Interview "Digitales TV kommt bundesweit bis 2010"
Wie ist die ARD auf die weitere Digitalisierung des Fernseh- und Radioempfangs vorbereitet? Wann kommt DVB-T bundesweit, wann setzen sich DAB und MHP durch? Welche anderen Trends zeichnen sich für die Zuschauer ab? tagesschau.de sprach darüber mit Joachim Lampe, stellvertretender NDR-Intendant, NDR-Produktionsdirektor und Vorsitzender der Produktions- und Technikkommission der ARD.
tagesschau.de: Seit dem 4. August ist die Einführung von DVB-T in Berlin und Brandenburg abgeschlossen. Wie sind die Erfahrungen mit dem Wechsel und in welchen Regionen sollen die nächsten Umstellungen erfolgen?
Lampe: Mit den Erfahrungen in Berlin und Brandenburg sind wir außerordentlich zufrieden. Inzwischen befinden sich 180.000 Set-Top-Boxen im Markt. Das hat unsere Erwartungen weit übertroffen. Anfang August sind die letzten analogen Frequenzen ohne nennenswerte Beschwerden der Zuschauer abgeschaltet worden. Als nächste Gebiete für die Umstellung von analog auf digital sind Norddeutschland und Nordrhein-Westfalen vorgesehen.
tagesschau.de: Wann geht es dort los?
Lampe: Im Augenblick gehen wir davon aus, dass wir zum Sommer 2004 in Norddeutschland mit den Startinseln Hannover-Braunschweig und Bremen-Bremerhaven loslegen. Nordrhein-Westfalen wird parallel dazu aufgebaut. In Norddeutschland wird das gerade an einem runden Tisch mit den öffentlich-rechtlichen Programmanbietern, den Landesmedienanstalten, der RTL-Gruppe und ProSiebenSat1 im Detail abgestimmt.
tagesschau.de: Wann glauben Sie, dass die Umstellung bundesweit abgeschlossen ist?
Lampe: Wir gehen im Moment davon aus, dass wir das bis 2010 schaffen können. Dann gibt es endgültig keine analoge, terrestrische Versorgung mehr in Deutschland sondern nur noch digitales TV.
tagesschau.de: Wie groß ist denn der Zuspruch für DVB-T von Seiten der Zuschauer?
Lampe: Es gibt jetzt mehr Zuschauer, die uns per Antenne empfangen als vor der Umstellung. Da waren es in Berlin/Potsdam etwa 155.000; jetzt sind es 180.000. Das hat sicher auch damit zu tun, dass viele auf dem Zweitgerät nicht alle Programme brauchen. Außerdem gibt es eine Wanderungsbewegung: Menschen, die nur die Hauptprogramme haben wollen sich die Kabelgebühren sparen.
tagesschau.de: Das hieße, dass Kabel durch DVB-T unattraktiver wird ...
Lampe: ... und dass die Kabelbetreiber wohl an ihre Gebührenstruktur 'ran müssen. Programm-Vielfalt ist nicht mehr das einzige Argument. Zumindest für die Kabelhaushalte wird auch die Frage nach monatlichen Kosten eine Rolle spielen.
tagesschau.de: Anderes Stichwort: DAB, der digitale Hörfunk, da sind wir ja in Deutschland nicht unbedingt europäischer Markführer. Woran liegt das?
Lampe: Das ist glaube ich sehr vielschichtig. Es liegt einmal daran, dass wir eine ganz gute UKW-Versorgung haben. Außerdem gibt es bis heute kaum preiswerte Endgeräte. Ein weiterer Grund ist, dass es keine exklusiven neuen Programm-Angebote gibt, so genannte "Killerapplikationen", die ich nur hören kann, wenn ich mir ein DAB-Radio kaufe. Daran fehlt es eigentlich.
tagesschau.de: Aber die Qualität ist doch bei DAB höher und zuverlässiger als bei UKW ...
Lampe: Der Vorteil, den wir bei DAB haben ist in der Tat die hohe Qualität - eben noch besser als UKW. Und es ist der Vorteil, dass DAB ausgelegt ist für die Mobilität gerade auch bei hohen Geschwindigkeiten störungsfrei zu empfangen. Aber die Frage ist, ob das die Werte sind, die den Konsumenten veranlassen, umzusteigen. Die IFA wird da hoffentlich einen weiteren Impuls geben, wenn der Konsument sieht, was DAB für ihn bedeuten kann.
tagesschau.de: Übt die Geräteindustrie eigentlich Druck auf die Radiomacher aus? Nach dem Motto: Ihr müsst die Killerapplikationen anbieten, damit DAB ein Erfolg wird ...
Lampe: Also die Henne-Ei-Diskussion verfolgt uns schon seit Jahren - und jetzt auch bei DAB. Man muss einsehen, dass gerade wir als öffentlich-rechtlicher Rundfunk mit unseren Gebühren auch unseren bestehenden Aufgaben nachkommen müssen. Und die Institution, die unsere Gebührenfestsetzung betreibt, die sogenannte KEF hat ganz klar entschieden: Es gibt kein zusätzliches Gebührengeld für weitere öffentlich-rechtliche Programme auf DAB. Was bisher finanziert worden ist, ist die technische Umstellung. Dafür haben wir Geld bekommen.
