Frankreichs Wirtschaftspolitik "Wir können viel von unseren Nachbarn lernen"
In Frankreich wächst die Wirtschaft stärker als in Deutschland - und viele Investitionen fließen in den Nachbarstaat. Im Interview erklärt ifo-Präsident Clemens Fuest, was am französischen Modell nachahmenswert sein könnte.
tagesschau24: Herr Fuest, wie gelingt es Frankreich im Vergleich zu Deutschland, aber auch zu anderen Ländern, im Moment wirtschaftlich recht erfolgreich zu sein?
Clemens Fuest: Die französische Regierung hat in den letzten Jahren eine Reihe von Reformen durchgeführt, die wirtschaftsfreundlich waren. Man hat die Steuern gesenkt, man hat Vermögensbesteuerung, die es in Frankreich gab, sehr stark eingeschränkt. Man hat verschiedene Regulierungen verändert. Man hat Institutionen geschaffen, die sich um die Gründung neuer Unternehmen kümmern. Und all das hat sich positiv ausgewirkt.
Man muss gleichzeitig sagen, dass sich Frankreich allerdings auch sehr stark verschuldet hat. Und das wirft einen Schatten auf diese Performance. Die Verschuldungsquote liegt mittlerweile bei 110 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Deutschland hat eine schlechtere Wachstumsperformance gehabt, aber hat sich eben auch deutlich weniger verschuldet. Und von dieser Seite steht Frankreich eher schlecht da und hat auch Probleme für die Zukunft. Wir sollten also nicht alles nachmachen, was die Franzosen machen
Clemens Fuest ist Präsident des ifo Instituts und Professor für Volkswirtschaft an der LMU München. Zuvor war er Professor für Unternehmensbesteuerung an der Universität Oxford und leitete das dortige Centre for Business Taxation. Seine Schwerpunkte sind Finanzwissenschaft und Arbeitsökonomik.
Mehr Investitionen in Aus- und Weiterbildung
tagesschau24: Aber was könnten wir denn gerade im deutsch-französischen Verhältnis von Frankreich lernen und vielleicht auch hier besser machen, um unsere Wirtschaft auch wieder in Schwung zu bekommen?
Fuest: Zunächst mal können wir lernen, dass man, um wirtschaftlich erfolgreich zu sein, auch die Bedingungen dafür schaffen muss. Deutschland hat mittlerweile die höchsten Unternehmenssteuern in den G7-Staaten. Und wir haben wenig für die Infrastruktur getan. Frankreich hat dort mehr investiert. Das merkt man, wenn man über französische Autobahnen fährt. Die Regierung in Paris investiert sehr, sehr viel in Bildung, Weiterbildung und Ausbildung.
Hier hat man sich in Deutschland zu lange darauf ausgeruht, dass wir zum Beispiel mit dem dualen Ausbildungssystem eine sehr gute Berufsbildung haben. Aber wir hätten mehr in Bildung investieren müssen. Frankreich, auch das können wir lernen, hat eine sehr stark ausgebaute Kinderbetreuung. Und deswegen ist die Frauenerwerbstätigkeit höher. Bei uns sind ja doch meistens die Frauen diejenigen von den Eltern, die zuhause bleiben, wenn die Kinderbetreuung nicht ausgebaut ist. Gerade in diesem Punkt, denke ich, können wir viel von unseren Nachbarn lernen.
Weniger Hindernisse bei Neugründungen
tagesschau24: Und vielleicht auch bei den Investitionen. Etwa bei neuen Unternehmen, die man im Moment doch sehr stark nach Frankreich ziehen kann, weil dort offenbar auch ein entsprechendes Umfeld ist, oder?
Fuest: Ja, man hat dort sehr gezielt versucht, Hindernisse für Unternehmen, die neu gegründet werden, aus dem Weg zu räumen. Man hat sogar eine Behörde geschaffen. Da können Unternehmen anrufen, wenn sie auf Probleme mit überbordender Bürokratie und ähnlichen Dingen stoßen. Man hat damit sehr stark das Signal gegeben: Unternehmensgründungen sind willkommen, Investitionen aus dem Ausland sind willkommen. Auch das ist eine Sache, die man sich in Deutschland anschauen sollte. Und es wäre gut, wenn wir dieses Signal geben würden.
Mehr Kooperation statt Eifersucht
tagesschau24: Sie betrachten die deutsch-französischen Wirtschaftsbeziehungen ja sehr genau. Sie sind lange Zeit Mitglied im Deutsch-Französischen Rat gewesen, einer Institution des Sachverständigenrates. Warum lernen wir nicht mehr, warum tauschen wir uns nicht stärker aus, so dass beide Länder vielleicht mehr von diesen Ideen profitieren?
