Corona-Folgen für Wirtschaft "Die Pleitewelle wird kommen"
Die Pandemie hat die deutsche Wirtschaft heftig getroffen, nun kommen neue Maßnahmen. Im Interview mit tagesschau.de sagt DIW-Ökonom Marcel Fratzscher, was das für Betriebe und Beschäftigte bedeutet.
tagesschau.de: Das Coronavirus stoppen und gleichzeitig die Wirtschaft nicht abwürgen, diese schwierige Aufgabe hatten Bund und Länder zu lösen. Wie gut ist das gelungen?
Marcel Fratzscher: Das wissen wir vielleicht in vier bis acht Wochen. Meine Interpretation ist, dass man auf Nummer sicher gehen wollte. Lieber etwas zu scharfe Maßnahmen als zu schwache Maßnahmen, das ist die Logik der Entscheidungen. Und diese Vorgehensweise halte ich für sehr klug. Denn die Kosten nicht nur für die Gesundheit, sondern auch für die Wirtschaft sind dramatisch, wenn man jetzt zu spät oder nicht entschieden genug agiert.
Hoffnung auf das Weihnachtsgeschäft
tagesschau.de: Stellt sich nicht die Frage nach der Fairness, wenn manche Unternehmer jetzt eine weitgehende Entschädigung erhalten und andere nicht?
Fratzscher: Es gibt keine Fairness in solchen Krisen. Das Virus ist nicht fair. Es ist im Interesse aller Branchen, dass dieses Virus jetzt effektiv gestoppt wird. Auch für Hotels ist es letztlich im eigenen Interesse, dass Restriktionen umgesetzt werden, die schnell wirken. Wenn wir die zweite Welle in Deutschland effektiv stoppen, könnte das Weihnachtsgeschäft wieder gut laufen. Wenn das nicht gelingt, wird es wahrscheinlich ausfallen - nicht wegen der Beschränkungen, sondern weil Menschen dann Angst haben und nicht reisen wollen. Ich widerspreche ganz entschieden dem vermeintlichen Widerspruch zwischen dem Schutz der Gesundheit und dem Schutz der Wirtschaft.
Marcel Fratzscher, Jahrgang 1971, gehört zu den bekanntesten deutschen Ökonomen. Er ist Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin und leitet das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin.
tagesschau.de: Reichen die Hilfen des Staates, um den Schaden für die Wirtschaft zu begrenzen?
Fratzscher: Um ihn zu begrenzen, ja. Viele von uns haben aber falsche und überzogene Erwartungen an das, was der Staat leisten kann. Er kann die wirtschaftlichen Schmerzen lindern, aber er kann sie nicht verhindern. Kein Land der Welt hat größere Wirtschaftshilfen für Unternehmen aufgelegt als Deutschland. Wir gehen davon aus, dass die Hilfen dieses Jahr ungefähr zwei Prozent an Wirtschaftsleistung gebracht haben. Sie haben viele Millionen Jobs gesichert, beispielsweise durch das Kurzarbeitergeld, und vielen Unternehmen erst einmal das Überleben ermöglicht. Aber die Krise trifft natürlich auch die deutsche Wirtschaft extrem hart.
Gefahr eines neuen Abschwungs
tagesschau.de: Ist die Gefahr einer Pleitewelle mit den zusätzlichen Hilfen, die jetzt kommen sollen, nun vorerst gebannt?
Fratzscher: Nein, die Pleitewelle wird kommen. Die Frage ist, wie stark sie sein wird. Auch hier gilt: Je schlimmer die zweite Corona-Welle, desto mehr Firmenpleiten wird es geben. Für Unternehmen ist Zeit der kritische Faktor. Wenn wir das Virus in den nächsten vier Wochen stoppen, wird der wirtschaftliche Schaden begrenzt bleiben. Wenn nicht, dann halte ich es für recht wahrscheinlich, dass die deutsche Wirtschaft wieder in den Abschwung gerät.
tagesschau.de: Mit welchen Folgen?
