Interview zum Gasstreit "Atomkraft hilft uns nicht weiter"
Der Gasstreit zwischen Russland und die Ukraine hat auch in Deutschland eine neue Diskussion über die Energieversorgung angefacht. Rund ein Drittel des hierzulande benötigten Erdgases stammt aus Russland. tagesschau.de sprach mit dem Chefredakteur des Energie-Informationsdienstes Rainer Wiek über die Ängste der Verbraucher und die Gefahr einer zu großen Abhängigkeit von Moskau.
tagesschau.de: Die beiden wichtigsten deutschen Abnehmer von Gasprom, E.on Ruhrgas und Wingas, haben versichert, dass hierzulande niemand Angst vor kalten Wohnungen wegen des Gasstreits haben muss. Aber müssen die Verbraucher mit steigenden Gaspreisen rechnen?
Rainer Wiek: Zunächst einmal nicht. Die Ölpreisbindung sichert uns gegen krisenbedingte Preissteigerungen beim Gas ab. Mit steigenden Preisen haben wir nur zu rechnen, wenn die Ölpreise im Zuge der Krise auch wieder steigen sollten.
tagesschau.de: Jede zweite Wohnung hierzulande wird mit Gas geheizt – und rund ein Drittel dieses Gases kommt aus Russland. Macht Deutschland sich zu stark abhängig von Moskau?
Wiek: Vor dem Hintergrund dieser Krise wird noch einmal ganz deutlich, wie groß die Abhängigkeit schon in der Vergangenheit war und auch gegenwärtig ist. Angesichts der Krise wird nun wieder darüber diskutiert, verstärkt auf eine größere Vielfalt der Bezugsquellen zu setzen. Immer wieder werden Länder wie Iran genannt, das über sehr große Erdgasreserven verfügt. Aber die Regierung in Teheran ist ja nicht eben für politische Zuverlässigkeit bekannt. In Deutschland ist es zudem sehr beliebt, sofort wieder über Atomkraft zu sprechen, wenn irgendwelche Probleme mit Öl oder Gas auftreten.
"Deutschland bleibt abhängig von Energieimporten"
tagesschau.de: Die Union und die Industrie haben schon wieder eine stärkere Nutzung von Atomkraft gefordert, um künftige Lieferengpässe zu vermeiden.
Wiek: Richtig. Aber das hilft uns bei dem aktuellen Problem nicht weiter. Wir können die Wohnungen nicht einfach mit Atomkraft beheizen – viele Menschen haben Gasheizungen. In den kommenden Jahren soll Erdgas aber auch bei der Stromerzeugung eine größere Rolle spielen. Unter anderem soll Atomstrom auf diese Weise ersetzt werden und auch Steinkohle soll aus Klimaschutzgründen weniger zum Einsatz kommen. Nach den derzeitigen Plänen sollen die benötigten Mehrmengen überwiegend aus Russland kommen. Da besteht Diskussionsbedarf.
tagesschau.de: Wie könnte denn ein vernünftiger Energiemix künftig aussehen?
Wiek: Wir müssen uns nichts vormachen. Deutschland bleibt abhängig von Energieimporten, denn wir haben keine großen eigenen Quellen. Zu 16 bis 20 Prozent können wir unseren Erdgasbedarf aus eigenen Beständen decken – den Rest müssen wir importieren. Beim Erdöl sieht es noch viel schlechter aus. Die Importabhängigkeit wird in Zukunft weiter wachsen. Wir können nur versuchen, die Bezugsquellen so weit wie möglich zu streuen, um von einzelnen Lieferanten nicht zu abhängig zu werden. Eine Option der Zukunft könnte auch verflüssigtes Erdgas sein.
Alternative verflüssigtes Erdgas
tagesschau.de: Verflüssigtes Erdgas würde einen Import aus Ländern ermöglichen, in denen es keine Pipelines nach Deutschland gibt.
Wiek: Richtig, das Gas kann dann mit Tankern um die Welt transportiert werden. Das findet auch heute schon statt.
tagesschau.de: Iran haben Sie als möglichen neuen Lieferanten schon genannt. Wer kommt sonst in Frage?
Wiek: Gerade in der Golfregion gibt es große Erdgasreservenländer, wie zum Beispiel Katar. Auch in der Karibik gibt es Möglichkeiten - Trinidad versorgt die USA in großem Ausmaß mit verflüssigtem Erdgas. Viele andere Länder sind da wesentlich weiter als Deutschland.
tagesschau.de: In Deutschland ist für die Versorgung mit verflüssigtem Erdgas ein großer Hafen in Wilhelmshaven geplant.
Wiek: Die Pläne für dieses Projekt gibt es schon seit rund 30 Jahren. Vor einigen Monaten hat sich E.on Ruhrgas, das bei der Entwicklungsgesellschaft einen Großteil der Anteile hält, entschlossen, das Projekt voranzutreiben. Voraussichtlich 2007 soll mit dem Bau begonnen werden, 2010 könnte dann der Betrieb aufgenommen werden. Allein über diesen Hafen würde rund ein Zehntel des deutschen Bedarfs abgewickelt werden.
Das Interview führte Sarah Strohschein, tagesschau.de