Mangel an Medikamenten Warum Apotheker skeptisch bleiben
In Apotheken fehlen Hustensäfte, Blutdrucksenker oder gar Krebsmedikamente. Die Liste wird immer länger. Apotheker bezweifeln, dass der Gesetzentwurf des Bundesgesundheitsministers Abhilfe leisten wird.
Fast täglich muss der Kölner Apotheker Sebastian Berges enttäuschte Kundinnen und Kunden nach Hause schicken. "Auf dem Rezept ist ein Blutverdünner aufgeschrieben, der im Augenblick nicht lieferbar ist", erklärt er der 67-jährigen Ingrid Klüppel.
Die Enttäuschung bei der Rentnerin ist groß, zumal es um ihren schwer kranken Mann geht, der auf seine Medikamente angewiesen ist. "Das ist katastrophal und wird immer schlimmer", wettert sie. "Wie kann das sein, dass diese Mittel, die mein Mann schon seit Jahren nimmt, nicht mehr erhältlich sind?"
Lage spitzt sich wieder zu
Für den erfahrenen Apotheker spitzt sich die Lage gerade wieder zu. Im Winter waren es vor allem Fiebersäfte und Schmerzmittel, nun fehlen einige Präparate in der gesamten Bandbreite seines Sortiments. Fast 470 Medikamente sind im Augenblick nicht verfügbar. "Momentan bekommen wir nicht alle Antibiotika. Manche Hormon- und Cortisonpräparate sowie einige Asthmamittel sind nicht lieferbar", klagt Berges.
Schuld sind nicht nur unterbrochene Lieferketten, sondern vor allem Rabattverträge, die die Krankenkassen mit den günstigsten Generika-Anbietern abschließen, um Kosten zu sparen.
Der Kostendruck soll gesenkt werden
Für viele andere pharmazeutische Hersteller lohnt es sich deshalb nicht mehr, für deutschen Markt zu produzieren, sie haben sich aus Deutschland zurückgezogen. Damit der Verkauf der Medikamente in Deutschland für diese Unternehmen wieder lohnenswerter wird, will der Gesundheitsminister nun mit einem neuen Gesetz den Kostendruck auf sie reduzieren.
Der Entwurf lockert die Preisregeln für Kinderarzneimittel. Rabattverträge werden in diesem Bereich komplett ausgesetzt. "Doch das wird Engpässe nicht verhindern", glaubt Bork Bretthauer, Geschäftsführer des Verbands "Pro Generika". Denn das Gesetz nehme lediglich Kinderarzneimittel und Antibiotika ins Visier. "Bei allen anderen Medikamenten bleibt die Versorgungslage, wie sie ist: wenig stabil und teilweise sogar prekär."
Das ganze System müsste verändert werden
Ferner sieht das neue Gesetz vor, dass speziell bei Antibiotika bei Ausschreibungen künftig darauf geachtet wird, dass die Wirkstoffe in der EU und Europa hergestellt werden. Ziel sei es, so Lauterbach, die Vielfalt der Anbieter zu erhöhen und die Abhängigkeit von wenigen, meist asiatischen Produzenten wie China oder Indien zu reduzieren.
Doch so schnell, wie der Minister das will, wird es nicht zu machen sein. Der Ärzteverband Marburger Bund hat die geplanten Maßnahmen als kleinen Schritt in die richtige Richtung bezeichnet. Das Problem: Deutschland sei bei einigen Wirkstoffen abhängig von einzelnen Standorten - das dürfe nicht so bleiben, außerdem müsse es Stresstests für Lieferketten geben.
Jahrzehntelanger Preisdruck
Die Konzentration auf dem weltweiten Wirkstoffmarkt sei die unmittelbare Auswirkung eines jahrzehntelangen, unerbittlichen ökonomischen Preisdrucks, erklärt der Verband "Pro Generika". Dabei sei klar, je mehr Zulassungen pro Wirkstoff es gebe und je gleichmäßiger diese nach Weltregionen verteilt seien, umso stabiler sei die Versorgung, weil Ausfälle bei einem Hersteller flexibler kompensiert werden können.
"Zwar haben wir während der Pandemie erkannt, wie problematisch Europas hohe Abhängigkeit von asiatischen Wirkstoffherstellern ist, aber es wird lange brauchen, das zu ändern", sagt der erfahrene Kölner Apotheker Berges. 68 Prozent der Produktionsorte der meisten Wirkstoffe für Europa sind in Asien, heißt es in einer Studie des Pharmaverbandes VFA. Fast zwei Drittel der mehr als 3500 auf dem Weltmarkt angebotenen Arzneimittelwirkstoffe werden in China und Indien produziert.
Deutschland war einst die "Apotheke der Welt"
Viele Apotheker finden, dass das Gesetz zu kurz greift. Denn es ändere nicht grundsätzlich, dass Apotheker bei Engpässen nur alternative Präparate vom selben Hersteller verkaufen dürften. Denn nur die werden dann auch von der Krankenkasse erstattet.
"Wir sind nicht als Erfüllungsgehilfen im Bürokratiedschungel der Krankenkassen angetreten, sondern wir wollen den Patienten helfen", erklärt Berges. Deutsche Apotheker und Apothekerinnen plädieren schon länger dafür, wieder verstärkt inländisch zu produzieren.
"Aus unserer Sicht müsste man Anreize schaffen, dass es sich wieder lohnt, in Deutschland Medikamente herzustellen", erklärt Berges. Schließlich hatte Deutschland im 19. Jahrhundert und noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Ruf als "Apotheke der Welt", galt jahrzehntelang als der wichtigster Hersteller und Lieferant von Medikamenten. En masse gingen Nobelpreise an deutsche Forscher. Davon sei aber leider nicht mehr viel übrig.