IfW-Chef gegen ideologische Wirtschaftspolitik "Wir sind nicht in der Kirche"
Welcher wirtschaftliche Weg ist der richtige? Der Ökonom und Chef des Kiel Instituts für Weltwirtschaft, Schularick, warnt vor zu viel Schwarz oder Weiß und fordert eine differenzierte Sicht auf die Dinge.
Der Präsident des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Moritz Schularick, warnt davor, bei notwendigen Veränderungen den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu vernachlässigen. Der Ökonom fordert im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa, bei staatlichen Entscheidungen stets die politischen und sozialen Wirkungen im Blick zu haben.
Angesichts notwendiger anstehender Transformationsprozesse für mehr Klimaschutz und CO2-Einsparung erklärte Schularick: "Die CO2-Bepreisung ist der beste Weg, aber ist das auch politisch durchhaltbar?" Im Kern gehe es darum, "ob man mit einem Verteuern brauner, dreckiger Energieträger über Besteuerung und Emissionshandel nicht so viele politische Widerstände hervorruft, dass wir am Ende nicht schnell genug vorankommen."
Der andere Weg sei, über Subventionen grüne Energien so billig zu machen, dass sie mit den braunen konkurrieren können - was aber der ineffizientere Weg sei. "Es gilt abzuwägen, wo am Ende mehr Sand im Getriebe ist." Befürchtungen, die CO2-Bepreisung werde sozial Schwache überproportional treffen, weil ihr Energieanteil an den Gesamtausgaben besonders hoch ist, müsse glaubhaft entgegengetreten werden. "Das sehe ich zurzeit noch nicht."
Kritik an "Subventionsgießkanne"
Im Hinblick auf etwaige Subventionen für die Wirtschaft erklärte der IfW-Chef: "Da setzt man zum Teil zu schnell Interessen der Industrie mit denen Deutschlands gleich." Schularick spielt damit auch auf Pläne von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) an, mit einem günstigen Industriestrompreis energieintensive Unternehmen zu stützen.
"Eine ganze Palette an risikoscheuen Bewahrungsstrategien passt in den Kontext eines vielleicht überalterten Landes, das sich schwertut mit Innovationen und Anpassungen - und Wert auf Freizeit und Urlaub legt." Gehe man mit der Subventionsgießkanne durchs Land, sei die Gefahr groß, dass Unkraut begossen wird und wächst.
Unter bestimmten Umständen sprächen aber ökonomische Argumente dafür, junge innovative Unternehmen in Schlüsselbranchen zu unterstützen, sagte Schularick auch vor dem Hintergrund enormer Subventionen in den USA im Zuge des Inflation Reduction Act. Im Fall Northvolt - der schwedische Konzern will im schleswig-holsteinischen Dithmarschen mit staatlicher Hilfe eine Batteriezellenwerk für E-Autos bauen - wäre es im Blick auf Technologie und Standort gut, zu den Vorreitern in Deutschland zu gehören.
Demokratien in "keinem guten Zustand"
"Globalisierung verstehen und gestalten" steht an der IfW-Fassade auf einem großen Plakat. "Wir befinden uns in einer global vernetzten, hochintegrierten Weltwirtschaft, und jetzt gibt es viele Tendenzen und den politischen Willen, Dinge, die politisch, strategisch oder militärisch sinnvoll sind und zur Grundversorgung gehören, wieder stärker im nationalen oder europäischen Kontext umzusetzen", sagte Schularick. "Das wird Kosten haben, denn wir streuen Sand ins Getriebe der Weltwirtschaft und dann knirscht es auch."
Zudem seien nach 20, 30 Jahren Globalisierung westliche Demokratien in keinem besonders guten Zustand. "Daran ist nicht allein und wohl nicht einmal in erster Linie die Globalisierung schuld, aber dies ist gekoppelt an Entwicklungen, mit denen viel Unzufriedenheit und Verunsicherung verbunden sind."
Klima, Energie, Globalisierung, Außen- und Sicherheitspolitik, Digitalisierung, demografischer Wandel - hier seien synchron gewaltige Transformationsprozesse zu bewältigen. "Und die Frage ist, ob wir das nötige Rüstzeug haben, das zu schaffen."
Moritz Schularick (Jahrgang 1975) ist Professor für Volkswirtschaftslehre. Seit dem 1. Juni 2023 ist er Präsident des Kiel Instituts für Weltwirtschaft. Seine Forschungsgebiete sind monetäre Makroökonomik, Bankwesen und Finanzstabilität sowie Internationale Finanzwissenschaften, Politische Ökonomie und Wirtschaftsgeschichte. Er führte mehrere Studien zu den Ursachen von Finanzkrisen und zur Transformation des Finanzsystems durch.
China nicht überschätzen
Gleichzeitig warnte Schularick davor, Chinas Einfluss auf die europäische und deutsche Wirtschaft zu überschätzen. Europa und Deutschland müssten ihre außen- und sicherheitspolitischen Prioritäten selbstbewusst definieren, sagte der IfW-Präsident. "Es darf nicht der Eindruck zu großer Abhängigkeit entstehen."
Diese werde zum Teil stark übertrieben - mit dem Ziel, Geschäftsinteressen zu wahren. Die deutsche Autoindustrie etwa habe ein Riesenproblem. Aber das heiße nicht China, sondern Verschlafen von Innovationen. "China ist für einzelne Konzerne ein Klumpenrisiko, aber kein systemisches Risiko für die deutsche Volkswirtschaft."
"Glaubenskrieger" auf beiden Seiten
Es gebe zu viel glaubensbasierte Politikberatung, kritisierte der IfW-Chef: "Die einen glauben an den Markt, die anderen an den Staat. Wir sind aber nicht in der Kirche." An vielen Punkten gebe es konstruktive Möglichkeiten für ein Zusammenspiel von Staat und Markt. "Es ist die Kombination aus beidem - das weiß auch jeder - bis auf Glaubenskrieger, die auf beiden Seiten unterwegs sind."
Bei der Klimatransformation müsse es wahrscheinlich für die Planung von Netzen in vielen Bereichen eine lenkende Rolle des Staates geben. Dieser sei aber leider nicht mehr so kompetent wie in den 1970er und 1980er Jahren, um solche Prozesse zu steuern. "Wir haben viel an Staatskapazität und damit einen Wettbewerbsvorteil verloren."
Sein eigenes Institut sieht Schularick dabei in der Pflicht. "Wir wollen national und international noch stärker präsent sein", sagte der Präsident. Das IfW wolle auch einen "signifikanten Fußabdruck" in Berlin aufbauen. Die Bundesregierung sei für forschungsbasierte Politikberatung aufgeschlossen, sagte Schularick. "Nach der großen Gasdebatte hat sie noch stärker erkannt, dass sie die Wissenschaft braucht, auch um Fehler nicht zu wiederholen." Die Kontakte seien eng, sowohl auf institutioneller als auch auf persönlicher Ebene.