Interview mit Jens Kaffenberger, Sozialverband VdK "Behinderte sind doppelt so häufig arbeitslos"
Trotz Antidiskriminierungsgesetz: Behinderte haben auf dem Arbeitsmarkt schlechte Chancen. Vor allem eine qualifizierte Ausbildung bleibe ihnen oft verwehrt, sagt Jens Kaffenberger vom Sozialverband VdK gegenüber tagesschau.de. In Berlin diskutieren derzeit Politiker über Gegenmaßnahmen.
Das europäische Gleichstellungsgesetz ist in Kraft und doch gibt es in Deutschland eklatante Benachteiligungen für Behinderte, sagt Jens Kaffenberger, Referent der Geschäftsführung des Sozialverbandes VdK und Vorstandsmitglied des Europäischen Behindertenforums. Von der "Europäischen Konferenz zur Integration von Menschen mit Behinderungen" erhofft er sich Impulse für die Gesetzgebung.
tagesschau.de: Was erwarten Sie sich von dieser hochrangig besetzten Gleichstellungskonferenz?
Kaffenberger: Benachteiligung auf dem Arbeitsmarkt ist für behinderte Menschen immer noch ein riesiges Problem. Die Arbeitslosenrate ist doppelt so hoch wie bei nicht behinderten Menschen. Kaum ein Unternehmen in Deutschland bildet behinderte Jugendliche aus. Von der Konferenz erwarten wir Impulse auf europäischer Ebene. Dort haben wir die Möglichkeit, Gesetze zu verabschieden, die Diskriminierung bekämpfen.
tagesschau.de: Warum brauchen wir dafür Europa? Bekommt das Deutschland nicht allein hin?
Kaffenberger: Wir haben teilweise auf Bundesebene viel erreicht, auf der anderen Seite wurde durch die Föderalismusreform vieles wieder zunichtegemacht. Das betrifft besonders die Barrierefreiheit, also die Zugänglichkeit von öffentlichen Verkehrsmitteln, Gebäuden - und auch dem Internet. Die Zuständigkeit wurde vom Bund auf die Länder verlagert, ohne dass die gleichen gesetzlichen Verpflichtungen wie auf Bundesebene bestehen. Da droht ein Rückschritt.
tagesschau.de: Es gibt immer wieder Initiativen, damit die Wirtschaft mehr Behinderte einstellt. Woran sind diese gescheitert?
Kaffenberger: 2002 gab es eine Kampagne, um die Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter abzusenken und für mehr Ausbildung zu sorgen. Das hat eine Weile geklappt, aber danach sind die Arbeitslosenzahlen wieder rapide gestiegen. Dafür gibt viele Gründe: Wir haben immer noch keine Chancengleichheit in der schulischen Ausbildung und der Hochschulbildung. So schleppen Behinderte schon Benachteiligungen mit, wenn sie ins Berufsleben kommen. Auch die Hartz-Reformen haben die Situation verschlechtert: Förderprogramme wurden zum Teil gekürzt und die Arbeitsagenturen haben sich auf leicht vermittelbare Menschen konzentriert. Menschen mit Behinderung sind da hinten runtergefallen.
tagesschau.de: Wie kann die EU da weiterhelfen?
Kaffenberger: Europa kann in verschiedener Hinsicht weiterhelfen. Wir haben ein allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, das auch die Diskriminierung im Beruf verbietet und eine ganze Reihe von Maßnahmen verlangt. Das ist in Deutschland umgesetzt worden. Außerdem können wir von den Lösungsmöglichkeiten anderer EU-Länder lernen und profitieren.
tagesschau.de: Was wären erste Schritte, um Chancengleichheit herzustellen?
Kaffenberger: Wir müssen spezifische Stellen einrichten, die sich um die Vermittlung von Menschen mit Behinderung in den Arbeitsmarkt kümmern. Wir müssen mehr in berufliche Ausbildung investieren und auch mehr dafür werben, dass Betriebe dieser Ausbildung nachkommen. Für Menschen, die es auf dem ersten Arbeitsmarkt besonders schwer haben, brauchen wir integrierte Beschäftigungsprojekte als Schritt in den ersten Arbeitsmarkt.
tagesschau.de: An der Konferenz beteiligen sich auch UN-Vertreter und internationale Experten. Welche Auswirkungen wird die Globalisierung auf die Arbeitsmarktchancen von Behinderten haben?
Kaffenberger: Das kann zu einem zusätzlichen Problem werden - und hängt auch von der Art der Behinderung ab. Menschen mit Sinnesbehinderungen und Körperbehinderungen, die genauso leistungsfähig sind, wie alle anderen Menschen, müssen nur die richtigen Voraussetzungen bekommen. Aber für Menschen, die wegen ihrer Behinderung nicht ganz so leistungsfähig und gut ausgebildet sind, ergeben sich aus der Globalisierung enorme Probleme. Wir haben ja in Deutschland schon jetzt die Situation, dass Leute mit einer schlechten Ausbildung auf dem Arbeitsmarkt kaum noch zum Zuge kommen, weil wissensintensive Berufe immer mehr an Bedeutung gewinnen.
Das Interview führte Anja Mößner, tagesschau.de