Interview

Interview mit Theo Waigel "Gewaltiger Imageverlust für Deutschland"

Stand: 28.08.2007 04:20 Uhr

Bereits bevor Finanzminister Hans Eichel seinen EU-Kollegen die Aussetzung des Defizitverfahrens gegen Deutschland abrang, gab es Stimmen, die vor zu vielen Kompromissen beim Stabilitätspakt warnten. Eine Stimme war die von Ex-Finanzminister Theo Waigel (CSU). Im Interview mit tagesschau.de sah er weniger den Euro-Stabilitätspakt als viel mehr das Image Deutschlands beschädigt.  

tagesschau.de: Deutschland als einer der ersten Adressaten des blauen Briefes - hätten Sie sich das bei den Verhandlungen über den Vertrag von Maastricht und den Stabilitätspakt träumen lassen?

Theo Waigel: Nein, weil wir unter viel schwierigeren Bedingungen 1997 und 1998 das Kriterium klar erreicht haben. Und dann kamen ja die sehr günstigen Steuerjahre '99 und 2000. Das wäre der Zeitpunkt gewesen die Konsolidierung so voranzutreiben, dass man in konjunkturell schwierigen Zeiten genügend Polster hat, um die Defizitgrenze von drei Prozent nicht zu verletzen.

tagesschau.de: Hat Sie Eichels Eingeständnis überrascht?

Waigel: Seit Frühling war klar, dass das heuer so gehen würde. Der Finanzminister hat unaufhörlich die Bevölkerung getäuscht. Die Volkswirte und die Forschungsinstitute waren sich seit mindestens einem halben Jahr darüber im Klaren, dass das Defizit über drei Prozent liegen würde.

tagesschau.de: Wie dramatisch ist der Verstoß?

Waigel: Das ist natürlich ein gewaltiger Imageverlust für Deutschland. Im Übrigen: Jetzt zeigt sich, wie verheerend es war, im Frühjahr den blauen Brief in dieser für den Stabilitätspakt und für den Euro schädlichen und unverschämten Weise abzuwenden, anstatt zu sagen: Es ist richtig, was die Kommission sagt, und wir müssen daraus die Konsequenzen ziehen. Derartiges hat man bis jetzt nur anderen Ländern in Europa zugetraut, aber nicht uns.

tagesschau.de: Ist der Stabilitätspakt in Gefahr?

Waigel: Jetzt besteht die große Gefahr, dass die drei Großen, Deutschland, Frankreich und Italien sich um die Ziele des Stabilitätspaktes herumwinden möchten - zu Lasten der Kleinen und Mittleren, die sich sehr angestrengt und ihre Ziele erreicht haben. Und das wäre natürlich ein starker Vertrauensverlust für die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion.

tagesschau.de: Portugal verstößt gegen den Stabilitätspakt, Frankreich und Italien üben sich ebenfalls in kreativer Haushaltsführung. Wie beschädigt ist der Stabilitätspakt - ist er gar ein Muster ohne Wert?

Waigel: Der Stabilitätspakt ist nicht beschädigt. Die Länder, die ihn verletzen, beschädigen sich selbst. Ohne den Stabilitätspakt gäbe es die Diskussion nicht. So ist ein gesamteuropäisches Stabilitätsbewusstsein erreicht worden. Und es ist schon einmalig, dass uns Länder wie Griechenland zu Recht sagen: Bitte, haltet ihr euch auch an das, was ihr von uns immer verlangt habt. Das heißt, es gibt einen Austausch der Rollen - aber zugleich eine Stabilitätskultur, wie sie früher nie da war.

tagesschau.de: Aber ist nicht das Korsett des Stabilitätspakts zu starr für Zeiten einer schwachen Konjunktur?

Waigel: Nein - selbst dann nicht, wenn man den Wirtschaftswissenschaftler John Maynard Keynes in Anspruch nimmt -, wofür ich grundsätzlich nicht plädiere. Auch Keynes hat immer gesagt: "Deficitspending" in einer konjunkturell schwachen Zeit, aber dann umso stärkere Konsolidierung, wenn die Konjunktur wieder läuft. Und genau das ist nicht passiert. Dass dies nicht zu schwierig ist, beweisen acht kleinere Länder, die es schaffen. Deutschland, Frankreich und Italien haben ihre Probleme zu wenig angepackt - Konjunkturprobleme genauso wenig wie Finanzprobleme.

Das Gespräch führte Eckart Aretz, tagesschau.de