Folgen von Corona "Innenstädte vor gewaltigem Umbruch"
Weniger Umsatz, leere Büros: Corona könnte die Innenstädte grundlegend verändern. Es könnte ihr Niedergang sein, sagt der Stadtforscher Thomas Krüger im tagesschau.de-Interview - aber auch eine Chance.
tagesschau.de: Herr Krüger, die Innenstädte werden oft zu den Verlierern der Corona-Krise gezählt. Sehen Sie das auch so?
Thomas Krüger: Was den Einzelhandel und die Büroflächen angeht, werden die Innenstädte sicher an Bedeutung verlieren. Ob sie damit auch Verlierer sind, ist aber eine andere Frage.
Ich sehe zwei wichtige Entwicklungen: Zum einen denke ich, dass die klassischen und sehr intensiv genutzten Erdgeschosse mit den vielen Menschen, die davor flanieren und dort einkaufen, in dieser Dichte und Nutzung nicht mehr zu halten sind. Der Einzelhandel in den Innenstädten lebt eigentlich davon, dass es dort hohe Frequenzen gibt - sprich, dass viele Menschen zugleich dort sind. Das wird sich sicherlich ändern, und insbesondere die Shoppingcenter und Warenhäuser werden Probleme bekommen.
Dazu muss man sagen, dass sich in den Innenstädten gerade wegen der hohen Frequenzen auch besonders leistungsfähige Ketten angesiedelt haben, die in der Lage waren, die hohen Mieten zu zahlen. Das hat dazu geführt, dass die Innenstädte irgendwann mehr oder weniger gleich aussahen. Wenn aber die hohen Frequenzen wegfallen, wird es nun zu einer Korrektur der Mieten kommen müssen - und damit auch der Werte der Gebäude.
Professor Dr.-Ing. Thomas Krüger ist Leiter des Arbeitsgebietes "Projektentwicklung und Projektmanagement in der Stadtplanung" an der HafenCity Universität Hamburg. Er forscht zu den Wechselwirkungen von Stadt- und Immobilienentwicklung, unter anderem auch zu Entwicklung und Management urbaner Zentren.
Derzeit neben dem Einzelhandel fast nur Büros
tagesschau.de: Das heißt erstmal: enorme Verluste.
Krüger: Es wird erhebliche Verluste bei den Immobilienanlegern geben und mit Sicherheit einen Aderlass beim stationären Einzelhandel - bei den klassischen Ladengeschäften, aber auch bei den bisherigen Marktführern, die ihre Verkaufsflächen noch stärker als bisher reduzieren werden. Aber es könnten auch neue Chancen für die Innenstädte entstehen: Die Erdgeschosse könnten vitaler oder vielfältiger genutzt werden.
Dazu kommt eine zweite Entwicklung: Auch im Bereich der Büronutzung stehen wir vor fundamentalen Veränderungen. Die Arbeitsstrukturen in den Büroberufen, die mittlerweile 70 Prozent der Arbeitsplätze in den Großstädten ausmachen, werden sich durch die Krise und das Homeoffice erheblich verändern. In der Hamburger Innenstadt etwa haben wir neben dem Einzelhandel fast nur Büros. Es gibt also im Erdgeschoss die Läden und darüber die Büroflächen. Und auch sie werden künftig weniger genutzt. Das heißt, es sind weniger Menschen in der Innenstadt, die einkaufen, Mittagessen, Kaffee trinken. Und auch hier wird es zu Korrekturen der Mieten und der Werte kommen müssen.
Wir haben also von zwei Seiten her eine Entwicklung in den Innenstädten, die zu erheblichen Veränderungen führen wird, aber auch Chancen birgt: Durch verringerte Mieten und eine hoffentlich gute Zusammenarbeit der Akteure können die Zentren an urbaner Qualität gewinnen.
Arbeiten im Quartier statt in der City
tagesschau.de: Hieße das auch Wohnraum statt Büros?
Krüger: Damit bestehen Chancen für Wohnen in den Innenstädten, eindeutig. Das geht nicht von heute auf morgen, aber ich denke, dass - so zynisch es auch klingt - diese Krise dazu führen könnte, dass das Arbeiten in der Nachbarschaft, im Quartier, große Chancen hat. Also nicht nur zuhause, aber zunehmend im großzügigen Co-Working-Space um die Ecke - sodass wir diese starke Konzentration auf die Zentren, die ja auch zu einigen Problemen führt, ein stückweit zurückfahren und die Quartiere wieder aufwerten können.
Das wäre natürlich auch eine Chance, klimagerechter zu leben: Nämlich mehr vor Ort, unter Nutzung der Nähe und ohne diese großräumige funktionale Teilung von Arbeiten, Wohnen, Einkaufen und Produktion - alles möglichst weit auseinander und alles mit irgendwelchen rollenden Fahrzeugen verbunden.
"Sehr viel interessanter als jetzt"
tagesschau.de: Es wird bereits ja die Befürchtung geäußert, dass gerade durch die Verlagerung in die Stadtteile die Innenstädte aussterben könnten.
