Missstand anprangert. Auch Fragen der Managervergütung und des immer härteren Umgangs mit den Mitarbeitern werden diskutiert.
"Erste Firmen wollen Ordnung von oben"
tagesschau.de: Wie könnte die Entwicklung weitergehen?
Thielemann: Inzwischen entdecken ja auch die Gewerkschaften das Thema Unternehmensethik und Managementintegrität für sich. Wenn die Zivilgesellschaft ein verantwortungsvolles Geschäftsgebaren in sozusagen ausdrücklich ethischer Münze einfordert, dann ist dies ein Fortschritt. Die Unternehmen laden, ob gewollt oder ungewollt, die Zivilgesellschaft, die Bürger, ja förmlich dazu ein, indem sie zunehmend deutlicher ihren Anspruch erklären – und bekunden müssen -, die Geschäfte verantwortungsvoll und integer zu führen. Damit ist eine ethische Eigendynamik losgetreten, von der es kaum mehr ein Zurück gibt.
tagesschau.de: Also regelt sich alles von selbst?
Thielemann: Nein, man darf nicht so naiv sein anzunehmen, der zivilgesellschaftliche Druck oder auch eine auf echter Integrität basierende Geschäftsführung hier und da würde die Wirtschaft gesamthaft und unverkürzt auf den Pfad der Tugend führen. Es bedarf vielmehr durchaus auch der Regulierung – auf globaler Ebene, weil wir nun einmal einen globalen Wettbewerb haben. Es gibt auch bereits Stimmen aus der Wirtschaft, die einen solchen globalen Ordnungsrahmen fordern. Diese Firmen erkennen: "Wir müssen nach ethischen Maßstäben handeln, aber dann haben wir möglicherweise Wettbewerbsnachteile gegenüber anderen Unternehmen, die das eben nicht tun.“ Deshalb sind sie daran interessiert, dass für alle die gleichen Regeln gelten, so dass der verantwortungsvoll und integer Handelnde nicht der Dumme ist.
Das Interview führte Fiete Stegers, tagesschau.de