Aber wir haben kein Geld bekommen für neue Programmangebote. Wenn wir die anbieten wollten, müssten wir sie aus dem Bestand schöpfen. Und da sieht man schon die Grenzen. Bei der privaten Konkurrenz ist man außerordentlich zurückhaltend, was auch damit zu tun hat, dass man UKW-Frequenzen nicht mit beliebig vielen Signalen belegen kann. Für ein paar DAB-Hörer geben die Privatsender keine UKW-Übertragung auf, mit der sie theoretisch Millionen Hörer erreichen können.
tagesschau.de: Das hört sich nicht so an, als ob DAB auf Dauer eine Chance hat. Kann man denn soweit gehen zu sagen, dass DAB eine Totgeburt ist?
Lampe: Nein, das kann man nicht sagen. Wir haben ja eingangs über die Digitalisierung im terrestrischen TV gesprochen. Im Satellitenbereich wird dasselbe passieren. Alle anderen Verbreitungswege werden ebenfalls digitalisiert. Und es ist die Frage, ob auf Dauer nur der Hörfunk analog bleibt, wenn die Welt darum herum voll digitalisiert wird. Insoweit kann man nicht von Totgeburt sprechen. Die digitale Umstellung im Hörfunkbereich ist aber eben mit ganz anderen Schwierigkeiten begleitet, als die im Kabel, im Satellitenbereich oder das Fernsehen im terrestrischen Bereich.
tagesschau.de: Nutzen Sie selber DAB?
Lampe: Ich habe seit geraumer Zeit versucht, für mein Dienstfahrzeug ein DAB-Gerät zu ordern. Um das Ganze auch im Auto betreiben zu können. Leider bietet mein Autohersteller solche Geräte nicht als Erstausrüstung an. Und wenn Sie in einem heutigen Auto einmal versuchen, ein eingebautes Radio durch ein anderes zu ersetzen, dann mal viel Vergnügen.
tagesschau.de: Sprechen wir über die dritte Innovation im Rundfunk: Was kommt in Sachen Multimedia Home Platform (MHP ) auf die Zuschauer zu?
Lampe: ARD und ZDF haben unlängst ein Spitzengespräch mit der deutschen Industrie geführt. Wir sind uns völlig einig: Wir wollen MHP als offenen Standard haben, damit sich auf dieser Basis alles entwickeln kann. Von der Endgeräteseite bis hin zu den Programmen und Applikationen.
tagesschau.de: Kirch hat es in der D-Box mit einem proprietären Ansatz versucht ...
Lampe: ... und hat Schiffbruch erlitten. Ein Monopol bei den Standards nützt weder den Anbietern insgesamt noch den Zuschauern. Das muss uns allen eine Lehre sein, die man aus dem Desaster der Kirch-Pleite zieht. Wir verlegen uns deswegen auch komplett auf MHP und stellen Open-TV – das ist ein Vorgängerstandard – Ende 2003 ein.
tagesschau.de: Wie detalliert ist denn der MHP-Standard innerhalb der ARD bislang abgesprochen – und halten sich alle daran?
Lampe: Der Standard ist da! Er hat natürlich - wie das häufig bei diesen Standards ist - einen gewissen Abstraktionsgrad, der einer weiteren Ausführung bedarf. Wir nennen das Interoperabilitäts-Vereinbarungen, die noch anzustreben sind. Das Ganze wird aber beim Institut für Rundfunktechnik (IRT) zentral gesteuert und behandelt. Und da gibt es auch keine Sonderwege. Weder einen Sonderweg des ZDF, noch einen Sonderweg der ARD, noch einen der Landesrundfunkanstalten, noch anderer Programmveranstalter. Da sind wir alle wirklich in einem Boot. An den Details wird intensivst gearbeitet.
tagesschau.de: Wie sieht es mit den Kabelveranstaltern aus? Man hört, die sind nicht komplett im Boot ...
Lampe: Die Frage ist tatsächlich noch, ob die Kabelnetzveranstalter diesen Weg mitgehen. Da sind noch viele Gespräche nötig..
tagesschau.de: Wieviel MHP zeigt die ARD auf der IFA?
Lampe: Wir zeigen das, was fertig und marktreif ist und einen Zukunftsausblick im Technisch Wissenschaftlichen Forum in der Halle 5.3.
tagesschau.de: Was man bisher – auch schon aus Open-TV – kennt, sind ja vor allem Zuschauer-Beteiligungen bei Spielshows, also ein bisschen mehr Interaktivität. Was bietet MHP darüber hinaus?
Lampe: Es sind einerseits Ergänzungen zu den Spieleshows - aber auch journalistische Mehrwerte: Bei der Tour de France hat man das schön gesehen. Da wurden Strecken- und Rennverläufe für MHP aufbereitet, während das Rennen lief. Der heutige Videotext wird durch MHP wesentlich eleganter und umfangreicher. Da sieht man, dass MHP auch eine Art ist, umfangreiche Zusatzinformationen im Programm unterzubringen.
tagesschau.de: Die MHP-Boxen, die bisher zu sehen waren, die sind alle sehr umständlich zu bedienen und nicht besonders komfortabel. Wann rechnen Sie damit, dass ein überlebensfähiges MHP-Produkt auf den Markt kommt?
Lampe: Die Industrie hat vor, diese Produkte auf der IFA zu zeigen. Dort sollen verfügbare Geräte vorgeführt werden, die die wesentlichen Kinderkrankheiten überwunden haben. Die IFA muss wirklich das Aufbruchsignal MHP sein. Die beste MHP-Werbung ist, wenn die potenziellen Kunden sehen, dass die Kinderkrankheiten überwunden sind.
Die Fragen stellten Jörg Sadrozinski und Christian Radler, tagesschau.de