Yukos-Affäre Justiz leitet Vollstreckungsverfahren ein
Die russische Justiz macht Ernst: Gerichtsvollzieher begannen am Abend, Firmeneigentum des Ölkonzerns Yukos zu beschlagnahmen. Das Unternehmen ist nach Angaben des Justizministeriums mit umgerechnet 2,8 Milliarden Euro Steuerschulden in Verzug.
Die russischen Justizbehörden haben ein Vollstreckungsverfahren gegen den größten russischen Ölkonzern Yukos eingeleitet. Mit Ablauf des Geschäftstages (Mittwoch) sei Yukos im Verzug mit Steuernachzahlungen in Höhe von 99 Milliarden Rubel (2,8 Miliarden Euro), teilte das Justizministerium in Moskau mit.
Die russische Nachrichtenagentur Interfax meldete, die Polizei habe eine Firma namens M-Reester durchsucht, in der das Aktionärsregister des Yukos-Konzerns verwaltet werde. Konzern-Sprecher Alexander Schadrin sagte, die Regierung wolle wohl wissen, welche Aktien sie einziehen könne, falls Yukos seine Steuerschuld nicht begleiche. Dem Konzern droht nach eigener Darstellung durch die Steuerforderungen der Bankrott, nachdem die Behörden im Rahmen der Betrugsermittlungen gegen Yukos auch die Konten eingefroren haben.
Nach Einschätzung von Wirtschaftsexperten sind nun zwei Szenarien möglich. Es kann sein, dass Gerichtsvollzieher bereits heute bei Yukos Technik, Lizenzen und Ölquellen beschlagnahmen. Als wahrscheinlicher gilt aber die Variante einer "geregelten Insolvenz" mit Hilfe eines Konkursverwalters. In der Rangordnung der Gläubiger stehen die Steuerbehörden über den Geldgebern sowie den Zulieferern.
Unklarheit über Chodorkowski-Angebot
Der Kreml dementierte unterdessen Berichte, wonach der frühere Yukos-Konzernchef und Hauptanteilseigner Michail Chodorkowski angeboten hat, seine Aktien im Gegenzug für ein Entgegenkommen in der Steuerfrage zu verkaufen. Der Sprecher des Ministerpräsidenten Michail Fradkow, sagte in Moskau, darüber sei nichts bekannt. Auch die Yukos-Führung dementierte laut Interfax entsprechende Berichte. Chodorkowskis Anwalt hatte zuvor wiederholt erklärt, sein Mandant sei bereit, die Kontrolle über den Konzern aufzugeben. Das würde auch den 44-prozentigen Anteil einschließen.
Chodorkowski ist seit Oktober wegen des Verdachts des Betruges und der Steuerhinterziehung in Haft. In Russland werden allgemein die politischen Ambitionen des Milliardärs als Grund dafür gesehen, dass er im Kreml in Ungnade fiel und nun mit seinem Konzern ins Visier der Justiz geraten ist.
Weitere Nachzahlungen befürchtet
Mit dem eingeleiteten Vollstreckungsfahren sind offenbar alle Versuche des Konzerns gescheitert, von den Behörden in letzter Minute noch einen Aufschub zu erhalten. Noch am Dienstag hatte das Finanzministerium erstmals die Möglichkeit einer Fristverlängerung in Aussicht gestellt. Gleichzeitig sagte Generalstaatsanwalt Wladimir Ustinow jedoch, möglicherweise erhebe der Staat weitere Steuernachforderungen. Die Prüfungen für die Jahre 2002 und 2003 stünden noch aus.
Analysten schätzen den endgültigen Betrag, den Yukos nachzahlen muss, auf mittlerweile zehn bis zwölf Milliarden Dollar. Dies wäre derzeit knapp der halbe Börsenwert des Konzerns, der im Verlauf der Affäre einen rasanten Kursverfall hingelegt hatte. Kurz vor Börsenschluss in Moskau lagen die Papiere allerdings deutlich im Plus.
Berlin gelassen, internationale Verunsicherung
Die Bundesregierung reagierte vor der ersten deutsch-russischen Wirtschaftskonferenz nach der Wiederwahl Putins am Donnerstag betont gelassen auf den Konflikt. In der Wirtschaft ist die Stimmung dagegen angespannter.
Auch international hat die Art und Weise, wie die russische Politik und Justiz jederzeit in die Wirtschaft eingreifen können, große Bedenken über die Rechtssicherheit für Investoren auf dem russischen Markt ausgelöst. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD)kritisierte die "selektive Strafverfolgung" gegen den Ölkonzern.
Einige US-Anleger prüfen Klagen gegen Yukos und deren Buchprüfer PriceWaterhouseCooper wegen unrichtiger Angaben zum Wert der Firma, andere wollen die russische Regierung belangen. Der Ölriese ChevronTexaco wollte mit einem Milliardenbudget in Russland auf Einkaufstour gehen, hat die Pläne aber auf Eis gelegt.