Fuest: Ich fürchte, dass die Politik in beiden Ländern sehr, sehr stark auf die Innenpolitik, häufig auf die nächsten Wahlen konzentriert ist. Und wir schauen zu wenig nach Europa. Es geht ja auch nicht nur darum, dass wir voneinander lernen, sondern auch, dass wir gemeinsam Dinge tun. Also dass wir gemeinsam Europa voranbringen, den Binnenmarkt vertiefen, die Kapitalmärkte stärker zusammenbringen. Es geht doch darum, dass wir insgesamt in Europa mehr Investitionen bekommen und auch mehr in der Verteidigungspolitik tun.
Wir können uns höhere Verteidigungsausgaben nur sehr schwer leisten. Aber wenn wir zusammenarbeiten würden, könnten wir viel Geld einsparen. Es ist immer noch so, dass die Regierungen sehr eifersüchtig darauf schauen, dass beispielsweise öffentliche Aufträge aus Frankreich nur an französische Unternehmen gehen. Oder umgekehrt, dass bei deutschen Aufträgen die deutsche Industrie profitiert. Wir müssen da offener werden, wir müssen zusammenarbeiten. Denn in der Welt insgesamt sind beide Länder nicht groß genug, um allein zu bestehen.
Unterschiedliche Philosophien bei der Wirtschaftspolitik
tagesschau24: Nun gibt es ja ohne Frage im politischen Bereich durchaus Differenzen und unterschiedliche Auffassungen zwischen beiden Ländern. Manche sagen auch immer wieder, der deutsch-französische Motor würde stottern. Kann man das denn übertragen auch auf den Wirtschaftsbereich?
Fuest: Ja, das kann man übertragen auf den Wirtschaftsbereich. Es gibt da unterschiedliche Auffassungen. In Deutschland ist man skeptisch, wenn es sehr starke, lenkende, auch industriepolitische Eingriffe gibt. In Frankreich hat man eher die Vorstellung, dass die Wirtschaftspolitik die Unternehmen lenken sollte.
Man muss sagen, dass Deutschland da in der Vergangenheit erfolgreicher war. Der Industrie-Sektor etwa in Deutschland ist viel größer als der französische. Beim Anteil der Industrie bei den Exporten war Deutschland erfolgreicher. Das sind aber einfach unterschiedliche Philosophien. Und ich denke, hier muss man stärker miteinander reden und versuchen zusammenzukommen.
Nichtsdestotrotz gibt es aber auch Gemeinsamkeiten. Frankreichs Präsident Emanuel Macron und Kanzler Olaf Scholz haben ja betont, dass sie den europäischen Binnenmarkt weiterentwickeln möchten. Sie wollen stärker bei der Bankenunion zusammenarbeiten. Jetzt müssen sie es nur tun - und die Dinge auch umsetzen.
Schulden oder Sparen?
tagesschau24: Dann schauen wir noch einmal auf die Schattenseiten. Sie hatten es ja schon angedeutet, Frankreich hat sich sehr stark verschuldet. Da treten wir doch sehr stark auf die Bremse. Aber muss man vielleicht in der aktuellen Situation, einer Krisensituation und angesichts eines scharfen Wettbewerbs, vielleicht tatsächlich etwas tiefer in die Tasche greifen?
Fuest: Es gibt durchaus Argumente, bestimmte Investitionen mit Schulden zu finanzieren. Das Problem besteht darin, dass in Frankreich der größte Teil dieses Anstiegs der Verschuldung in den Konsum geflossen ist. Und dies ist immer die Gefahr. Wenn man der Politik gestattet, sehr hohe Schulden zu machen, dann ist es eben so, dass im politischen Alltag sehr großer Druck besteht, konsumtive Ausgaben auszuweiten oder Interessengruppen zu bedienen. Das heißt, man sollte nicht bei den Schulden beginnen, sondern man sollte sich wirklich dazu aufraffen, die notwendigen Investitionen zu tätigen, dafür Konzepte zu entwickeln.
Und dann kann man auch über höhere Verschuldung reden. Allerdings müssen wir bedenken, dass wir hier eine sehr stark ausgelastete Wirtschaft haben. Wir haben fast Vollbeschäftigung beziehungsweise Arbeitskräfte-Mangel. Wenn man jetzt mehr investieren will, dann reicht es nicht mehr, Schulden zu machen. Irgendjemand muss diese Investitionen auch umsetzen, muss die Straßen bauen, muss Mobilfunk-Anlagen errichten und so weiter.
Und das heißt schon, dass man Ressourcen umverteilen muss. Übersetzt auf die Finanzpolitik bedeutet das, dass man auch Ausgaben umschichten muss. Man kann diese Dinge nicht allein mit Schulden finanzieren. Das gilt übrigens auch für Verteidigungsausgaben.
Das Gespräch führte Klaus-Rainer Jackisch. Das Interview wurde für die schriftliche Fassung redaktionell bearbeitet.