Interview

Klage gegen Brennelementesteuer "E.ON schadet mit Klage sich selbst"

Stand: 01.06.2011 18:46 Uhr

E.ON will gegen die Brennelementesteuer klagen und fordert Schadensersatz. Damit werde der Konzern keinen Erfolg haben, sagt der Jurist Joachim Wieland im Gespräch mit tagesschau.de. Eine Steuer werde immer ohne Gegenleistung erhoben. Mit einer Klage aber könnte der Konzern sein Image beschädigen.

tagesschau.de: Herr Wieland, wie groß sind die Erfolgsaussichten einer Klage gegen die Brennelementesteuer?

Joachim Wieland: Nach meiner festen Überzeugung hat diese Klage keine Aussicht auf Erfolg. Die Steuer verletzt keine Grundrechte der Konzerne, sondern es wird eine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Unternehmen abgeschöpft, und die ist nicht mit der Laufzeitverlängerung verbunden.

"Eine Steuer wird immer ohne Gegenleistung erhoben"

tagesschau.de: Die Klage richtet sich ja nicht gegen den Atomausstieg selbst, sondern gegen die Brennelementesteuer. Wieso kann ein Konzern gegen die Einführung einer Steuer klagen?

Wieland: Jeder Bürger, nicht nur Konzerne, kann gegen eine steuerliche Belastung klagen, weil ihn eine Steuer in seiner Vermögensfreiheit einschränkt. Eine Steuer wird aber per Definition immer ohne Gegenleistung erhoben. Die Konzerne können sich also zwar auf eine politische Verknüpfung von Atomausstieg auf der einen und Brennelementesteuer auf der anderen Seite berufen. Das ist aber keine rechtliche Verknüpfung. Die Bundesregierung hat lediglich gesagt: Wer Brennstoffe verarbeitet, ist steuerlich leistungsfähig. An dieser Argumentation hat sich durch den Atomausstieg nichts geändert. Die Konzerne müssen die Brennelementesteuer nur zahlen, solange sie auch mit Brennelementen Elektrizität aus Atomkraftwerken gewinnen. Nach dem Atomausstieg ist auch die Steuer nicht mehr fällig.

Zur Person
Der Jurist Joachim Wieland ist Prorektor der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer. Er unterrichtet Öffentliches Recht und ist mehrfach als Gutachter und Prozessvertreter aufgetreten, z. B.im Rechtsstreit um die Bundestagswahl 2005 vor dem Verfassungsgericht. Er ist Mitglied des Verfassungsgerichtshofs in NRW.

tagesschau.de: Worauf können die Konzerne ihre Forderungen stützen?

Joachim Wieland: Nach der wechselvollen Geschichte der Atomgesetzgebung – erst unbegrenzte Nutzung, dann 2002 der Ausstieg, dann die Laufzeitenverlängerung 2010, dann 2011 wieder ein Ausstieg  – wissen wir, dass sich je nach politischer Ausrichtung der Bundesregierung die Gesetzgebung ändern kann. Die Konzerne können sich also letztlich nur darauf berufen, dass sie Investitionen getätigt haben und die nicht umsonst gewesen sein sollen. Faktisch haben sie aber zum einen auf eigenes Risiko gehandelt, zum anderen sind praktisch alle deutschen Atomkraftwerke abgeschrieben. Es werden also durch den Atomausstieg nur zukünftige Gewinnmöglichkeiten genommen. Darauf hat man aber keinen Rechtsanspruch.

"Normales, wirtschaftliches Risiko"

tagesschau.de: Welche Rolle spielen die Aktionäre der Energiekonzerne bei der Klage?

Wieland: Die Position, die ein Unternehmen vertritt, wirkt sich natürlich mittelbar auf die Aktionäre aus. Nach meiner Auffassung haben die Aktionäre aber keinen Anspruch auf Entschädigung. Sie haben die Aktien in der Erwartung gekauft, dass dort Gewinne gemacht werden. Das ist aber ein normales wirtschaftliches Risiko, was man beim Aktienkauf kalkulieren muss. Daraus leitet sich kein Rechtsanspruch darauf ab, dass die wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens weiterhin so verläuft, wie man das erhofft hat.

tagesschau.de: E.ON begründet die Klage aber auch mit Verpflichtungen, die sich aus dem Aktiengesetz ergeben.

Wieland: Das Unternehmen kann tatsächlich vorbringen, dass es auch den Aktionären gegenüber verpflichtet sei, den Rechtsweg zu beschreiten. Es sollte sich allerdings überlegen, dass auch diese rechtlichen Schritte negative Folgen für das Ansehen des Unternehmens in der Öffentlichkeit haben können. Nach einer Atomkatastrophe dieses Risiko weiter in Kauf zu nehmen, auch, wenn die Mehrheit der Bevölkerung das nicht will – auch das kann sich negativ auf den Aktienwert auswirken, wenn das Image des Unternehmens leidet.

tagesschau.de: Warum haben die Konzerne 2002 nicht gegen den ursprünglichen Atomausstieg von Rot-Grün geklagt, aber gegen die jetzigen Beschlüsse von Schwarz-Gelb?

Joachim Wieland: Im Ergebnis besteht kein großer Unterschied zu dem, was 2002 vereinbart wurde. Natürlich sind die Hoffnungen und Erwartungen nach der Laufzeitverlängerung gestiegen. Das erklärt, warum sich die Konzerne auf höhere Gewinne eingestellt hatten. Psychologisch kann man das nachvollziehen, rechtlich glaube ich nicht, dass es dafür eine Grundlage gibt.

tagesschau.de: Haben die Bundesregierung und die Koalition Fehler gemacht, die den Staat nun teuer zu stehen kommen könnten?

Wieland: Meines Erachtens war es ein Fehler, das dreimonatige Moratorium ohne hinreichende gesetzliche Grundlage durchzuführen. Die Vorschrift im Atomgesetz trägt das nach allgemeiner Auffassung der Fachleute nicht, weil es nicht eine akute, drohende Gefahr gab, sondern man sich bloß des allgemeinen Risikos bewusst wurde. Da hätte man sich juristisch besser absichern können. Das ist aber nur ein kleiner Teil des Ausstiegsprojektes. Wenn die Gesetze nun ordnungsgemäß verabschiedet werden, sehe ich da keine groben Fehler.

tagesschau.de: Was muss die Regierung bei der juristischen Gestaltung des Atomausstiegs beachten?

Wieland: Die Bundesregierung muss zunächst deutlich machen, dass die Risiken, die jetzt durch den Bericht der Reaktorsicherheitskommission allen bewusst geworden sind, es ausschließen, noch wesentlich länger Atomkraftwerke zu betreiben. Daraus ergibt sich eine verfassungsrechtliche Pflicht des Gesetzgebers, und darauf muss er hinweisen.

Formell empfehle ich der Bundesregierung, nicht um jeden Preis eine Zustimmung des Bundesrates zu umgehen. Damit macht sie das Gesetz anfällig für Verfassungsbeschwerden. Sie ist auf der sicheren Seite, wenn sie den Bundesrat einbezieht.

Das Interview führte Anna-Mareike Krause, tagesschau.de