Lebensmittel aus Japan "Gefährdung viel niedriger als nach Tschernobyl"
Die Kunden in Deutschland sind verunsichert: Welche Lebensmittel sind vom Super-GAU in Japan betroffen? Was kann man noch essen, was nicht? Die Sorge ist zwar verständlich, aber weitgehend unbegründet: Nur sehr wenige Lebensmittel werden aus Japan importiert - und selbst die sind meist unbedenklich. Zudem verschärfte die EU die Grenzwerte für japanische Lebensmittel.
Von Susanna Nolte für tagesschau.de
Bei den Verbraucherzentralen in Deutschland laufen die Telefone heiß. Die Leute möchten wissen, welche japanischen Lebensmittel sie noch bedenkenlos essen können, ob der Besuch im Sushi-Restaurant ein Risiko ist oder wie belastet Fisch und Meeresfrüchte aus Japan sind. Doch bisher gibt es keine nachgewiesenen Gefährdungen durch erhöhte Radioaktivität in Lebensmitteln, die aus Japan eingeführt werden - weder bei Fisch, Meeresfrüchten, Grünem Tee, Pilzen, Wasabi oder Reis noch bei Nudeln oder Sojasaucen. Deutschland importiert ohnehin nur sehr wenig Lebensmittel aus Japan. Sie spielen im Vergleich zu den gesamten Nahrungsmitteleinfuhren kaum eine Rolle.
Die Anteil der Lebensmittelimporte aus Japan nach Deutschland an den gesamten deutschen Einfuhren bei den Gütern der Land- und Ernährungswirtschaft ist sehr gering. Insgesamt importierte Deutschland im vergangenen Jahr in diesem Bereich Güter im Wert von 60,7 Milliarden Euro, aus Japan kamen davon lediglich Waren im Wert von etwa 33 Millionen Euro.
Quelle: Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
Lebensmittel stammen aus der Zeit vor Fukushima
Importiert werden vor allem Spezialitäten wie Gewürze, Saucen, Tee, Backwaren oder Wein. Auch hier machen Vergleiche deutlich, wie verschwindend gering die Mengen sind: Deutschland importiert ungefährt 233 Tonnen Tee und Mate aus Japan. Gemessen an rund 57.400 Tonnen, die Deutschland insgesamt einführt, sind das lediglich 0,4 Prozent. Bei Gewürzen liegt der Anteil bei 0,1 Prozent, bei Backwaren und Getreidezubereitungen bei 0,04 Prozent und bei Wein bei 0,02 Prozent.
"Die jetzige Gefährdung ist ungleich niedriger als nach Tschernobyl", sagt Silke Schwartau, Leiterin der Abteilung Ernährung bei der Verbraucherzentrale Hamburg. Alle Lebensmittel aus Japan, die zurzeit in Deutschland angeboten werden, stammten ohnehin noch aus der Zeit vor der Katastrophe von Fukushima. Waren, die künftig aus den betroffenen Gebieten kommen, brauchen ein Zertifikat über ihre Unbedenklichkeit. Jede zehnte Sendung wird an Europas Grenzen nochmal überprüft. Das ist den Verbraucherschützern allerdings zu wenig. Die Zahl der Proben müsse massiv erhöht werden, so Schwartau. Mit eigenen Geigerzählern Lebensmittel wie Fisch oder Tee auf erhöhte Radioaktivität zu überprüfen, hält die Verbraucherschützerin aber für wenig sinnvoll. Um zuverlässig zu messen, müssten Proben gezielt aufbereitet werden. Die erforderlichen Geräte kosteten um die 100.000 Euro.
Nur wenig ist japanisch in Sushi-Bars
Nima Mader, Geschäftsführer der JIK GmbH in Willich bei Düsseldorf, europaweiter Großhändler für asiatische Lebensmittel, bekommt derzeit viele Anfragen von besorgten Kunden, fast alle aus Deutschland. Mader ist spezialisiert auf alles, was es in Sushi-Bars gibt. Und davon, sagt er, sei kaum etwas direkt aus Japan. Fisch und Garnelen kämen aus Taiwan, China, Thailand oder Vietnam. Sushi-Reis bezieht das Unternehmen ausschließlich aus Italien oder den USA. Nur ein sehr kleiner Anteil der deutschen Reisimporte kommt überhaupt aus Japan. Nori-Blätter, Ingwer, Wasabi - alles aus China, sagt Mader, auch die meisten Sojasaucen würden außerhalb Japans hergestellt, zum Beispiel in den Niederlanden. Viele Produkte mit dem Aufdruck "made in Japan" seien dort nur verpackt, hergestellt mit Zutaten aus China, so der Asia-Großhändler.