Fratzscher: Die Arbeitslosigkeit könnte deutlich steigen und die Einkommen nochmals deutlich sinken. Viel mehr Menschen würden wieder in Kurzarbeit rutschen. Es würde Unternehmen, Soloselbstständige und die Beschäftigten treffen.
tagesschau.de: Wie sieht es in der Industrie aus?
Fratzscher: Die bleibt angeschlagen. Eine große Sorge für die deutsche Wirtschaft sind die Exporte. Im dritten Quartal war die Nachfrage aus dem Ausland da. Jetzt dürfte sie sich verlangsamen. In China läuft es nach wie vor gut, aber in Europa nicht. Spanien, Italien, Frankreich, Zentral- und Osteuropa sind stark von der zweiten Welle getroffen. Und 60 Prozent unserer Exporte gehen nicht nach Asien, sondern bleiben innerhalb des Kontinents.
Harte Entscheidungen stehen bevor
tagesschau.de: Sind die wirtschaftspolitischen Instrumente im Kampf gegen die Krise insgesamt schon ausgereizt?
Fratzscher: Ich denke nicht, dass man noch etwas Neues aus dem Hut zaubern kann. Man wird einige der Maßnahmen verlängern können, etwa die Überbrückungshilfen. Man wird in manchen Branchen den Ausfall von Umsätzen teilweise ersetzen. Das ist aber nicht der große Wurf. Ich halte es auch für unrealistisch, dass sich der Staat flächendeckend an Unternehmen beteiligt wie an der Lufthansa. Wir werden uns mit den Maßnahmen arrangieren müssen, die jetzt da sind.
tagesschau de: Mit den Hilfen in der Krise häuft der Staat enorme neue Schulden an. Kann das noch zum Problem werden?
Fratzscher: Nicht für Deutschland und nicht in den nächsten zwei Jahren. Wenn es sein muss, dann kann der deutsche Staat sich noch deutlich weiter verschulden, auch ohne höhere Zinsen zahlen zu müssen. Aber wenn die Pandemie vorbei ist, dann werden harte Entscheidungen nötig sein, um die Schulden wieder abzubauen. Kürzt man die Ausgaben? Will man die Steuern erhöhen? Ich denke, um Steuererhöhungen wird man nicht herumkommen. Sie aber jetzt schon anzudrohen, fände ich gefährlich. In der Krise sollte das Signal sein: Der Staat hilft, solange es notwendig ist.
tagesschau.de: Die Spanier erhöhen gerade die Steuern für Reiche.
Fratzscher: In der Tat ist es eine wichtige Frage, ob man eine Vermögenssteuer einführt oder eine einmalige Corona-Abgabe will. Auch darüber muss man sprechen. Die Deutschen haben in dieser Krise sehr viel Solidarität gezeigt. Und spätestens nach der Krise muss man auch die Vermögenden und Einkommensstarken mit zur Kasse bitten, um die Schulden wieder abzubauen. Aber jetzt muss die Politik erst einmal das Vertrauen stärken, dass wir diese zweite und vielleicht auch eine dritte Welle gut überstehen. Auch 2021 werden wir ja wahrscheinlich noch komplett mit dem Virus leben müssen.
tagesschau.de: Wie lange wird es dauern, bis die deutsche Wirtschaft die Folgen dieser Pandemie überwunden hat?
Fratzscher: Ich hoffe, dass die Wirtschaftsleistung in zwei, drei Jahren wieder auf dem Vorkrisenniveau liegen wird. Gleichzeitig werden wir sehr langfristige Folgen sehen. Die Industrie wird weiter an Bedeutung verlieren, die neuen Technologien werden gewinnen, und Klimaschutz und digitale Transformation werden hoffentlich endlich die Bedeutung erlangen, die sie dringend benötigen. In manchem wird die Pandemie hoffentlich zu einem Umdenken führen. So wir haben in der Krise gelernt, wie wichtig ein starker Sozialstaat ist.
Das Gespräch führte Philipp Jaklin, tagesschau.de.