Krüger: Natürlich haben die Vermieter und die Investoren derzeit ein gewaltiges Problem: weil sie bis März Projekte entwickelt haben, die ganz anders gerechnet waren und von ganz anderen Mietpreisen ausgehen als die, die zukünftig zu erwarten sind. Aber es steckt auch eine Chance darin: Wenn wir multifunktionalere Innenstädte haben, dann sind die als urbane Quartiere natürlich sehr viel interessanter als jetzt, wo etwa die Hamburger Innenstadt spätestens ab 20 Uhr eine Wüste ist.
Die Attraktivität ist bis Ladenschluss da, aber eben auch nur bis dann. Sie können ja eigentlich nur einkaufen gehen und vielleicht noch Fast Food bekommen, aber sonst hält sich da doch kaum ein Mensch auf. Das ist in Hamburg sicher extrem mit der starken Arbeitsplatzkonzentration und Handelsfunktion der City, aber in anderen Städten durchaus auch vorhanden.
Ich sage also nicht, der eine gewinnt, der andere verliert, sondern ich meine, es wird eine Strukturveränderung geben - dass die Innenstädte eine Chance haben. Das muss man aber natürlich auch aktiv gestalten und sich zwischen den Eigentümern und den Mietern verständigen, damit es zu mehr Vielfalt kommt.
tagesschau.de: Was heißt das konkret: Kultur und kleinerer Einzelhandel statt Kette?
Krüger: Wenn die Mieten sinken, dann haben Geschäftsmodelle eine Chance, die noch nicht so stark sind wie die großen Ketten - zum Beispiel Fusionskonzepte zwischen Gastronomie, Kunst, Verkauf und Büro. Das kann ja alles auf einer Fläche hochspannend zusammengeführt werden, auf ganz verschiedenen Märkten mit ganz verschiedenen Angeboten. In der Summe ist das wahrscheinlich nicht so zahlungskräftig wie bisher vielleicht eine Textil-Kette. Da braucht es Vermieter, die sich darauf einlassen und nicht warten, dass die Kette doch noch kommt und ihnen ihre Fläche für 60 Euro den Quadratmeter und mehr abnimmt. Und es braucht auch Unternehmerinnen und Unternehmer, die etwas wagen.
Objekt für Objekt, Straße für Straße
tagesschau.de: Was passiert, wenn zu wenige mitmachen?
Krüger: Es gibt Prozesse, die irgendwann nur schwer umkehrbar sind. Wenn Sie Geschäftsstraßen haben, wo diese Vervielfältigung nicht stattfindet, wo etwa viele Eigentümer das blockieren und hoffen, dass doch nochmal alles anders wird, dann kann das sogenannte Trading-down-Effekte erzeugen - erst steht eine Fläche leer, dann drei. Es kann zu einem Niedergang der Innenstadt kommen, wenn man diesen Strukturwandel, der ja bereits am Laufen ist, nicht aktiv gestaltet.
Deshalb müssen die Eigentümer gemeinsam in dieselbe Richtung handeln, und da braucht es ganz klar neue Kooperationsformen. Und wahrscheinlich werden bei dieser Erneuerung die Kommunen eine führende Rolle spielen müssen. Es müssen Prozesse in Zentren unterstützt und begleitet werden, die ganz neu sind und weit über das hinausgehen, was wir bisher kennen. Und das geht nur kleinteilig - Objekt für Objekt, Straße für Straße.
tagesschau.de: Und was, wenn die Pandemie schneller vorbei ist als gedacht? Wird dann nicht alles wieder fast wie zuvor?
Krüger: Das glaube ich nicht. Denn die Zunahme des Online-Handels wird sich in der Form nicht zurückdrehen lassen, und damit wird schlichtweg Umsatz fehlen in den Zentren. Und ebenso wird sich das mobile Arbeiten nicht komplett zurückdrehen lassen, weil das ja auch Vorteile bringt. Man kann es als Beschleunigung einer ohnehin bestehenden Entwicklung interpretieren, ich würde aber sagen, das ist ein gewaltiger Umbruch. Das ist mehr als nur die Fortsetzung von Trends. Es wird, das werden wir in den kommenden Wochen und Monaten sehen, zu massiven Leerständen kommen. Es braucht ganz neue Konzepte und Modelle.
"Wenn die Gesellschaft sich trifft, ist das eine tolle Innenstadt"
tagesschau.de: Wenn Sie sich eine Innenstadt basteln dürften: Wie würde die aussehen?
Krüger: Ich mag zum Beispiel die Innenstädte von Freiburg und Münster: Da gibt es Kultur, da gibt es Gastronomie, es gibt auch Plätze und Märkte und einen einigermaßen angenehmen Städtebau - in Freiburg ist sogar eine Uni mittendrin. Warum sind Universitäten immer auf irgendwelchen abgeschlossenen Campi oder auf der grünen Wiese? Und warum werden Schulen immer an den Stadtrand gebaut, wo es dann nichts anderes gibt als Schule? Das ist doch langweilig.
Eine Innenstadt braucht eine Vielfalt von Funktionen, aber natürlich auch ein großstädtisches Angebot. Wir wollen ja nicht alles verdörflichen oder verstadtteilen. Da müssen dann schon auch Clubs sein, Kultureinrichtungen, da muss eine große Vielfalt sein, da sollen auch Obdachlose sein, all das gehört dazu. Wenn die Gesellschaft sich trifft, mit ihren besonderen Ausprägungen, dann ist das eine tolle Innenstadt.
Das Gespräch führte Carina Braun, tagesschau.de