Gäste fragen kaum nach möglichen Gefahren
Erklärende Schilder im Schaufenster hält Christian Kutschera, Geschäftsführer der Restaurant-Kette "Sushi-Circle", für Panikmache. In seinen 18 Lokalen in zehn großen deutschen Städten hat er nahezu keine Reaktionen der Gäste auf mögliche Gefahren durch Radioaktivität festgestellt. 95 Prozent der Zutaten in seinen Restaurants kämen ohnehin nicht aus Japan, so Kutschera, bei den restlichen werde er möglicherweise andere Lieferanten suchen, wenn die Ware aus dem vergangenen Jahr verbraucht sei.
Die Situation im größten japanischen Hotel in Deutschland, dem Nikko in Düsseldorf, ist ähnlich. Manager Thomas Mede sagt, weder in der Sushi-Bar des Hotels noch im Teppanyaki-Grill gebe es große Einbrüche. 99 Prozent der in den Restaurants verwendeten Produkte beziehe das Hotel nicht direkt aus Japan. Für den Rest gebe es Alternativen aus anderen asiatischen Ländern, so Mede. Das Fleisch für den Grill komme aus den USA, der Fisch vor allem aus dem Mittelmeer und Norwegen.
Kitas fragen nach der Unbedenklichkeit von Fischstäbchen
Anrufe bekommen die Verbraucherschützer auch von Kitas und besorgten Eltern. Wie lange können ihre Kinder noch gefahrlos Fischstäbchen essen?, fragen sie. Fischstäbchen werden aus Alaska-Seelachs gemacht. Die größten Fanggebiete dieses Fisches liegen in der Beringsee, etwa 2500 Kilometer von Fukushima entfernt. Experten schließen eine Gefährdung durch erhöhte Radioaktivität dort derzeit aus. Trotz dieser Entwarnung überprüft die Fischindustrie ihre Ware gezielt auf erhöhte Strahlenbelastung. Aber ebenso wie bei anderen Lebensmitteln hat Japan auch bei Fisch keine große Bedeutung für den deutschen Markt. Deutschland bezieht überwiegend Ware aus dem Atlantik, weniger aus dem Pazifikraum. Der Anteil japanischer Einfuhren nach Deutschland ist sehr gering.
Nach Deutschland wurden im vergangenen Jahr insgesamt 914.000 Tonnen Fisch eingeführt. Davon stammten nur rund 84 Tonnen aus Japan - die Japaner importieren selbst viel Fisch. Typischer Sushi-Fisch wie Lachs oder Thunfisch kommt in Deutschland vor allem aus Norwegen, Chile, aus dem Mittelmeer oder dem Indischen Ozean. Die Herkunft lässt sich bei jedem Fisch und bei jedem Fischprodukt an der Angabe des jeweiligen Fanggebietes erkennen.
Quelle: Statistisches Bundesamt
Möglicherweise Preiserhöhungen bei japanischen Produkten
Die Naturkost-Firma Arche aus Hilden, die sich auf japanische Lebensmittel spezialisiert hat, berichtet, ihre "Lager würden derzeit leergefegt". Betriebsleiterin Ute Schulze rechnet mit Preiserhöhungen für ihre Produkte, da künftige Ware zuverlässig analysiert werden müsse, so Schulze. Und die Kosten dafür blieben bei dem Unternehmen hängen. Auch beim Tee langen die Kunden im Moment zu. Von Hamsterkäufen spricht Jonathan Gschwendner von der Firma Tee Gschwendner aus Meckenheim, mit einem Anteil von 30 Prozent Marktführer im deutschen Teefachhandel. Die Ware, die derzeit über die Ladentheke gehe, so Gschwendner, seien Erträge des letzten Jahres. Im Mai beginne die Ernte 2011, dieser Tee werde ungefähr ab Ende des Jahres in den Geschäften sein. Grüntees aus Japan seien nicht vollständig ersetzbar, einige höchstens durch Ware aus China, sagt Gschwendner. Die Anbaugebiete für Tee lägen aber eher im Süden Japans, seien also von der Reaktor-Katastrophe nicht betroffen. Genauso versichert Thomas Grömer, Geschäftsführer von Aiya, in Deutschland führender Produzent im Bereich Grüntees und Matcha, auch nach dem Sommer 2011 werde auf legalem Weg in Deutschland nur unbelastete Ware verkauft.
Für einen Handelsriesen wie die Metro AG aus Düsseldorf haben Lebensmittel aus Japan nur wenig Bedeutung. Zwar führt das Unternehmen in Deutschland viele Produkte aus dem asiatischen Raum, wie China, Thailand oder Vietnam, aber nur wenige aus Japan. Dazu gehören Reisschnaps und einige Sojasaucen. Im Fischbereich führt das Handelsunternehmen japanische Muscheln als Tiefkühlware. Der jetzige Bestand sei aus der Zeit vor dem 11. März 2011, so eine Sprecherin der Metro AG. Künftige Ware werde auch durch betriebliche Kontrollen auf erhöhte Radioaktivität geprüft.